Unterschied zwischen Mensch und Schimpanse größer als gedacht

Scheinbar geringe Differenzen zwischen Schimpansen-Chromosoms 22 und menschlichem Chromosom 21 haben erhebliche Folgen für die kodierten Proteine

27. Mai 2004

Bisher ging man davon aus, dass Mensch und Schimpanse sich in ihrem Erbgut nur geringfügig unterscheiden. Doch jetzt hat ein Team von Wissenschaftlern aus Deutschland, China, Japan, Korea und Taiwan beim direkten Vergleich des Schimpansenchromosoms 22 mit seinem menschlichen Gegenstück, dem Chromosom 21, festgestellt, dass im menschlichen Chromosom fast 68.000 Basenabschnitte verändert, also entweder hinzugekommen oder verloren gegangen sind. Während die meisten dieser Veränderungen keinen oder nur einen geringen Einfluss auf die Funktion der kodierten Proteine haben, fanden die Forscher bei immerhin 20 Prozent davon wesentliche strukturelle Unterschiede. Rechnet man diese Differenzen auf das gesamte Genom hoch, könnten sich Affe und Mensch in mehreren Tausend Genen unterscheiden - was die Unterschiede zwischen beiden Arten besser erklären würde (Nature, 27. Mai 2004).

Der Schimpanse Pan Troglodytes ist unser nächster Verwandter, mit dem wir einen gemeinsame Vorfahren teilen, der vor etwa fünf bis sechs Millionen Jahren gelebt hat. Seit langem versucht man deshalb die molekulare Basis jener evolutionären Veränderungen zu entschlüsseln, die zu zwei Organismen mit klaren Unterschieden in Phänotyp und Verhalten geführt haben. Durch den Vergleich zwischen Schimpansen- und Human-Genom will man herausfinden, welche genetischen Veränderungen zu so eindeutig menschlichen Eigenschaften geführt haben, wie Kognition und Bewusstsein, aufrechter Gang oder eine veränderte Empfänglichkeit für Krankheiten. Hierbei ging man bisher davon aus, dass die Genome von Mensch und Schimpanse auf der Ebene ihrer Bausteine (Nuleotide) zu 98,6 Prozent übereinstimmen.

Während sich die vergleichende Genomforschung zwischen relativ weit voneinander entfernten Organismen (evolutionäre Distanz zwischen Mensch und Maus: 60 Millionen Jahre) darauf konzentriert, Übereinstimmungen zwischen den Arten zu finden, führt das Schimpansen-Genom eher zu den Unterschieden zwischen Affe und Mensch. Wissenschaftler des "International Chimpanzee Genome Chromosome 22 Sequencing Consortium" haben jetzt einen kleinen Teil des Erbguts von Mensch und Schimpanse, das menschliche Chromosom 21 und sein Pendant, das Schimpansenchromosom 22, mit bisher unerreichter Genauigkeit analysiert und verglichen. Dabei stellten sie fest, dass die Zahl der geringfügigen Abweichungen - wenn also eine einzelne Base gegen eine andere ausgetaucht war - lediglich 1,44 Prozent beträgt, was bisherige Schätzungen einer 98,6-prozentigen Identität bestätigen würde.

Doch daneben fanden die Forscher fast 68.000 längere Abschnitte im Erbgut, in denen ganze Basenfolgen als Insertion eingebaut oder als Deletion verloren gegangen sind. Damit aber unterscheidet sich die Aminosäuresequenz der von den 231 entdeckten Genen kodierten Proteine bei Mensch und Affe zu 83 Prozent. Allerdings haben die meisten dieser Veränderungen keinen oder nur einen geringfügigen Einfluss auf die Funktion der Proteine. Doch bei immerhin 47 Proteinen, also 20 Prozent, fanden sich wesentliche strukturelle Unterschiede.

Während also viele Proteine bei Schimpanse und Mensch absolut identisch sind, zeigen sich bei einigen Eiweißen strukturelle Unterschiede, die zu andersartigen Funktionen führen können. Wenn man berücksichtigt, dass die Chromosomen 21 bzw. 22 nur etwa ein Prozent des gesamten Erbguts tragen, könnten die Unterschiede zwischen Mensch und Schimpanse mehrere Tausend Gene umfassen. Damit aber wären die genetischen Unterschiede zwischen dem Menschen und seinem nächsten Verwandten doch viel größer und komplexer als bisher vermutet, sagt Marie-Laure Yaspo, Leiterin des Chomosomen-Projekts am Max-Planck-Institut für molekulare Genetik.

Als Nächstes wollen die Forscher nun ausgewählte Regionen der Geschlechtschromosomen sequenzieren, also die X- und Y-Chromosomen von Mensch und Affe miteinander vergleichen. So ist das X-Chromosom von besonderem medizinischen Interesse wegen der großen Zahl der damit verbundenen Erbkrankheiten, speziell von verschiedenen Formen geistiger Retardierung.

Die Sequenzierung des Chromosoms 22 wurde vom japanischen RIKEN-Institut in Yokohama sowie vom Max-Planck-Institut für molekulare Genetik in Berlin koordiniert und die komplette Sequenz im Juli 2003 veröffentlicht. Danach hat dieses Konsortium auch den unmittelbaren Vergleich beider Chromosomen erarbeitet. An dem internationalen Forscherteam waren neben den Berliner Max-Planck-Wissenschaftlern um Prof. Hans Lehrach noch zahlreiche andere Forscher aus ganz Deutschland beteiligt, darunter von der Gesellschaft für Biotechnologische Forschung in Braunschweig, vom Institut für Molekulare Biotechnologie in Jena sowie vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig. Ihre Beiträge zu diesem Genom-Projekt stellen einen wichtigen Meilenstein in der Arbeit des Nationalen Genomforschungsnetzes (NGFN) in Deutschland dar, das aus Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung finanziert wird.

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Die Partner im "International Chimpanzee Genome Chromosome 22 Sequencing Consortium" sind:

China
Chinese National Human Genome Center at Shanghai: Zhu Chen (zchen@stn.sh.cn )

Deutschland
Max-Planck-Institut für molekulare Genetik: Marie-Laure Yaspo (yaspo@molgen.mpg.de)
Institut für Molekulare Biotechnologie: Matthias Platzer (mplatzer@imb-jena.de)

Gesellschaft für Biotechnologische Forschung: Helmut Blöcker (bloecker@gbf.de)
Max-Planck-Institut für Evolutionäre Anthropologie: Svante Pääbo (paabo@eva.mpg.de)

Japan
RIKEN Genomics Sciences Center: Yoshiyuki Sakaki (sakaki@gsc.riken.go.jp)
National Institute of Genetics: Naruya Saitou (nsaitou@genes.nig.ac.jp)

Korea
Korea Research Institute of Basic Sciences and Biotechnology: Hong-Seog Park (hspark@mail.kribb.re.kr)

Taiwan
National Health Research Institutes: Shih-Feng Tsai (ympetsai@ym.edu.tw)

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