Max-Planck-Forscher erhält Tierschutz-Preis

Die Deutsche Forschungsgemeinschaft DFG zeichnet Hamid Reza Noori mit dem Ursula M. Händel-Tierschutzpreis aus

25. Juli 2018

Die Zahl wissenschaftlicher Veröffentlichungen steigt und steigt. Selbst Experten fällt es immer schwerer, den Überblick in ihrem Fachgebiet zu behalten. Zusammen mit seinem Team hat Hamid Noori am Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik in Tübingen tausende Studien über chemische Abläufe im Gehirn von Ratten ausgewertet und die gesammelten Erkenntnisse in eigens entwickelten Datenbanken frei zugänglich gemacht. Zusammen mit einem Computermodell können Forscher auch die Wirkung neuer Substanzen auf das Rattengehirn vorhersagen. So lassen sich Studien besser planen und überflüssige Untersuchungen vermeiden. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft verleiht Hamid Noori dafür den Ursula M. Händel-Tierschutzpreis 2018. Außerdem wird die Toxikologin Ellen Fritsche von der Universität Düsseldorf ausgezeichnet.

Big Data ist in den Neurowissenschaften schon lange Realität. Nicht nur, dass heute in vielen Studien riesige Datenmengen anfallen, auch die Anzahl wissenschaftlicher Veröffentlichungen ist in den letzten Jahren förmlich explodiert. Allein die Studien über die chemischen Vorgänge im Gehirn von Ratten gehen in die Hunderttausende. Trotzdem den Überblick zu behalten, ist angesichts solcher Zahlen fast unmöglich.

Die Forschung von Hamid Noori am Tübinger Max-Planck-Institut führt die Erkenntnisse aus mehreren Jahrzehnten neurobiologischer Forschung an Ratten zusammen und macht sie für jeden Wissenschaftler zugänglich. Zusammen mit seinen Kollegen hat er beispielsweise eine Datenbank für die im Gehirn einer Ratte gebildeten Botenstoffe entwickelt. Dazu haben die Wissenschaftler zunächst einen Kriterienkatalog für die Bewertung von Studienergebnissen aufgestellt. Anhand dieser Kriterien haben sie anschließend die Erkenntnisse und Methoden aus über 10.000 Studien an insgesamt 35.000 Ratten analysiert und in die Datenbank aufgenommen. „Ziel war es, einen umfassenden Atlas der im Rattengehirn gebildeten Neurotransmitter zu erstellen – ein sogenanntes neurochemisches Konnektom“, erklärt Noori.

Modell für die Wirkung neuer Substanzen

In einer weiteren Datenbank hat Noori die Eigenschaften sämtlicher 260 Medikamente, deren Wirkung auf das Rattengehirn bislang getestet wurde, analysiert und ebenfalls in einer frei zugänglichen online-Datenbank zusammengefasst. Damit können Wissenschaftler die Daten von 150.000 Ratten für ihre eigene Forschung nutzen. So lässt sich schon frühzeitig erkennen, welche Erkenntnisse zur Wirkung eines Medikaments bereits vorliegen. Noori hat darüber hinaus ein mathematisches Modell entwickelt und die beiden Datenbanken darin integriert. Damit können sie sogar die Effekte noch nicht getesteter Wirkstoffe auf das Gehirn vorhersagen.

Die Ergebnisse der Tübinger Forscher unterstützt Wissenschaftler also bei ihren bisherigen Bemühungen, die Anzahl der Versuche und die Belastung für die Versuchstiere zu verringern. „Mit unseren Modellen können Forscher eine Vorauswahl an geeigneten Substanzen treffen, bevor sie zu Versuchen an Tieren übergehen. Außerdem tragen unsere Datenbanken dazu bei, unnötige Mehrfachuntersuchungen zu verhindern. Wissenschaftler können so nicht nur mit weniger Tierversuchen auskommen, sie können ihre Studien auch sinnvoller planen und damit unnötige Belastungen für die Versuchstiere vermeiden“, sagt Noori.

Angesichts der ungeheuren Komplexität, mit der die Zellen selbst im Gehirn von Nagetieren miteinander verknüpft sind, werden Tierversuche in den Neurowissenschaften aber trotzdem auf absehbare Zeit unverzichtbar sein. Neurowissenschaftler sind deshalb besonders stark auf Untersuchungen lebender Versuchstiere angewiesen, insbesondere Nagetiere (z.B. für das Studium der zellulären Eigenschaften und Mikroschaltungen) und Primaten (z.B. zum Studium von Netzwerken im Gehirn und ihrer Beziehung zur Wahrnehmung und Kognition).

Über Hamid Noori

Hamid Reza Noori hat in Mathematik und in Physik promoviert und in Medizin habilitiert. Nach Forschungsaufenthalten in den USA, Frankreich, Japan und Deutschland leitet der in Isfahan im Iran geborene Wissenschaftler seit 2016 die unabhängige Forschungsgruppe „Neuronale Konvergenz“ am Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik in Tübingen. In Zusammenarbeit mit Nikos Logothetis und seiner Abteilung und Mikhael Gromov von der New York University arbeitet seine Arbeitsgruppe an Verfahren, um den Zusammenhang zwischen Gehirnprozessen und Verhalten besser zu verstehen.

Tierschutzpreis der DFG

Mit dem Ursula M. Händel-Tierschutzpreis würdigt die Deutsche Forschungsgemeinschaft Wissenschaftler, die den Tierschutz in der Forschung verbessern. Dazu gehört insbesondere die Entwicklung von Verfahren, die zur Verringerung, Verfeinerung und zum Ersatz von Tierversuchen beitragen. Der Preis wird alle zwei Jahre verliehen und ist mit jeweils 50.000 Euro dotiert.

HR

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