Helena Reichlova wird Dioscuri-Zentrumsleiterin in Tschechien
Mit der Nominierung der Festkörperphysikerin startet das Dioscuri-Programm in der Tschechischen Republik
Helena Reichlova, eine 36-jährige Physikerin, wird am 1. Oktober 2023 am Prager Institut für Physik der Tschechischen Akademie der Wissenschaften ein Dioscuri-Zentrum für Spin- Kaloritronik und Magnonik eröffnen. Sie setzte sich bei der ersten Dioscuri-Ausschreibung in Tschechien gegen eine große Anzahl von Mitbewerber*innen durch und wird nun das erste von drei tschechischen Dioscuri-Zentren gründen.
Forschungsprogramm für nachhaltige Informationstechnologie
Der exponentiell steigende Energieverbrauch des Informationstechnologiesektors stellt eine bedeutende Herausforderung für die digitalisierte Gesellschaft dar. Um dieses Problem anzugehen, sucht die Forschung nach alternativen Konzepten für Informationstechnologien mit deutlich reduziertem Energieverbrauch. Ein solches Konzept ist die Magnonik, die versucht, Informationen in Form von Spin-Wellen zu transportieren, anstatt auf Elektronenbewegung zu setzen. Ein weiteres vielversprechendes Konzept ist die Spin-Kaloritronik, die unter anderem die Nutzung von Abwärme erforscht. Allerdings wurden sowohl die Spin-Kaloritronik als auch die Magnonik traditionell in ferromagnetischen Materialien untersucht, die nicht optimal für eine effiziente Umwandlung von Wärme in Spannung und ultraschnelle Informationsübertragung sind. Die jüngste Entdeckung einer neuen Materialklasse namens Altermagnete verspricht jedoch, diese Beschränkungen von Ferromagneten zu überwinden.
"Nachhaltigkeit und Umweltthemen waren für mich schon immer wichtig. Eines meiner Hauptziele ist daher die Erforschung nachhaltigerer und energieeffizienterer Informationstechnologien. Während die Spintronik bereits die Energiekosten senkt, faszinieren mich die neuen Konzepte für die Informationstechnologie der Zukunft, wie die Spin-Kaloritronik oder die Magnonik, die derzeit auf der grundlegendsten Ebene untersucht werden. Kompensierte Magnete, die im Fokus meiner bisherigen Forschung standen, können in diesem Bereich von großem Nutzen sein – deshalb habe ich mich entschieden, dieses Thema im Rahmen meines neuen Dioscuri-Zentrums weiter zu vertiefen", so Reichlova.
Das Dioscuri-Zentrum zielt darauf ab, neue Forschungsrichtungen zu eröffnen und die Spin-Kaloritronik und Magnonik in Altermagneten zu untersuchen. Indem sie sich auf diese bahnbrechenden Materialien konzentriert, hofft die Forscherin, Ergebnisse zu erzielen, die über die Spin-Kaloritronik und Magnonik hinausgehen und Auswirkungen auf andere wissenschaftliche und technologische Bereiche wie Spintronik, Feldeffekt-Elektronik, Supraleitung und neuromorphe Informationstechnologie haben.
Exzellenzzentrum mit internationalem Forschungsnetzwerk
Das neue Dioscuri-Zentrum im Bereich Festkörperphysik wird mit bis zu 1,5 Millionen Euro für einen Zeitraum von fünf Jahren finanziert. Die Kosten werden zu gleichen Teilen vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) und dem tschechischen Ministerium für Bildung, Sport und Jugend (MEYS) getragen. Die gastgebende Institution in Prag stellt die Infrastruktur bereit. Ihre Abteilung für Spintronik (Magnetische Drehbewegung des Elektrons) und Nanoelektronik (Schaltkreisstrukturen unter 100 nm) ist ein führendes Zentrum in den verwandten Bereichen der theoretischen und experimentellen antiferromagnetischen und altermagnetischen Spintronik. Erst im Mai 2023 erhielt der Leiter der Abteilung seinen zweiten hochdotierten ERC Advanced Grant für seine Arbeiten im Bereich Altermagnetik. Reichlovas Partner aus Deutschland, Sebastian T. B. Goennenwein von der Universität Konstanz, ist ein weltweit anerkannter Experte auf dem Gebiet der konventionellen Spin-Kaloritronik und Magnonik. Ziel des gemeinsamen Forschungsprogramms ist es, ein neues physikalisches Paradigma für nachhaltige IT-Bauteile zu schaffen.
Investment in junge Spitzenforschende
Im Rahmen des personenzentrierten Förderprogramms werden herausragende Forschungsgruppenleiter*innen für den Aufbau eines Dioscuri Centre of Scientific Excellence an mittel- und osteuropäischen Forschungseinrichtungen gewonnen. Initiator des Dioscuri-Programms ist der scheidende Max-Planck-Präsident Martin Stratmann. Für ihn hatte die Stärkung des Europäischen Forschungsraums erste Priorität. Seine Kernüberzeugung war und ist es, „dass wir als europäische Wissenschaft im internationalen Wettbewerb nur dann erfolgreich sein können, wenn der Europäische Forschungsraum als Ganzes attraktiv ist - mit einer ausgewogenen Verteilung der wissenschaftlichen Exzellenz und einer ‚Brain Circulation‘ zwischen allen europäischen Ländern“. Um dies zu erreichen, muss das Exzellenzgefälle, welches noch immer zwischen den Wissenschaftssystemen verschiedener EU-Ländern besteht, beseitigt werden. Um den Aufbau einer eigenen Forschungsgruppe in den EU-13 Ländern attraktiver zu machen, bietet das von der Max-Planck-Gesellschaft initiierte Dioscuri-Programm Forschenden Autonomie und Flexibilität, große wissenschaftliche Freiheit und die Anbindung an internationale Exzellenznetzwerke. Die gastgebende Einrichtung liefert administrative Unterstützung, die bestmögliche Infrastruktur und eine langfristige Perspektive. Ein attraktives Angebot für junge Spitzenforschende wie Helena Reichlova, in ihr Heimatland zurückzukehren – und dort zu bleiben.
Das Dioscuri-Programm in der Tschechischen Republik soll auf insgesamt fünf Zentren ausgebaut werden. Bewerben können sich Forschende aller Disziplinen aus der ganzen Welt, aber auch Wissenschaftler*innen, die bereits in der Tschechischen Republik arbeiten und tschechische Forscher*innen, die erst vor kurzem in das Land zurückgekehrt sind. Die nächste Ausschreibung ist für 2024 geplant.