„Mein Ziel ist ein Quanteninternet“

Interview mit Gerhard Rempe über die Faszination und die Perspektiven der Quanteninformationstechnologie

10. April 2014
Gerhard Rempe, Direktor am Max-Planck-Institut für Quantenoptik in Garching, und seine Mitarbeiter erforschen die Grundlagen der Quanteninformationstechnologie. Die Forscher haben gelernt, einzelne Atomen und Photonen, Lichtteilchen, sowie die Wechselwirkungen zwischen beiden sehr präzise zu kontrollieren. So fangen sie einzelne Atome in Resonatoren, die im Wesentlichen aus zwei extrem guten Spiegeln bestehen. Indem sie ein Photon mit einem Atom im Resonator interagieren lassen, speichern sie Information in Form einzelner Bits im Atom, lesen das Bit wieder aus und übertragen es auf ein anderes Atom. Neuerdings haben sie sogar ein Atom mit einem Photon logisch verknüpft und damit einen elementaren Rechenschritt vollzogen. Wir sprechen mit Gerhard Rempe darüber, was ihn an diesen Experimenten fasziniert, welche Schwierigkeiten er und sein Team dabei zu bewältigen haben, welche Perspektiven er für die Quanteninformationstechnologie sieht und wie schwer sich manche sonderbaren Aspekte der Quantenphysik gegenüber Laien vermitteln lassen.

Herr Professor Rempe, wie haben Sie ihren Kindern, als diese klein waren, erklärt, womit Sie sich beschäftigen?

Gerhard Rempe: Das war sehr schwierig. Da kommt man gerade noch bis zum Überlagerungszustand, in dem ein Quantenteilchen gleichzeitig in zwei Zuständen existieren kann, bevor man seine Eigenschaft misst. Aber bei der Verschränkung von zwei Teilchen bin ich nicht weit gekommen. Ich habe versucht, den Effekt mit Würfeln darzustellen.

Können Sie das für uns noch mal versuchen?

Bei einem Würfel ergeben die gegenüber liegenden Zahlen zusammen immer sieben. Der sechs gegenüber liegt zum Beispiel die eins. Wenn ich also eine Zahl sehe, kenne ich sofort die andere. So ähnlich ist das auch, wenn ich die Eigenschaften verschränkter Teilchen messe. Das verrückte an der Verschränkung ist aber, dass das Ergebnis einer Messung auch von der Art der Messung abhängt – wir sprechen davon, dass wir die Basis drehen können. Das ist vielleicht so, als würde ich den Kopf zur Seite legen, um gleichzeitig etwas von den gegenüber liegenden Zahlen zu sehen. Das führt zu einer neuen, gedrehten „Zahl“, deren „Gegenzahl“ sich automatisch mit dreht. Aber Sie merken, mit Analogien ist es sehr schwierig, das zu vermitteln. Die Quantenphysik ist nicht anschaulich, da unsere Anschauung von der Alltagswelt geprägt ist, für die die Quantenphysik nicht gilt.

Wahrscheinlich muss man hinnehmen, dass Ihre Arbeit viele Menschen an die Grenzen ihrer Vorstellungskraft führt. Aber Ihre Forschung ist ja nicht nur konzeptionell schwierig zu verstehen. Ihre Experimente scheinen auch technisch unvorstellbar. Immerhin arbeiten Sie mit einzelnen Atomen und einzelnen Photonen.

Heute könnte ich sagen, dass es nicht schwierig ist, weil wir es jetzt können. Aber ich habe damit vor 20 Jahren angefangen. Und im Rückblick haben Sie Recht: Wir mussten einen langen, aber spannenden Weg zurücklegen, bis wir die Kontrolle über einzelne und dazu noch so unterschiedliche Teilchen wie Atome und Photonen gewonnen haben. Dafür mussten wir sehr viel Technologie bereitstellen. Bei der langen Entwicklung ist es toll, bei der Max-Planck-Gesellschaft zu sein, weil man hier langfristige Forschungsprojekte verfolgen und sich auf die Finanzierung verlassen kann.

Die Ausdauer hat sich offenbar gelohnt.

Auf Tagungen hören wir immer wieder Sätze der Anerkennung. Aber manche Doktoranden, die wir einstellen würden, trauen sich nicht zu uns, weil ihnen die Experimente zu anspruchsvoll sind. Andere reizt das natürlich gerade.

Welche Probleme mussten Sie bewältigen, um derart winzige Teilchen wie Atome und Photonen zu beherrschen?

