Zitat der Mainauer-Erklärung von 1955

Appell der Wissenschaft gegen den Krieg

Otto Hahn und die Mainauer Deklaration von 1955

Der erste Präsident der Max-Planck-Gesellschaft Otto Hahn (1879-1968) gehört nicht nur zu den wichtigsten Forschern des 20. Jahrhunderts, sondern auch zu jenen Wissenschaftlern, die sich nach dem Zweiten Weltkrieg massiv gegen einen drohenden Atomkrieg und das Wettrüsten im Kalten Krieg engagierten. Die Max-Planck-Gesellschaft als Organisation für Grundlagenforschung sieht sich dem Erbe Otto Hahns verpflichtet. Angesichts der aktuellen Kriegslage in der Ukraine sind seine Appelle, Technik, Wissenschaft und Forschung nur zum Wohl der Menschheit einzusetzen, und gegen atomare Waffen auch eine Mahnung an die Gegenwart.

1938 hatte Otto Hahn, gemeinsam mit seinem Assistenten Fritz Straßmann, im Berliner Kaiser-Wilhelm-Institut für Chemie ein Experiment durchgeführt, das zur Spaltung von Uranatomkernen geführt hatte. Seine Kollegin Lise Meitner lieferte aus dem schwedischen Exil, gemeinsam mit Otto Robert Frisch, die physikalische Erklärung für Hahns unerwartete Entdeckung und seine chemischen Messungen. Diese war nicht nur ein Meilenstein für die Atomphysik und Radiochemie, sondern legte auch die Grundlage für die Entwicklung atomarer Waffen.

Treibend wirkte dabei der Zweite Weltkrieg, den Deutschland nur ein Jahr nach Hahns Entdeckung mit dem Überfall auf Polen im September 1939 entfesselt hatte. Der Krieg weitete sich zum Weltkrieg aus und führte in den USA zum Manhattan Projekt, in welchem die wissenschaftlich-technische Entwicklung einer Atombombe erfolgreich vorangetrieben wurde – nicht zuletzt mithilfe jüdischer Forscher, die aus Nazi-Deutschland geflohen waren.

Als Deutschland im Mai 1945 kapitulierte, setzten die USA die neue Bombe erstmals militärisch im Kampf gegen Japan ein: Im August 1945 warfen amerikanische Bomber eine Uranbombe und eine Plutoniumbombe über den japanischen Städte Hiroshima und Nagasaki ab. Das Ausmaß der Zerstörung glich jener von Naturkatastrophen. Hinzu kamen Strahlenschäden, die in dieser Form neue Schreckensszenarien schufen.

Otto Hahn reagierte auf die Nachricht mit tiefer Bestürzung. Er befand sich zu diesem Zeitpunkt mit anderen Atomforschern als Kriegsgefangener in Großbritannien. Wenige Wochen später erhielt er für seine Entdeckung den Nobelpreis für Chemie. Nach Deutschland zurückgekehrt, wurde Hahn 1948 Gründungpräsident der in Westdeutschland aus den Trümmern der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft gegründeten Max-Planck-Gesellschaft. Die persönliche Betroffenheit angesichts der verheerenden Folgen, die seine Entdeckung der Kernspaltung gezeitigt hatte, veranlasste ihn, sich in den folgenden Jahren intensiv für den Erhalt des Friedens und den Verzicht auf Kernwaffen zu engagieren.

Der militärische Einsatz von Atombomben in Japan war der Anfang des nuklearen Wettlaufs der Supermächte, der erst durch die Politik Michail Gorbatschows deeskaliert wurde und schließlich zum Fall des Eisernen Vorhangs führte. Bereits vier Jahre nach der Hiroshima-Bombe testete 1949 die Sowjetunion ihre erste Atombombe. Als Antwort entwickelten die USA eine Wasserstoffbombe, die 1952 auf dem Eniwetok-Atoll auf den Marshall-Inseln getestet wurde und deren Sprengkraft 500-mal größer war als die der Plutoniumbombe auf Nagasaki. Auch die UdSSR hatte inzwischen die Wasserstoffbombe entwickelt.

