Sichere Alternative für explosive Reaktion

Ein neuer Syntheseweg macht die Produktion etwa von Farbststoffen sicherer

Seit über 100 Jahren nutzt die chemische Industrie etwa zur Herstellung von Farben explosive Aryldiazoniumsalzen. Für die Prozesse, in denen die Chemikalie eingesetzt wird, hat ein Team des Max-Planck-Instituts für Kohlenforschung nun eine sicherere Alternative entdeckt. Dabei ahmen die Forschenden eine Reaktion nach, mit der Pflanzen Nitrat reduzieren, und nutzen dafür Chemikalien, die die chemische Industrie für die Produktion von Düngemittel verwendet - das könnte die Prozesse auch kostengünstiger machen.

Explosionen und Vergiftungen. Schwere Verletzungen und sogar Todesfälle. In der Geschichte der Chemieindustrie kam es immer wieder zu schlimmen Unfällen mit teils tödlichem Ausgang. Ursache dafür waren oftmals gefährliche und explosive Chemikalien die für bestimmte Reaktionen benötigt werden. Aryldiazoniumsalze, die seit 140 Jahren genutzt werden, sind solche Chemikalien. Sie sind sehr reaktiv und dadurch für die Herstellung anderer Verbindungen äußerst nützlich – Farbstoffe zum Beispiel. Die hohe Reaktivität hat allerdings zur Folge, dass isolierte Aryldiazoniumsalze nicht sehr stabil sind und daher auch ungewollt und teilweise explosionsartig reagieren können. So kam es am 23. Dezember im Jahre 1969 bei der Firma Ciba AG in Basel zu einer besonders schweren Explosion mit diesen Chemikalien. Ein Gebäude wurde zerstört, schwere Metallteile des Reaktors flogen meterweit durch die Luft. Drei Arbeiter verloren damals ihr Leben, 31 wurden schwer verletzt. Trotz solcher Schreckensmeldungen wird weiterhin mit Aryldiazoniumsalzen gearbeitet.

Einem Team um Tobias Ritter, Direktor am Max-Planck-Institut für Kohlenforschung, ist es nun gelungen, die risikobehaftete Chemie mit Aryldiazoniumsalzen deutlich sicherer zu machen. Der Mülheimer Prozess macht den Einsatz dieser Verbindungen aber nicht nur weniger gefährlich, sondern eröffnet potentiell auch Möglichkeiten für die Entwicklung ganz neuer Reaktionen. „Normalerweise erfolgt die Nutzung von Diazoniumsalzen in zwei Schritten, man isoliert oder akkumuliert erst das Diazoniumsalz, was gefährlich ist, und setzt es dann in einem zweiten Schritt zu seinem gewünschten Produkt um. In unserem Projekt kombinieren wir die beiden Syntheseschritte und gehen zum gewünschten Produkt, ohne das Diazoniumsalz zu akkumulieren, was das Risiko einer Explosion deutlich reduziert“, erklärt Tim Schulte, Doktorand aus der Gruppe von Tobias Ritter.

Üblicherweise werden Aryldiazoniumsalze aus Anilinen mit salpetriger Säure oder mit Nitrit-Verbindungen synthetisiert – eine Reaktion, die im Laufe der Jahre wenig Innovation erfahren hat. Die Reaktion muss bei Temperaturen unter fünf Grad Celsius durchgeführt werden, da die Aryldiazoniumsalze bei höheren Temperaturen instabil sind.

Ein natürlicher Prozess im Reagenzglas

Javier Mateos, Postdoktorand in der Arbeitsgruppe und Tim Schulte haben nun eine neue Methode vorgestellt, die einen natürlichen Prozess nutzt, der Nitratreduktion, welche in Pflanzen für den Stoffwechsel von Enzymen stattfindet. Den Forschern ist es gelungen, den natürlichen Prozess im Reagenzglas zu kopieren und mit Aryldiazoniumchemie zu kombinieren, um so eine sicherere Synthesemethode zu entwickeln. Die Mülheimer überwinden so die oben genannten Einschränkungen, die mit traditionellen Methoden verbunden sind, wie zum Beispiel die Temperaturempfindlichkeit und die Notwendigkeit von starken Säuren.

Indem die Forscher in ihrem neuen Ansatz mehrere Schritte kombinieren, kommt es erst gar nicht zu größeren Konzentrationen der gefährlichen Substanz. Und nicht nur das haben die Wissenschaftler aus Mülheim entdeckt: „Wir nutzen für unsere Synthesemethode Chemikalien, die in großen Mengen in der Düngemittel- und Kraftstoffindustrie verwendet werden und damit günstig zu bekommen sind“, sagt Tim Schulte. Das könnte den Syntheseweg für Unternehmen der Chemieindustrie überaus interessant machen, da es niedrigere Produktionskosten bedeutet.

„Die Lösung für das Problem hätte eigentlich schon vor 100 Jahren gefunden werden können, allerdings würde man die Reaktion, so wie sie jetzt entdeckt wurde, wohl eher nicht planen“ sagt Tobias Ritter. „Die Kombination an Chemikalien, welche im Endeffekt gute Ergebnisse liefert, wurde durch Zufall entdeckt, während wir an einem anderen Projekt gearbeitet haben“, verrät Javier Mateos. Die eingesetzten Reagenzien sind zwar schon seit langer Zeit bekannt, allerdings hatte man ihr Potenzial für Diazoniumchemie bis jetzt schlichtweg übersehen. In der Forschung spricht man in solchen Fällen von „serendipity“, also eine zufällige Beobachtung von etwas ursprünglich nicht Gesuchtem.

Wissenschaftlich spannend sei die neue Methode auch deswegen, weil man jetzt ganz neue chemische Ansätze verfolgen könne. Das, so Tim Schulte, sei mit der klassischen Methode aufgrund der hohen Explosionsgefahr und Instabilität der Verbindungen gar nicht möglich gewesen.

Die Originalpublikation „Nitrate reduction enables safer aryldiazonium chemistry“ ist in der Zeitschrift Science erschienen.

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