Wie Wissenschaft im Film authentisch bleibt
Antje Boetius über den Science-Fiction-Thriller „Der Schwarm“
Die Tiefseeforscherin Antje Boetius hat die Verfilmung von Frank Schätzings Bestseller „Der Schwarm“, der mit 6,8 Millionen bei der Premiere enorme Zuschauerzahlen erreichte, beratend unterstützt. Verglichen mit Terra X-Dokumentationen, die es auf rund die Hälfte der Zuschauenden bringen, zeigt dies das Potenzial fiktionaler Formate für die Wissenschaftskommunikation. Dabei dominieren dramatische Szenen aus der Tiefsee: Eine unentdeckte Schwarmintelligenz aus dem Meer bedroht die Menschen, um den Ozean vor ihnen zu schützen. Antje Boetius, Direktorin am Alfred-Wegener-Institut und Gruppenleiterin am Max-Planck-Institut für marine Mikrobiologie, erzählt, wie die Zusammenarbeit mit den Produzenten gelungen ist.
Frau Boetius, Sie haben die Produzenten von „Der Schwarm“ – einer Geschichte, in der die Wissenschaft eine Hauptrolle spielt – beraten. Hatten Sie das Gefühl, das hatte einen Mehrwert?
Antje Boetius: Auf jeden Fall. Für mich war das eine völlig neue und lehrreiche Erfahrung, wie eine solche Produktion überhaupt entsteht und wie viele Menschen daran beteiligt sind. Für das Filmteam war es wichtig, zu erfahren, wie Meeresforschung funktioniert. Zum Beispiel, wie auf einem Forschungsschiff gearbeitet wird, wie die Labore und Messgeräte aussehen. Neben der reinen Szenenberatung ging es aber auch darum, wie Forschende miteinander reden, wie divers und international Forschung ist. Ob es Generationenkonflikte gibt und wie aktivistisch Forschung sein kann. Und dann natürlich um wissenschaftliche Fakten.
Die gezeigten Katastrophen sind verkürzte und verkettete Darstellungen von realen Phänomenen wie im Original-Bestseller. Im Team haben wir darauf geachtet, wie nah man an der Realität bleiben kann und wo Fiktion anfangen muss, beispielsweise um die Vergiftung von Menschen durch befallene Hummer zu erklären, Massenwanderungen von Krebsen oder angreifende Wale. Außerdem gibt es einen begleitenden Dokumentarfilm, der die Fiktion und Fakten der Serie entwirrt. So gibt es ein rundes Bild für die Zuschauenden.
Wie wurden Ihre Vorschläge angenommen?
Insgesamt haben die Produzenten viel umgesetzt, aber mir auch gesagt, wo ihre fiktive Storyline verläuft, welche Phänomene Verstärkung brauchen oder auch wo einfach Zeit und Geld nicht reichten. Die Nachbearbeitung der Animationen ist zum Beispiel extrem teuer und aufwändig.
Gerade bei der Frage des intelligenten Schwarmwesens schien es mir ausreichend, nur ein bisschen Fantasie zum echten Forschungsstand hinzuzufügen, um eine Fiktion des weltweit vernetzten, kommunizierenden, intelligenten Schwarms entstehen zu lassen. Chefproduzent Frank Doelger erklärte mir, dass sie ein Wesen erzeugen wollen, das zu allem in der Lage sei: akustischer Kommunikation, Umlenkung von Meeresströmungen, Alien-artiger Befall anderer Lebewesen. Ich fand das sehr interessant, zu sehen, wo er die Linie zieht, und wie das Team die Wissenschaft versteht und abbilden wollte. Wo heftig eingegriffen wurde im Gegensatz zum Buch, waren die Figuren: Es gibt viel mehr Frauen als Heldinnen. Auch die Rollen wurden international besetzt und deutlich diverser.
Wie haben die Schauspieler und Produzenten auf Ihre Beratung reagiert?
Forschungswissen ist einfach keine Allgemeinbildung. Deshalb wurde die Beratung dankbar angenommen. Umgekehrt habe ich ja auch ganz viel gelernt. Für mich war das alles wie eine Expedition, und ich liebe Expeditionen! Es sind natürlich zwei völlig verschiedene Welten, Produktion von Fernsehen und wissenschaftlicher Erkenntnis. Aber gerade aktuell ist es spannend sich damit zu beschäftigen, wie große Themen wie Klimakrise, Extremwetter, Artensterben, Risikoabschätzung in Wissenschaft und Gesellschaft und Aktivismus in beiden Welten zu Veränderungen führen. Es gibt immer mehr Filme, die Eingriffe in die Meere in den Mittelpunkt stellen, wie der neue „Avatar“ oder auch „Wakanda Forever“.
Was ist mit den Stellen im „Schwarm“, in denen die Realität in den Hintergrund rückt. Verzerrt dies das Bild der Wissenschaft?
Das kommt auf die Perspektive an. In den Details ist vieles stark vereinfacht oder kondensiert. Aber von der Ferne aus betrachtet finde ich es recht aktuell: Die Geschichte stellt dar, was für eine Herausforderung und welches Kommunikationsrisiko neue, unbegreifliche Entdeckungen bergen. Die Zuschauenden sehen, wie Wissenschaft passiert, wie mühsam Erkenntnis entsteht und sich auch durch Zufälle weiterentwickelt. Es herrscht eine globale Krise und Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die besonders vernetzt denken, die besonders viele Fragen stellen, erzeugen Aufruhr in ihrer Fachgemeinschaft und in der Politik, in dem sie warnen. Das bildet auch ganz aktuelle Diskussion ab: Wie aktivistisch kann Wissenschaft sein? Darf sie das, muss sie das, soll sie das? Wie politisch ist Wissenschaft?
Wie viel Potenzial sehen Sie in fiktionalen Formaten, um Menschen für Wissenschaft zu interessieren?
Das Potenzial für die Wissenschaftskommunikation, Interesse an der Methode Forschung und an dem Berufsbild Wissenschaft zu wecken, ist riesig. Das kann ich aus eigener Erfahrung sagen: Als Kind ist mein Berufswunsch allein auf der Basis von Filmen und Büchern entstanden. Andere Beispiele sind: Als „The Big Bang Theory“ ausgestrahlt wurde, wollten mehr junge Menschen Physik studieren. Als „Charité“ lief, haben Leute sich viel mehr für Hygieneforschung und das Gesundheitswesen interessiert.
Ich glaube, die Wirkung von Medien ist sehr groß. Spannende Stories und Bilder, ob Utopien oder Dystopien, ziehen Menschen an. Gerade die Frage, wie wir besser Szenarien und Entscheidungsoptionen bebildern können und verschiedensten Menschen damit Zugang zu ihren Optionen verschaffen, ist ein verbindendes Element. Auch in der Wissenschaft erzeugen wir mit Simulationen, Projektionen, Experimenten Bilder der Zukunft. Wie die Kunst hat Wissenschaft Instrumente, die sogenannte Realität, die Gegenwart zu hinterfragen und zu überlegen, wie es noch sein könnte. Filme können das gut transportieren.
Das Interview führte Emma Lehmkuhl.