Appell von Wissenschaftlern im Kalten Krieg

Angesichts dieser Entwicklungen und der Möglichkeit die Strahlenschäden der Wasserstoffbombe durch einen Kobaltmantel noch massiver zu machen, appellierte Hahn in einer großen Rundfunkrede an die Politiker auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs, den Wahnsinn zu stoppen. Am 13. Februar 1955 verlas er seinen Appell „Cobalt 60 – Gefahr oder Segen für die Menschheit?“ im Rundfunk, der ihn in Deutschland, Dänemark und Norwegen ausstrahlte. Wenige Tage später lud die BBC Otto Hahn ein, seinen Vortrag auf Englisch auch in ihrem Sender zu verlesen.

Hahn entwarf darin – geprägt durch die Erfahrung des Hitler-Regimes – das Szenario eines Dritten Weltkriegs und mahnte:

In der Hand der politischen Führer liegt heute eine ungeheure Verantwortung. […] Ein geisteskranker oder machtbesessener Diktator könnte dann […] die zivilisierte Welt, damit aber auch sein eigenes Land, dem Strahlentod übergeben. […] Eine solche Möglichkeit darf niemals eintreten, und darum die Notwendigkeit einer wahrhaft internationalen Kontrolle über die Entwicklung der Atomwaffen oder besser: eines friedlichen Zusammenlebens der Völker. […] Heute ist der Krieg nicht mehr ‚die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln‘. In einem Bombenkrieg gibt es nicht mehr Sieger und Besiegte.“

Seine Hoffnung, dass der „Appell aller verantwortungsbewussten Wissenschaftler, denen die Gefahren der Anwendung eines die Welt bedrohenden Kriegsmittels bekannt sind“ „die Verantwortlichen der großen Politik […]  an einen Verhandlungstisch […]  bringen“ könne, blieb jedoch unerfüllt.

Obwohl Hahns Appell große öffentliche Zustimmung auslöste, weitete sich das Wettrüsten aus – ab 1955 auch unter potentiell aktiver Beteiligung der Bundesrepublik Deutschland, die im Mai 1955 ihre volle Souveränität zurückerhalten hatte. Um seinem Appell Nachdruck zu verleihen initiierte Hahn beim Lindauer Nobelpreisträgertreffen im Sommer 1955 die Mainauer Erklärung. Unterzeichner waren neben Werner Heisenberg und Max Born 15 weitere deutsche und internationale Nobelpreisträger. Mit letztlich 52 Unterzeichnern weltweit ist die Erklärung das gewichtigste Dokument eines Friedensappells durch Wissenschaftler. Dort heißt es:

„Mit Freuden haben wir unser Leben in den Dienst der Wissenschaft gestellt. Sie ist, so glauben wir, ein Weg zu einem glücklicheren Leben der Menschen. Wir sehen mit Entsetzen, dass eben diese Wissenschaft der Menschheit Mittel in die Hand gibt, sich selbst zu zerstören.

Wenn ein Krieg zwischen den Großmächten entstünde, wer könnte garantieren, dass er sich nicht zu einem solchen tödlichen Kampf entwickelte? So ruft eine Nation, die sich auf einen totalen Krieg einlässt, ihren eigenen Untergang herbei und gefährdet die ganze Welt.

Alle Nationen müssen zu der Entscheidung kommen, freiwillig auf die Gewalt als letztes Mittel der Politik zu verzichten. Sind sie dazu nicht bereit, so werden sie aufhören, zu existieren.“

Als Präsident der Max-Planck-Gesellschaft förderte Hahn in den folgenden Jahren aktiv das friedliche Miteinander der Nationen durch Wissenschaft und half insbesondere beim Aufbau diplomatischer Beziehungen zwischen Deutschland und Israel. Er war 1959 der erste Deutsche, der nach dem Zweiten Weltkrieg auf Einladung des Weizmann-Instituts nach Israel reiste und damit sowohl den wissenschaftlichen Austausch wieder belebte, als auch eine Normalisierung im Verhältnis Deutschlands zu Israel einleitete.

Heute ist die Max-Planck-Gesellschaft weltweit mit Forscher*innen in allen Kontinenten vernetzt. Unter den vielen Kooperationsprojekten sind auch viele wertvolle Kooperationen mit Kolleg*innen aus der Ukraine und aus Russland, vor allem im Bereich Klima- und Umweltforschung.

SK

Weitere interessante Beiträge

Zur Redakteursansicht