Charakter im Blick

Ein neues Computersystem erkennt dank künstlicher Intelligenz die Persönlichkeit eines Menschen anhand seiner Augenbewegungen

Computer lernen allmählich menschliches Verhalten zu interpretieren – jetzt auch indem sie die Blicke von Menschen deuten. Ein Team um Forscher des Max-Planck-Instituts für Informatik hat eine Software entwickelt, die mithilfe künstlicher Intelligenz aus den Augenbewegungen einer Person auf deren Persönlichkeitsmerkmale schließen kann. Auch Menschen schließen oft unbewusst aus den Blicken anderer auf deren Charakter. Um die Zusammenarbeit zwischen Mensch und Computer sozialer, effizienter und flexibler zu gestalten, schließt das neue Softwaresystem aus den Augenbewegungen einer Person nun unter anderem darauf, wie neurotisch, extrovertiert und neugierig diese ist.

„Mit unseren Augen erfassen wir nicht nur die Umgebung, sie sind auch ein Fenster zu unserer Seele. Denn sie verraten, wer wir sind, wie wir uns fühlen und was wir machen“, erklärt Andreas Bulling, der in Saarbrücken am Max-Planck-Institut für Informatik und am Exzellenzcluster der Universität des Saarlandes die Forschungsgruppe „Perceptual User Interfaces“ leitet. Menschen können die sozialen Signale der Augen ganz selbstverständlich und unterbewusst lesen. Mit Wissenschaftlern in Stuttgart und Australien bringt Andreas Bulling diese Fähigkeit nun auch Computern bei, etwa damit später auch Roboter die nonverbalen Kommunikationskanäle von Menschen verstehen und nutzen können. Das Team hat dafür ein Softwaresystem auf Basis des Maschinellen Lernens entwickelt. Die Software wertet mit einem sogenannten Eye-Tracker aufgenommene Augenbewegungen aus und kann auf diese Weise Persönlichkeitsmerkmale einer Person vorhersagen.

Persönlichkeitsmerkmale, die Psychologen nutzen

Die Forscher trainierten ihre Software mithilfe künstlicher Intelligenz für die Vorhersage von vier Persönlichkeitsmerkmalen, anhand derer Psychologen Menschen charakterisieren. So analysierte ihre Software, wie neurotisch, verträglich, extrovertiert und gewissenhaft ihre Probanden sind. Zusätzlich ermittelte die Software, wie neugierig eine Person ist. „Die Genauigkeit der Vorhersagen ist aktuell zwar noch nicht ausreichend für praktische Anwendungen, aber das System wird künftig sicherlich noch zuverlässiger“, sagt Andreas Bulling. Seine Zuversicht ist unter anderem damit begründet, dass für das Training zukünftig deutlich umfangreichere Datenmengen und zusätzlich Informationen einer im Eye Tracker ohnehin vorhandene Kamera benutzt werden können, die abbildet, was die Person sieht.

Um die Daten für das Training und die Evaluierung zu erhalten, wirkten an der Flinders University in Australien 50 Studenten im Durchschnittsalter von 22 Jahren mit. Der Eye-Tracker filmte die Augenbewegungen der Probanden, vor allem worauf diese ihren Blick fixierten und wie oft sie blinzelten, während sie rund zehn Minuten über den Campus schlenderten und sich einen Kaffee oder andere Artikel im Campus-Laden kauften. Danach baten die Wissenschaftler die Studenten, Fragebögen auszufüllen, mit denen Psychologen seit vielen Jahren im Rahmen von Persönlichkeitstests arbeiten.

Roboter agieren durch nonverbales Verhalten menschenähnlicher

„Das so gewonnene Wissen über nonverbales Verhalten können wir beispielsweise auf Roboter übertragen, so dass diese sich menschenähnlicher verhalten. Solche Systeme würden dann auf eine viel natürlichere Weise mit Menschen kommunizieren und wären dadurch effizienter und flexibler einsetzbar“, erklärt Bulling. Die Software könnte aber auch Menschen zugutekommen, die wie etwa Autisten mit der nonverbalen Kommunikation Schwierigkeiten haben. Sie könnte ihnen nämlich helfen, die Blicke anderer Menschen zu interpretieren und ihre Augenbewegungen zu kontrollieren, um andere nicht etwa anzustarren.

Andreas Bulling ist sich bewusst, dass die Software auch die Möglichkeit eröffnet, Menschen einer computergestützten Charakterprüfung zu unterziehen – eine Möglichkeit, die auch missbraucht werden kann und nicht zuletzt den Unternehmen und autokratischen Regimen in die Hände spielen könnte, die heute schon das Verhalten von Menschen digital analysieren. Andreas Bulling betont allerdings, dass die Technik noch lange nicht geeignet ist, Persönlichkeitsmerkmale eines Menschen zuverlässig und ohne dessen Mithilfe zu ermitteln. Alleine deshalb, weil eine Person den Eye-Tracker dafür momentan unmittelbar vor ihrem Auge tragen müsse. Und selbst wenn das einmal möglich werden sollte, den Charakter von Menschen mit weniger Aufwand zu deuten, lasse sich die Technik wie die meisten Erfindungen zum Wohl und zum Übel der Menschen einsetzen. „Wir sind Wissenschaftler und können nur die Technik zur Verfügung stellen und zeigen, was möglich ist“, sagt der Informatiker. „Wie die Technik eingesetzt wird, muss gesellschaftlich und auch gesetzlich geregelt werden.“

GOB/PH

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