Bedeutungsvolle Beziehungen – mathematische Einblicke in die Geometrie komplexer Netzwerke

7. Juni 2018
Unsere Welt ist definiert durch eine Vielzahl unterschiedlichster Netzwerke - ob sozialer, biologischer, ökonomischer oder technischer Art. Deren Strukturen und Funktionsweisen stehen seit längerem im Fokus der Wissenschaft. Mathematiker des Max-Planck-Instituts für Mathematik in den Naturwissenschaften Leipzig konnten in Kooperation mit Kollegen in Indien, China und Israel beweisen, dass sich mit Hilfe der Geometrie die Vielzahl der Beziehungen in komplexen Netzwerken und deren Struktur effektiv beschreiben lässt. Aktuelle Forschungsergebnisse wurden in „Scientific Reports“ veröffentlicht.

Netzwerke sind komplexe Systeme, die durch eine Vielzahl von Verbindungen und Interaktionen unterschiedlichster Akteure gekennzeichnet sind. Erste Netzwerkstrukturen bildeten sich bereits mit den ersten Gesellschaftssystemen der Menschheitsgeschichte heraus. In der Komplexität der heutigen Gesellschaft zählt die Untersuchung dieser Systeme, die einer stetigen Entwicklung und permanentem Wandel unterliegen, zu den großen Herausforderungen der Wissenschaft.

Die den Netzwerken zugrundeliegende Struktur lässt sich mathematisch als Graph mit einer Menge an Knoten und Kanten modellieren, die wiederum verschiedene Verbindungswege unterschiedlicher Form und Stärke zulassen. Um tiefere Einblicke in die Struktur solcher Netzwerkmodelle zu erhalten, haben die Mathematiker klassische Konzepte der Geometrie, unter anderem das der Krümmung, welches beschreibt wie sehr sich eine Fläche von einer Ebene unterscheidet, genutzt. Krümmung ist ein zentrales Konzept der Mathematik, welches zugleich verschiedenste Wissenschaftsbereiche durchdringt.

Seit Friedrich Gauss‘ Untersuchung von Flächen haben sich viele brillante Köpfe mit dem Konzept der Krümmung befasst. Gregorio Ricci Curbastro entwickelte zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine Verallgemeinerung der Gauss‘schen Krümmung, die nach ihm benannte Ricci-Krümmung. Sie wurde zu einer treibenden Kraft in der Wissenschaft und führte zu spektakulären mathematischen Resultaten. Zunächst diente die Ricci-Krümmung als entscheidender Baustein in Einsteins Formulierung der Allgemeinen Relativitätstheorie: durch den Ricci-Krümmungstensor „sagt die Raum-Zeit der Materie, wie sie sich bewegen und die Materie der Raum-Zeit wie sie sich krümmen soll,“ * so in Einsteins Feldgleichungen beschrieben. Hamiltons Ricci-Krümmungsfluss, ein Nebenprodukt der Ricci-Krümmung, kam in Gregori Perelmans Lösung der Poincarévermutung zur Anwendung, wofür ihm im Jahr 2006 die höchste Auszeichnung auf dem Gebiet der Mathematik, die Fields-Medaille, verliehen wurde. Auch in der Arbeit des Fields-Medaillisten von 2010 Cédric Villani über optimalen Transport spielt die Ricci-Krümmung eine entscheidende Rolle.

Die Nützlichkeit und als auch Tiefe dieses Konzeptes wurde zudem in aktuellen wissenschaftlichen Untersuchungen von Netzwerken demonstriert. Um diskrete Objekte wie Graphen zu behandeln, haben Mathematiker etliche alternative als auch vereinfachte Versionen der Ricci-Krümmung entwickelt, welche jeweils verschiedene Aspekte des zugrundeliegenden Netzwerkes hervorheben und herausstellen. Diese Freiheit führte aber auch zwingend zu einer stringenten Untersuchung des Verhaltens der verschiedenen Krümmungen in Form von Tests anhand von konkreten Anwendungsbeispielen wie beispielsweise in den Straßennetzen, biologischen Netzwerken und Kooperationsnetzwerken.

Die Arbeit der Wissenschaftler ist ein erster großer Schritt in diese Richtung. Sie liefert nicht nur einen empirischen Vergleich des Verhaltens der meistgenutzten diskreten Versionen der Ricci-Krümmung, die Ollivier–Ricci und die Forman–Ricci-Krümmungen, sondern gibt auch in der Praxis eine bestätigende eindeutige Antwort. Nach der Analyse verschiedener unterschiedlicher Netzwerke und Datensätze aus zahlreichen Gebieten, unter anderem den Sozialwissenschaften und der Biologie, kamen die Forscher des interdisziplinären Teams zu dem Schluss, dass beide Wege trotz des unterschiedlichen Ansatzes zu sehr ähnlichen Ergebnissen führen. Der Vergleich gelingt interessanterweise besonders gut an real existierenden Netzwerken wie beispielsweise dem des europäischen Straßennetzes (siehe Abbildung). Dies öffnet eine neue Tür zur Analyse sehr großer Netzwerke.

*John Archibald Wheeler in “Geons, Black Holes, and Quantum Foam: A life in Physics (2000)

Diese vorliegende Arbeit ist ein gemeinsames Projekt von Mathematikern in Kooperation mit Informatikern und Biologen. Es wird insbesondere unterstützt von der Max-Planck-Partner-Gruppe für Mathematische Biologie am IMSc, Chennai, Indien. 

Beteiligte Einrichtungen:
The Institute of Mathematical Sciences, Chennai, India
Santa Fé Institute, Santa Fé, USA
Jiangnan University, Wuxi, China
University of Science and Technology of China, Hefei, China
ORT Braude College, Karmiel, Israel
Technion, Israel Institute of Technology, Haifa, Israel

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