In der Sprache liegt Musik
Daniela Sammler erforscht die Strukturen im Gehirn, die Sprache und Musik verarbeiten und findet zahlreiche Gemeinsamkeiten
Eine Mutter singt ihrem Baby ein Wiegenlied vor. Wenn sie mit ihrem Kind spricht, modifiziert sie ihre Stimmlage. Was das Kind ‚versteht‘, ist die Melodie und die Emotion, die mit dieser Melodie vermittelt wird.
Für die Neuropsychologin Daniela Sammler, die am Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig forscht, ist die musikalische Melodie und die Sprachmelodie der „soziale Klebstoff“, der „kleinste gemeinsame Nenner in der menschlichen Evolution“.
„In beiden Fällen gibt es eine Grammatik, die wir – kulturspezifisch natürlich – früh lernen. In der Sprache ist ja geregelt, wie die Satzteile aufeinander folgen“, sagt 38-Jährige, die seit Sommer 2013 in Leipzig eine eigene Forschungsgruppe leitet. Auch wie einzelne Wörter oder Satzteile betont werden, kann den Inhalt eines Satzes grundsätzlich verändern. In dem Beispielsatz ‚Mary hat John das Buch gegeben‘ sei die Bedeutung unterschiedlich, je nachdem ob wir Mary oder John hervorheben.
Im Vergleich dazu existiert auch in der Musik eine Abfolge der Töne und Harmonien – die „musikalische Grammatik“. Wenn beispielsweise ein Pianist diese Regeln beim Klavierspiel verletzt, werden erstaunlicherweise ähnliche Hirn-Areale aktiviert wie bei einem grammatikalischen Fehler in einem Satz.
Musik und Sprache: Zwei Kommunikationskanäle, über die nur der Mensch verfügt
Dass wir Menschen mit Sprache und Musik zwei Kommunikationskanäle haben, über die kein anderes Lebewesen verfügt, ist für Daniela Sammler kein Zufall. Sie ist überzeugt, dass sich das menschliche Gehirn im Laufe der Evolution so verändert hat, dass es beides verarbeiten kann. Deshalb hat sich die Wissenschaftlerin auf die Suche nach den entsprechenden Hirnstrukturen gemacht.
Dafür untersucht ein Teil ihrer Forschungsgruppe, welche Rolle die Sprachmelodie spielt, also die Betonung von Wörtern, der Verlauf der Tonhöhe im Satz und der Tonfall des Gesprochenen. Der andere Teil erforscht die Wahrnehmung von Melodien in der Musik. Dazu wurde mit Hilfe der Julius Blüthner Pianofortefabrik in Leipzig extra ein Klavier gebaut, das im Magnetresonanztomograph (MRT) funktioniert. Die Wissenschaftler können damit die Hirnaktivierung von Pianisten messen, während diese auf dem Piano spielen. Spannend ist hier vor allem, wie Regelwissen das Musikmachen beeinflusst.
Beide Ansätze zeigen, dass in Sprache und Musik ähnliche Hirnareale bei der Verarbeitung von Melodien beteiligt sind – Ergebnisse, die in der Fachwelt große Anerkennung finden: „Dank der intensiven Forschungsarbeit von Daniela Sammler wissen wir heute, dass die neuronalen Grundlagen von Musik und Sprache noch ähnlicher sind als gedacht“, sagt Angela Friederici, Direktorin am selben Institut. „Ihr ist es auch zu verdanken, dass wir nun verstehen, welche zentrale Rolle die Sprachmelodie in unserer zwischenmenschlichen Kommunikation spielt.“
„Die eine auf Sprache oder Musik spezialisierte Hirn-Region gibt es dabei nicht“, betont Daniela Sammler. Musik aktiviert wie die Sprache etliche Hirn-Areale, die oft für andere Dinge zuständig sind. „Da wäre einerseits das Hören, dann die Motorik – wenn man zum Beispiel mit dem Fuß mit wippt. Und natürlich die emotionalen Zentren – sowie jene, die für das Abspeichern von Erinnerungen zuständig sind“, so die Wissenschaftlerin. Im Gehirn arbeiten verschiedene Regionen eng vernetzt. Dabei werden ähnliche Aufgaben in spezialisierten Arealen gebündelt. Wie dies funktioniert, möchte Daniela Sammler im Detail begreifen.
Was eint, was trennt unterschiedliche Kulturen?
Deshalb forscht sie auch an „Universalitäten“, also Gemeinsamkeiten von Musik- und Sprachverständnis, die über viele Kultur hinweg existieren, sowie an kulturell erlernten Unterschieden. Nehmen arabische Sprecher, die kein Deutsch verstehen, eine Satzmelodie im Deutschen ähnlich wahr wie deutsche Muttersprachler? Gilt dies auch umkehrt? Wird beispielsweise Kritik im Tonfall erkannt, egal ob man die Sprache beherrscht oder nicht?
Dieses und viele andere neue Projekte faszinieren Daniela Sammler, ihre Studenten staunen oft, wie gut die Ergebnisse aus Sprach- und Musikforschung zusammenpassen. Vier Doktoranden betreut die Wissenschaftlerin in ihrer Gruppe, dazu eine wechselnde Zahl von Studenten. Und ihre weiteren Pläne? „Das könnte ewig so weitergehen“, sagt Daniela Sammler. Kürzlich hat sie ihre Habilitation abgegeben, nun bewirbt sie sich auf offene Professuren. Ihr Weg führt also weiter. Am liebsten würde sie in Deutschland bleiben oder zumindest in Europa.
Text: Mechthild Zimmermann / Barbara Abrell