Earth Day 2019: „Durch geeignete Düngeverfahren lassen sich Verluste deutlich reduzieren“

Stickstoffverbindungen in der Luft und im Wasser belasten die Gesundheit von Menschen und gefährden Ökosysteme. Wir sprachen mit Sönke Zaehle, Wissenschaftler am Max-Planck-Institut für Biogeochemie, über die Folgen der Emissionen und mögliche Maßnahmen dagegen.

Herr Zaehle, was sind die wichtigsten Quellen für Stickstoffemissionen?

In Deutschland gelangen einem Bericht des Umweltbundesamtes zufolge durch die Landwirtschaft jährlich 435 Gigatonnen Stickstoff in Form von Ammoniak in die Atmosphäre, etwa genauso viel wird als Ammonium und Nitrat aus den Feldern ausgewaschen. Im Verkehr und der Industrie werden etwa 360 Gigatonnen in Form von Stickoxiden freigesetzt, 60 Prozent davon im Verkehr.

Welche Folgen haben die Emissionen der verschiedenen Stickstoffverbindungen für Mensch und Umwelt?

Da gibt es mehrere Aspekte. Einer ist die Belastung der menschlichen Gesundheit. Die Emissionen von Ammoniak und Stickoxiden beeinträchtigen durch die Reizwirkung beziehungsweise durch die Bildung von Feinstaub die Gesundheit. Daneben belasten hauptsächlich die landwirtschaftlichen Einträge das Grundwasser und die nebenliegenden Ökosysteme, sodass es zu einer Nährstoffanreicherung in diesen Ökosystemen kommt. Das wirkt sich negativ auf die Biodiversität, aber auch auf die Qualität des Grundwassers aus. Schließlich gibt es noch die Lachgas-Emissionen, die dem Klima schaden. Diesen Aspekt darf man nicht vergessen. Das besondere Problem beim Stickstoff ist, dass jedes zusätzliche Gramm Stickstoff in der Umwelt an einer Kaskade von biochemischen Umwandlungen teilnimmt, und so mehrere dieser Wirkungen nacheinander verursachen kann.

Durch den Dieselskandal sind vor allem die Stickoxid-Emissionen im Straßenverkehr ins Blickfeld geraten. Ist das gerechtfertigt?

Auch aus Sicht des Stickstoffkreislaufs kann man hier durchaus noch etwas machen. Diese Emissionen tragen ebenfalls zur Nährstoffanreicherung in Ökosystemen bei. Weil sie vor allem in Ballungsräumen auftreten, sind sie aus gesundheitspolitischer Sicht wahrscheinlich auch relevanter als die landwirtschaftlichen Emissionen in der Fläche. Aber letztere sind mengenmäßig viel bedeutender.

Wie lassen sich die Emissionen aus der Landwirtschaft effektiv eindämmen?

Man muss zunächst einmal verstehen, dass der Einsatz von Stickstoff bei der Produktion von Getreide und Fleisch notwendig ist. Das Problem ist aber, dass etwa 80 Prozent des eingesetzten Stickstoffs nicht in den landwirtschaftlichen Produkten landet, weil er von Pflanzen und Tieren nicht genutzt werden kann, und in der Umwelt verbleibt. Durch geeignete Düngeverfahren lassen sich diese Verluste deutlich reduzieren. Landwirte könnten zum Beispiel die Stickstoffdüngung an die Witterungs- und Bodenverhältnisse anpassen, sie sollten stärker berücksichtigen, wie sich die Verfügbarkeit von Nährstoffen mit der Zeit ändert, oder auch technische Verfahren anwenden, um die Gülle bodennah einzubringen, Schließlich gibt es die Möglichkeit der Gründüngung. Dabei bauen Landwirte Pflanzen wie Raps, Klee oder Lupinen an, die Stickstoff direkt aus der Luft binden. Das hat den Vorteil, dass der Stickstoff dann organisch gebunden ist und nicht so schnell ausgewaschen wird oder in die Atmosphäre gelangt. Wichtig ist aber auch, den Gesamteintrag von Stickstoff, zum Beispiel durch die Verwendung von künstlichem Stickstoffdünger zu reduzieren. So eine Reduzierung ist etwa über eine Stickstoff-Kreislaufwirtschaft möglich, wie sie mit der Düngeverordnung von 2017 schon angestrebt wird.

Worum geht es da?

Vor allem Betriebe, die Viehwirtschaft betreiben, wie verbreitet zum Beispiel in Nordwestdeutschland, aber auch in Bayern, weisen einen sehr großen Stickstoffüberschuss auf. Sie setzen künstlichen Dünger zur Futterproduktion ein, produzieren aber auch viel stickstoffhaltige Tierabfälle wie Gülle, die sie auf eigenen Feldern als Dünger ausbringen. Sie sollten versuchen, diesen Überschuss zu reduzieren, indem sie den Stickstoff effizienter verwenden und die Verluste reduzieren. Zusätzlich könnte man die Gülle auch trocknen und so transportfähiger machen, um sie in Regionen, in denen es keinen so hohen Stickstoffüberschuss gibt, als Dünger einsetzen. So ließe sich die Belastung am Ort der Herstellung senken, und in den entfernteren Regionen müsste nicht mehr so viel künstlicher Dünger eingesetzt werden.

Sollte der Staat das regeln?

Das tut er bereits, aber nur auf der Basis von Empfehlungen. Da steht die Zahl von 50 Kilogramm pro Hektar für den maximalen betrieblichen Überschuss im Raum. In Niedersachsen, wo ich herkomme, beträgt der Überschuss zur Zeit aber teilweise noch über 80 Kilogramm. Allerdings möchte ich auch erwähnen, dass die Herstellung von Fleisch deutlich mehr Stickstoff braucht als die von Getreide. Wenn wir weniger Fleisch essen würden, bräuchte die Landwirtschaft auch weniger Dünger.

Sie selbst erforschen, wie in natürlichen Ökosystemen, vor allem Wäldern, der Stickstoff- und der Kohlenstoffhaushalt gekoppelt sind, zu welchen Ergebnissen sind sie da gekommen?

Wie viel CO2 Pflanzen aufnehmen können, hängt neben dem Klima sowohl vom CO2-Gehalt der Luft als auch vom Stickstoffgehalt des Bodens ab. Weil die CO2-Konzentration steigt, möchten die Pflanzen mehr wachsen, das können sie aber nicht, wenn nicht genug Stickstoff da ist. Wir untersuchen, wie stark der fehlende Stickstoff das Pflanzenwachstum in verschiedenen Regionen bremst. Die Wälder in den nördlichen Breiten sind da sehr stark limitiert, in den Tropen dagegen kaum. Denn, vereinfacht gesagt, können die Knöllchenbakterien, die Stickstoff aus der Luft binden, besser arbeiten, wenn es schön warm ist.

Wäre es dann sinnvoll, in natürlichen Ökosystemen, in denen Stickstoff fehlt, Gülle auch auszubringen?

Nein, das wirkt sich auch hier nachteilig auf die Biodiversität, vor allem die Ökosystemstruktur sowie die Lachgas-Emissionen der Wälder aus. Solche Überlegungen gibt es zwar im Zusammenhang mit dem Geoengineering, weil Wälder dann schneller wachsen und mehr CO2 binden. Aber Wälder sind nicht nur nützlich, um Kohlenstoff zu speichern, sondern auch für die Arterhaltung und die Trinkwasserreinhaltung.

Das Gespräch führte Peter Hergersberg

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