Vorsicht: Die Atome sind extrem klein, unsere Photonen dagegen gar nicht. Die dehnen sich über mehrere hundert Meter aus, bewegen sich aber natürlich sehr schnell. Weil sie sich über so einen großen Raum erstrecken, können wir ihre Frequenz, also die Farbe extrem genau wählen.

Das ist auch eine der gewöhnungsbedürftigen Eigenschaften von Quantenobjekten, dass nicht jede ihrer Eigenschaften beliebig genau bestimmt werden kann. Worin bestehen andere Herausforderungen in Ihren Experimenten?

Wir fangen unsere Atome zwischen zwei sehr nahe beieinander stehenden Spiegeln. Dabei standen uns anfangs immer die Spiegel im Weg, wenn wir mit Laserstrahlen an das Atom heran kommen wollten, um es zu kühlen oder seinen Zustand zu beeinflussen.

Wie haben Sie dieses Problem gelöst?

Wir haben dafür etwa spezielle Kühltechniken entwickelt. Für Atome im freien Raum gibt es einige Kühlmethoden. Unter anderem dafür hat zum Beispiel David Wineland 2012 den Physik-Nobelpreis bekommen. Wir berücksichtigen dagegen die speziellen Strahlungseigenschaften des Atoms im Resonator, die andere sind als im freien Raum. Das Atom sieht sich zwischen den Spiegeln vielleicht eine Million Mal selbst. Das nutzen wir aus, um das Atom zu kühlen.

Warum interessiert sie das System aus einem Atom in einem Resonator besonders?

Dafür gibt es zwei Gründe. Zum einen bin ich eigentlich Laserphysiker. In meiner Diplomarbeit habe ich Laser gebaut. Und was ist ein Laser? Ein Medium zwischen zwei Spiegeln, das ich anrege und das Licht verstärkt. Da habe ich mich irgendwann gefragt, was sind dafür die Grenzen. Kann ich auch einen Laser aus einem Atom zwischen zwei Spiegeln bauen? Das ist bisher noch nicht wirklich gelungen. Ein Problem dabei ist, dass die Spiegel desto besser sein müssen, je weiter ich die Zahl der Atome dazwischen reduziere.

Was ist der zweite Grund?

Wenn ich mit einem so einfachen System arbeite, das nur aus einem Atom und einem Photon mit einer Frequenz, mit einer Polarisation und einer Wellenlänge besteht, kann ich viele grundlegende Fragen untersuchen. Man könnte ja meinen, bei so einem einfachen System passiert gar nicht viel, dabei geschieht aber eine Menge.

Was passiert denn da?

Am allerwichtigsten ist, dass die Wechselwirkung zwischen Licht und Materie nichtlinear wird. Wenn die Wechselwirkung linear wäre, würde das Atom zum Beispiel bei doppelt so viel Licht einfach doppelt so stark reagieren. So ist es bei einem einzelnen Atom aber nicht. Wenn ich dem Atom ein Photon anbiete, wird es vom Atom absorbiert. Dabei geht das Atom vom Grundzustand in einen angeregten Zustand über. Wenn jetzt das zweite Photon kommt, kann das Atom dieses nicht mehr absorbieren, da es ja schon angeregt ist. Es kann nur emittieren, aus dem anfänglichen Absorber ist als ein Emitter geworden. Ein einzelnes Photon kann also die Strahlungseigenschaften eines nur aus einem Atom bestehenden Mediums komplett auf den Kopf stellen. So etwas geht mit einem Medium aus vielen Atomen natürlich nicht. Insofern bedeutet die Reduktion auf einzelne Teilchen keine Limitation, sondern eine Chance. Denn ein Atom und ein Photon reden viel intensiver miteinander.

Welche Rolle spielt dabei der Resonator?

Ohne den Resonator treffe ich das Atom gar nicht richtig. Das Atom ist viel kleiner als ein Lichtstrahl, selbst wenn ich diesen optimal fokussiere. Dadurch wird es sehr unwahrscheinlich, dass das Photon dem Atom begegnet und die beiden in einen intensiven Dialog treten. Zwischen den Spiegeln wird das Photon aber immer wieder reflektiert, sodass sich die Wahrscheinlichkeit vervielfacht, dass das Photon mit dem Atom wechselwirkt.

Die experimentellen Hürden sind in Ihrer Forschung offenbar hoch. Welches langfristige Ziel verfolgen Sie damit?

Unser Weg verläuft nicht immer geradlinig, manchmal gucken wir auch rechts und links. Das ist wie im Gebirge, da kann man auch mal durch eine besonders schöne Landschaft abseits des eigentlichen Weges driften.

Und der Quantencomputer ist der Gipfel?

