Bakterien entgiften Meerwasser
Mikroorganismen wandeln giftiges Sulfid in harmlosen Schwefel um - und schützen so die Meerestiere
Manche Meeresbakterien produzieren Schwefelwasserstoff, der für Tiere giftig ist. Bakterien können die Meerestiere aber auch vor dem giftigen Gas schützen, haben Forscher nun festgestellt. Vor Namibias Küste entgifteten die Mikroorganismen eine riesige Wolke schwefelwasserstoffhaltigen Wassers, ehe es tödlich wirken konnte. (Nature, Online-Vorabveröffentlichung, 11. Dezember 2008)
Schwefelwasserstoff (H2S) ist berüchtigt für seinen Gestank nach faulen Eiern. Die chemische Verbindung riecht nicht nur übel, sie ist auch hoch giftig. Beim Menschen kann sie in hohen Konzentrationen innerhalb kurzer Zeit zum Tod führen. Auch der Küstenfischerei - die etwa 90 Prozent der gesamten weltweiten Fischerträge erwirtschaftet - droht Gefahr durch das giftige Gas. Denn die Überdüngung der Küstengewässer führt dazu, dass sich dort regelmäßig Sulfid bildet. Dieses kann die Fischbestände drastisch reduzieren.
Bakterien werden einerseits die Entstehung des tödlichen Sulfids verantwortlich gemacht, können andererseits aber auch als Retter in der Not auftreten, hat nun eine internationale Gruppe von Forschern vom Max-Planck-Institut für marine Mikrobiologie in Bremen, dem National Marine Information & Research Centre aus Namibia, dem Institut für Ostseeforschung Warnemünde und der Abteilung für Mikrobielle Ökologie der Universität Wien festgestellt. Deren überraschendes Ergebnis: Vor der Küste Namibias entgifteten die Mikroorganismen eine Fläche von etwa 7000 Quadratkilometern - fast dreimal so groß wie Luxemburg.
Die Forscher untersuchten das Auftreten von Sulfidwolken vor der Westafrikanischen Küste. Im Frühjahr 2004 stießen sie auf eine solche Wolke von einer Größe von etwa 7000 Quadratkilometern, die über dem Meeresboden schwebte. An der Meeresoberfläche lagerte eine Schicht sauerstoffreichen Wassers. In Anwesenheit von Sauerstoff wird das giftige Sulfid abgebaut (oxidiert) und in ungiftigen Schwefel umgewandelt. Gaute Lavik, Torben Stührmann, Marcel Kuypers und ihre Kollegen fanden heraus, dass zwischen dem Tiefen- und dem Oberflächenwasser sich eine Schicht gebildet hatte, in der weder Sulfid noch Sauerstoff vorhanden war. Wohin verschwand das Gift? "Ganz offensichtlich wurde es anaerob - also ohne Sauerstoff - oxidiert", erklärt Torben Stührmann. "Viele Bakterien brauchen zum ‚Atmen’ keinen Sauerstoff sondern nutzen stattdessen Nitrat (NO3). Und tatsächlich fanden wir überlappende Wasserschichten von Sulfid und Nitrat."
Diese Übergangsschicht ist der Lebensraum der entgiftenden Bakterien. Diese sind eng verwandt mit Bakterien von heißen und kalten Tiefseequellen. Mithilfe des Nitrats wandeln sie das Sulfid in fein verteilte Schwefelpartikel um, die ungiftig sind. So schaffen die Mikroorganismen eine Pufferzone zwischen dem giftigen Tiefenwasser und der sauerstoffreichen Wasseroberfläche und retten damit Fischen und anderen Meerestieren das Leben - und zahlreichen Fischern ihre Fänge.
Diese Erkenntnisse sind nicht nur für die Fischerei vor der Küste Westafrikas bedeutsam. Sie legen nahe, dass auch und gerade Lebensgemeinschaften am Meeresboden deutlich öfter als vermutet von den giftigen Wassermassen betroffen sind.
Denn das Auftreten sulfidischer, giftiger Wassermassen wurde bisher mithilfe von Satelliten überwacht, die auf ihrer Umlaufbahn Bilder von der Meeresoberfläche machen. Der von Bakterien aus dem Sulfid gebildete Schwefel im Oberflächenwasser ist als weißlich-türkise Verfärbung zu erkennen. Werden die Sulfidwolken aber bereits in tieferen Wasserschichten abgebaut, sind sie für die Satelliten nicht zu erkennen. "Wir gehen daher davon aus, dass es deutlich mehr dieser sulfidischen Ereignisse gibt, als bisher vermutet", erklärt die namibische Meereskundlerin Anja van der Plas. "Sie wurden nur mit den konventionellen Methoden übersehen."
"Unsere Entdeckung einer entgiftenden Bakterienblüte hat sowohl einen positiven als auch einen beunruhigenden Aspekt", fasst Gruppenleiter Marcel Kuypers die Forschungsergebnisse zusammen. "Schwefelwasserstoff ist giftig für höheres Leben und tötet Fische, Krabben und sogar Hummer schon in niedrigen Konzentrationen. Die gute Neuigkeit: Die nun entdeckten Bakteriengruppen verbrauchen augenscheinlich das gesamte Sulfid, ehe es das von Fischen bevölkerte Oberflächenwasser erreicht. Besorgniserregend ist aber, dass ein Gebiet so groß wie das Wattenmeer von sulfidischem Bodenwasser betroffen sein kann, ohne dass wir es mit Satellitenmessungen oder Überwachungsstationen an der Küste bemerken."
Massensterben von Meereslebewesen durch Erstickung gibt es übrigens nicht nur vor Namibia, wo diese Sulfid-Wolken natürlich auftreten. Ähnliche Berichte liegen beispielsweise aus Kalifornien, Indien und dem Golf von Mexiko, aber auch aus europäischen Küstengewässern vor. "Es gibt zahlreiche Hinweise, dass die Überdüngung durch den Menschen und die globale Erwärmung in Zukunft noch deutlich öfter zum Auftreten von Sauerstoffarmut in Küstengewässern führen werden. Damit steigt auch die Gefahr sulfidischer Wassermassen", erklärt Gaute Lavik. "Doch wir können das Auftreten der Sulfidwolken nun zu bestimmten Umweltbedingungen in Beziehung setzen. Dies bietet die möglichkeit, zukünftig solche Ereignisse
vorherzusagen."
Hintergrund: Todbringender Schwefelwasserstoff
Schwefelwasserstoff entsteht überall dort, wo menschliche, tierische oder pflanzliche Materie verfault und abgebaut wird. Der auffällige Geruch stellt eine eindringliche Warnung vor dem giftigen Gas dar. Zunächst reizt das Gas Augen und Atemwege. Bei Einwirkung sehr hoher Konzentration kann es innerhalb weniger Sekunden zum Atemstillstand führen. Einige Forscher machen Schwefelwasserstoff sogar für das massenhafte Aussterben zahlreicher Tier- und Pflanzenarten in der früheren Erdgeschichte verantwortlich. Eine sinkende Sauerstoffkonzentration in den Ozeanen können demnach dazu führen, dass der Schwefelwasserstoff aus den tieferen Wasserschichten an die Oberfläche steigt und dort in die Atmosphäre blubbert - wo er dann seine giftige Wirkung auf die Landlebewesen entfaltet.