Fliegen verarbeiten anziehende und abschreckende Gerüche in unterschiedlichen Hirnregionen
Neu entwickeltes Analysegerät Flywalk ermöglicht exakte Verhaltensstudien an Insekten
![Fruchtfliege in einer Glasröhre der Flywalk-Apparatur.](/11582914/original-1704366544.jpg?t=eyJ3aWR0aCI6MjQ2LCJvYmpfaWQiOjExNTgyOTE0fQ%3D%3D--3e8e639c7eb2ebda5da3678370d598ac6bf96300)
Flywalk kann Reaktionen von Insekten auf Geruchssignale exakt bestimmen. Die beiden wesentlichen Kenngrößen sind: Läuft das Tier gegen die Windrichtung, wird der Duft als attraktiv bewertet; bleibt es stehen oder läuft mit dem Luftstrom, ist der Duft abschreckend. Das System erlaubt neben dem Einsatz einzelner Geruchsstoffe auch die Applikation von Duftmischungen. Außerdem können Duftpulse unterschiedlicher Länge und Konzentration verabreicht werden. Der hohe Durchsatz und lange, automatisierte Messzeiten − bis zu acht Stunden können die Tiere im Flywalk verweilen − erlauben statistische Auswertungen der Messergebnisse.
Versuche mit Fruchtfliegen zeigten, dass Weibchen im Gegensatz zu Männchen mehr von typischen Nahrungsdüften wie Ethylazetat angezogen werden − ein Verhalten, das auf die Suche nach einem optimalen Eiablageplatz zielen könnte, um dem Larven-Nachwuchs nach dem Schlüpfen sofort ausreichend Nahrung zu garantieren. Auf abschreckende Düfte, z.B. Benzaldehyd, reagieren dagegen beide Geschlechter identisch. Männchen wiederum antworten positiv auf den Geruch unbegatteter Weibchen: Wird die Luft, die die jungfräulichen Weibchen umgibt, in Flywalk geleitet, wandern die Männchen stromaufwärts. „So konnten wir erstmals zeigen, dass Weibchen wie bei anderen Insektenarten auch mithilfe von Düften Männchen anlocken. Die Chemie dieser Duftkomponenten wird zurzeit untersucht“, so Kathrin Steck, die die Experimente durchgeführt hat. Bekannt ist bereits der Stoff, der begattete Weibchen für paarungsbereite Männchen unattraktiv macht: cis-Vaccenyl Azetat. Mit diesem Duft markiert ein Männchen während der Begattung das Weibchen, verhindert so eine weitere Befruchtung durch konkurrierende Männchen und sichert so die Verbreitung seiner Gene.
![Zwei Aufnahmen des Gehirns einer riechenden Fruchtfliege; links: Aktive Glomeruli nach Gabe eines abschreckenden Duftes (Linalool); rechts: Aktive Glomeruli nach Applikation eines Lockstoffes (3-Methylthio-1-Propanol). Abschreckendes Verhalten entsteht in seitlich angeordneten Hirnarealen, anlockendes Verhalten in mittigen Bereichen.](/11582924/original-1684244485.jpg?t=eyJ3aWR0aCI6MjQ2LCJvYmpfaWQiOjExNTgyOTI0fQ%3D%3D--bbea7b02d3a0275b004eb6c96439f0e8b272fb29)
In ihrer Studie haben die Wissenschaftler die Aktivität so genannter Projektionsneurone im Gehirn von Fruchtfliegen gemessen. Diese befinden sich im Riechzentrum der Fliegen, dem Antennal-Lobus. Tests mit sechs besonders attraktiven und sechs besonders abschreckenden Duftkomponenten ergaben, dass ähnlich wie bei Mäusen und Menschen attraktive und abschreckende Düfte jeweils in einer bestimmten Gehirnregion verarbeitet werden. „Die Funktion des Insektengehirns gleicht somit der des Säugergehirns mehr als bisher angenommen“, schreiben die Forscher. Da die Aktivität von Projektionsneuronen bereits eine Art Interpretation eingehender Duftsignale darstellt, scheinen sich die Beurteilungen wie „gut“ oder „schlecht“, die letztendlich das Verhalten der Fliegen steuern, schon sehr früh im Fliegengehirn auszubilden.
Bei den in der Landwirtschaft gefürchteten Faltern Spodoptera littoralis (Ägyptische Baumwolleule) und Spodoptera exigua (Zuckerrübeneule) haben Aktivitäts-messungen im Antennal-Lobus ergeben, dass Neuronen auf einzelne pflanzliche Geruchsstoffe jeweils sehr spezifisch reagierten. Dies steht im Einklang mit ihrer Lebensweise: Die beiden Eulenfalter befallen mehr als 100 verschiedene Pflanzengattungen, darunter viele Nutzpflanzen, und deswegen müssen sie den Duft einer bestimmten Pflanzenart genau zuordnen können. Drei im Vergleich zu den beiden Generalisten untersuchte Spezialisten, nämlich Motten der Arten Acherontia atropos (Totenkopffalter), Smerinthus ocellata (Abendpfauenauge) und Manduca sexta (Tabakschwärmer) scheinen sich dagegen nur auf die Erkennung weniger Wirtspflanzen spezialisiert zu haben: Verschiedene Düfte erzeugten oft ähnliche oder sogar identische Erregungsmuster im Mottengehirn.
JWK/HR