Rätsel um Verbreitung von Glockenbechern im vorgeschichtlichen Europa gelöst

Internationale Studie mit alter DNA kann erstmals Wege der Töpferwaren nachvollziehen

Die großräumige Verbreitung von glockenförmigen Gefäßen vor rund 4700 bis 4400 Jahren in Europa war Archäologen lange ein Rätsel. Die bislang größte Studie mit alter DNA hat nun neues Licht in dieses Phänomen gebracht. Ein internationales Forschungsteam unter Beteiligung des Max-Planck-Instituts für Menschheitsgeschichte in Jena untersuchte dazu die DNA von 400 vorgeschichtlichen Skeletten aus ganz Europa. Die Studie, die in der Zeitschrift Nature erschien, zeigt, dass sich die Glockenbecher teils durch die Weitergabe von Ideen teils durch Migration ausbreiteten.

Am Übergang zwischen Jungsteinzeit und Bronzezeit nutzten Menschen in West- und Mitteleuropa zunehmend Töpferwaren in einem neuen, glockenförmigen Stil. Ob die Verbreitung dieser Glockenbechergefäße durch großflächige Wanderungsbewegung von Menschen erfolgte oder lediglich auf der Weitergabe neuer Ideen beruhte, ist seit mehr als einem Jahrhundert Gegenstand intensiver archäologischer Debatten. Eine neue Studie, die auf der DNA-Analyse von 400 vorgeschichtlichen Skeletten aus ganz Europa beruht, zeigt jetzt, dass je nach Region beide Erklärungen zutreffen können.

So belegt die Studie einerseits, dass sich die Glockenbecherkeramik zwischen Mitteleuropa und der iberischen Halbinsel zunächst ohne nennenswerte Migration verbreitete. „Die DNA von Skeletten aus der Glockenbecherkultur, die auf der iberischen Halbinsel bestattet waren, unterschied sich sehr von der DNA mitteleuropäischer Skelette, welche ebenfalls Glockenbecherkeramik als Grabbeigabe haben“, erklärt Iñigo Olalde, Genetiker an der Harvard Medical School in Boston, USA und Erstautor der Studie.

„Dies ist der erste eindeutige auf der Analyse alter DNA basierende Beleg, dass sich die Töpfe nicht immer zusammen mit Bevölkerungsgruppen verbreitet haben“, sagt David Reich, ebenfalls Hauptautor der Studie und Genetiker an der Harvard Medical School. „Die große Anzahl von Proben erlaubt es uns heute, ein sehr viel detaillierteres Bild früherer menschlicher Bevölkerungsgruppen zu zeichnen als noch vor wenigen Jahren.“

Genetische Umwälzungen in Deutschland und Großbritannien

In anderen Regionen breitete sich die Glockenbecherkeramik dagegen durch Migration aus. Wolfgang Haak, ein weiterer Hauptautor der Studie und Genetiker am Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte in Jena, erklärt: „2015 haben wir und andere gezeigt, dass vor etwa 4.500 Jahren mindestens 70 Prozent der Bevölkerung in Deutschland in Folge massiver Ausbreitung von Gruppen aus osteuropäischen Steppengebieten ersetzt wurden. Die neue Studie zeigt nun, wie diese Welle weiter nach Westen rollte.“

Am deutlichsten ist das in Großbritannien. Von dort stammen 155 Proben im Alter zwischen 3.000 und 6.000 Jahren – ein Zeitraum und eine Region, für die bislang keine genetischen Daten vorlagen. Der Genetiker Ian Barnes vom Londoner Natural History Museum, auch er einer der Hauptautoren der Studie, erläutert: „Wir fanden heraus, dass die Skelettreste von Individuen aus Großbritannien, die kurz nach dieser Zeit lebten, ein ganz anderes DNA-Profil aufweisen. Mindestens 90 Prozent der Vorfahren der Briten wurden durch eine Gruppe vom Kontinent ersetzt. Mit der Ankunft und Verbreitung der Glockenbecher gab es in Großbritannien zum ersten Mal eine Bevölkerung, die den heutigen Briten in ihrer genetischen Zusammensetzung, in Haut- und Augenfarbe ähnelt.“

Der Genetiker Carles Lalueza-Fox, ein weiterer Hauptautor vom Institut für Evolutionsbiologie in Barcelona, Spanien, fügt hinzu: "Die Glockenbecher gelangten nach Großbritannien, kurz nachdem die letzten großen Steine in Stonehenge aufgestellt worden waren. Die Tatsache, dass das Glockenbecherphänomen zu einem fast vollständigen Austausch der Bevölkerung führte, die diese riesigen steinernen Monumente errichteten, zeigt, wie einschneidend diese Ereignisse gewesen sein müssen.“

Weltweite Kooperation und neue kosteneffiziente Analysemethoden

Die Studie ist das Ergebnis einer bislang beispiellosen, globalen Kooperation von den führenden Laboren zur Analyse alter DNA. Das internationale Team umfasste 144 Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen unterschiedlicher Disziplinen wie Archäologen, Genetiker und Anthropologen aus Institutionen in Europa und den Vereinigten Staaten.

Die erfolgreiche Analyse so vieler Individuen wurde auch durch zwei kürzlich eingeführte Methoden ermöglicht, welche die Kosten für die Analyse alter DNA pro Probe stark reduzieren. Eines dieser Verfahren erlaubt es, sich bei der Sequenzierung auf den Teil des Genoms zu konzentrieren, der für die Datenanalyse den größten Nutzen hat. Wichtig war darüber hinaus die Erkenntnis, dass die DNA-Erträge aus Felsenbeinknochen sehr viel höher sind, als aus anderen Teilen des Skeletts. So konnten qualitativ hochwertige Daten gewonnen werden.

PM/MEZ

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