Virtuelle Leber könnte Zahl der Tierversuche verringern
Forscher können die Strömungsdynamik der Gallenflüssigkeit in der Leber simulieren und so durch Medikamente verursachte Leberschäden vorhersagen
Die Leber ist maßgeblich an der Entgiftung des Körpers beteiligt. Dies macht sie besonders anfällig für Schäden durch Medikamente. Gallestauung ist daher eine häufige Nebenwirkung neuer Wirkstoffe, beispielsweise bei Überdosierungen. Neue Wirkstoffe müssen daher in Tierversuchen getestet werden, um Schäden an der Leber zu verhindern. Forscher des Max-Planck-Instituts für molekulare Zellbiologie und Genetik in Dresden haben nun ein Modell entwickelt, mit dem sie die Strömungsdynamik der Gallenflüssigkeit in der Leber simulieren können. Mit dem Modell können die Forscher Leberkrankheiten, aber auch Auswirkungen von Medikamenten auf die Leber erforschen. Als nächstes wollen die Wissenschaftler das Modell an die Verhältnisse in der menschlichen Leber anpassen. Tierversuche werden zwar in absehbarer Zukunft weiter notwendig sein. Das Modell könnte jedoch künftig dazu beitragen, ihre Zahl zu verringern.
Die Leber ist das zentrale Stoffwechselorgan und produziert unter anderem die Gallenflüssigkeit für den Fettabbau. Für den Abbau von Fetten und den Abtransport von Ausscheidungsprodukten bildet die Leber die Gallenflüssigkeit. Von dort fließt die Galle durch ein fein verästeltes Kanalnetzwerk in den Darm. Ein Forscherteam um Marino Zerial am Max-Planck-Institut für molekulare Zellbiologie und Genetik hat dieses Netzwerk in Mäusen mit hochauflösenden Mikroskopen untersucht und Aufbau und Struktur der Kanäle analysiert. Mit diesen Daten haben sie ein 3D-Modell der Gallengänge erstellt, das die Strömungseigenschaften der Gallenflüssigkeit nachstellen kann.
Das Modell bildet zwar bislang nur das Kanalnetzwerk der Mäuseleber nach, die Forscher arbeiten aber bereits daran, es auf die Leber des Menschen zu übertragen. „Ich bin sicher, dass wir unser Modell auch auf die menschliche Leber anwenden können“, sagt Zerial. Forscher könnten dann nicht nur Lebererkrankungen besser verstehen, sondern auch die Auswirkungen von Medikamente auf die Leber berechnen. Wie genau das Modell die realen Verhältnisse abbildet, zeigt das Beispiel von Paracetamol. „Als wir eine Überdosierung simuliert haben, sagte das Modell dieselben Symptome voraus wie bei einer echten Leberschädigung durch eine Überdosis Paracetamol.“ Für die Entwicklung neuer Medikamente würde das neue Modell somit extrem hilfreich sein: Mögliche Auswirkungen auf den Transport der Galle ließen sich damit vorhersagen und genauer testen.
Für neue Medikamente sind Tierversuche zur Überprüfung der Lebertoxizität gesetzlich vorgeschrieben. „Tierversuche werden für die Entwicklung neuer Medikamente leider auch künftig erforderlich sein. Da unsere Methode aber empfindlicher ist, können wir aus den Versuchen mehr Informationen gewinnen. Auf diese Weise könnte unser Modell dazu beitragen, dass künftig für die Medikamentenentwicklung weniger Tierversuche notwendig sein werden“, erklärt Zerial.
FF/HR