In der Öffentlichkeit wird immer der Quantencomputer genannt, ich weiß auch nicht warum. Der ist aber nur eine der Möglichkeiten, die uns die Quanteninformationstechnologie bietet. Ob und wann es ihn geben wird, ist noch völlig offen.

Welches Ziel streben Sie stattdessen an?

Wir wollen nicht rechnen, sondern kommunizieren. Mein langfristiges Ziel ist ein Quanteninternet, das eine große Kapazität hat, weite Strecken überbrückt und abhörsicher ist, damit beispielsweise die NSA nicht mehr mithören kann.

Die ist vermutlich am Quantencomputer sehr interessiert…

…weil sich klassische Verschlüsselungen mit einem Quantencomputer schnell knacken ließen. Mit der Quantenkryptografie ist das aber nicht mehr unbemerkt möglich. Quantenkryptografie kann man heute sogar schon kaufen, aber sie funktioniert nur über wenige Kilometer und nur zwischen zwei Parteien. Unser hybrides System aus einem Photon und einem Atom im Resonator macht es möglich, Quanteninformation sicher über weite Strecken zu übertragen und auch zwischen mehreren Parteien zu kommunizieren.

Inwiefern ist Ihr System dafür besonders gut geeignet?

Zum einen brauche ich Photonen. Sie sind die einzigen möglichen Träger von Information über große Distanzen. Denn ich kann mein Atom schlecht in einen Koffer packen und von A nach B tragen. Für die Übertragung sind Photonen gut, sehr gut sogar, aber sie gehen leider immer wieder verloren. Also muss ich die Information verstärken, wenn ich sie über große Strecken schicken will. Quanteninformation kann ich aber nicht wie klassische Information verstärken. Dafür brauche ich einen Quantenrepeater…

…einen Verstärker, der den Quantencharakter der Information erhält.

… genau, und für diesen wiederum brauche ich einen Quantenspeicher, etwas, was sich mit unseren Atomen optimal realisieren lässt. Solche Quantenspeicher wären nicht nur für den Quantenrepeater, sondern auch für viele andere Anwendungen wichtig.

Woran denken Sie jetzt zum Beispiel?

Ein solcher Speicher ist sehr wichtig, wenn ich eine Verbindung zwischen drei und mehr Parteien aufbauen will, wo Synchronisierung essentiell ist. Wenn ich Information nur von A nach B übertragen möchte, läuft alles sequentiell ab. Wenn aber eine dritte Partei dabei ist, muss die wissen, wann sie ihre Information senden soll. Bis dahin muss sie die Information festhalten, wozu sie einen Speicher braucht. Solche Verbindungen zwischen mehreren Parteien sind ja im Internet Gang und Gäbe. Skalierbarkeit ist also das Stichwort.

Die Möglichkeit, viele Systeme, die im Kleinen funktionieren, zu einem größeren zu kombinieren.

Ganz genau! Skalierbar ist ein System, wenn die technischen Schwierigkeiten beim Ausbau nur linear zunehmen, während die Möglichkeiten exponentiell wachsen. Das volle Potenzial von verschränkten Systemen etwa für das Quantencomputing lässt sich nur in größeren Systemen ausschöpfen. Manche Vorschläge für einen Quantencomputer sind aber nicht skalierbar.

Können Sie dafür ein Beispiel geben?

Mit in einer Kette angeordneten Ionen hat man schon Quantengatter, also logische Verknüpfungen, gemacht. Mit bis zu 14 Ionen ging das bisher. Aber wenn ich am einen Ende der Kette ein Ion adressiere, muss ich die Information dabei durch die ganze Kette transportieren, um sie zum anderen Ende zu senden.

Dabei geht die Information umso leichter verloren, je länger die Kette ist.

Das stimmt. Vielleicht kann man immer noch ein Ion dazu nehmen, wie man ja auch immer noch ein Taschentuch in einen Koffer quetschen kann, aber irgendwann ist Schluss. Dieses System ist daher so nicht skalierbar. Unser System ist dagegen skalierbar.

Sie können es also theoretisch beliebig oft miteinander kombinieren. Ist also schon absehbar, wann wir ein abhörsicheres Quanteninternet haben werden?

Das ist schwierig. Die Geschichte der Welt verläuft nicht linear. Wenn morgen eine Überraschung kommt, machen wir übermorgen vielleicht alle etwas anderes. Das ist nicht schlimm, denn gerade in der Grundlagenforschung suchen wir ja die Überraschungen, ohne die es eigentlich langweilig wäre. Daher mein Fazit: Lassen wir uns überraschen!

Das Interview führte Peter Hergersberg

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