Denken ist kein Monolog

Nicht nur die Empfangs-, sondern auch die Sendestation einer Nervenzelle passt sich aktiv an aktuelle Bedürfnisse an

26. November 2008

Was wären wir, ohne die Fähigkeit uns an etwas Wichtiges zu erinnern oder Unwichtiges zu vergessen? Beides wird erst durch den flexiblen Auf- und Abbau von Kommunikationseinheiten zwischen den Nervenzellen des Gehirns möglich. Bisher wurde nur der Empfängerseite eine aktive Rolle bei diesem Umbau im Gehirn zugemessen. Eine falsche Annahme, haben Wissenschaftler am Max-Planck-Institut für Neurobiologie in Martinsried nun gezeigt. Denn auch die Sendeeinheit reagiert aktiv auf aktuelle Bedürfnisse und trägt so maßgeblich zur Anpassungsfähigkeit des Gehirns bei. (Neuron, 26. November 2008)

Kommunikation ist das A und O des Gehirns. Als Meister des Datenaustausches steht jede der rund hundert Milliarden Nervenzellen in unserem Gehirn mit tausenden Nachbarzellen in Kontakt. An diesen Kontaktstellen, den Synapsen, fließt die neuronale Information entlang einer Einbahnstraße: von der vorgeschalteten zur nachgeschalteten Zelle. Nur wenn Nervenzellen zur richtigen Zeit und am richtigen Ort über solche Kontaktstellen Informationen austauschen können, kann das Gehirn seine komplexen Aufgaben bewältigen.

Es ist daher kein Wunder, dass eine der herausragenden Eigenschaften des Gehirns seine immense Anpassungsfähigkeit ist. Diese basiert auf der Veränderlichkeit der Synapsen, die je nach Bedarf auf- und auch wieder abgebaut werden können. Für die meisten Neurowissenschaftler steht fest, dass Lernen und Gedächtnis erst durch diesen flexiblen Informationsaustausch möglich werden.

Die zwei Seiten der Informationsübertragung

Beim Auf- und Abbau neuer Synapsen spielen die Empfängerseiten der Kontaktstellen, die Dornen, eine aktive Rolle. Müssen mehr Informationen verarbeitet werden, so stellt eine Nervenzelle mehr Empfangsstationen auf: Neue Dornen wachsen auf Nachbarzellen zu, neue Synapsen können entstehen. Verringert sich der Informationsfluss, verschwinden die Synapsen und die Dornen können sich wieder zurückziehen. Der zweiten Seite der Synapse, der Sendeeinheit (auch Bouton genannt), haben die Wissenschaftler bislang bei der Synapsengestaltung dagegen nur eine reagierende Rolle zugewiesen.

Diese Annahme war jedoch falsch, wie Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Neurobiologie nun zeigen konnten. Erstmals gelang es ihnen, nicht nur die Empfänger-Seite sondern auch die Sendestationen über einen längeren Zeitraum zu beobachten. Hierzu markierten sie einige Nervenzellen mit einem roten Fluoreszenzfarbstoff und färbten die mit ihnen verbundenen Zellen grün. Mithilfe eines hochauflösenden Zwei-Photonen-Mikroskops konnten sie so die Veränderungen beider Synapsenseiten im Zeitraffer beobachten. Schnell war klar, dass die Sendeeinheit einer Synapse eine deutlich aktivere Rolle bei deren Auf- und Abbau spielt, als bisher gedacht. Verringert sich der Informationsfluss, den eine Nervenzelle weitergeben muss, so werden viele der nun überflüssigen Sendestationen abgebaut. Zudem konnten die Wissenschaftler die These belegen, dass der Abbau von Dornen tatsächlich zum Verlust von Synapsen führt, da der neuartige experimentelle Ansatz ihnen erlaubte das "Auseinanderbrechen" der Kontakte zwischen Boutons und Dornen direkt am Mikroskop zu beobachten.

Gehirnumbau unerwartet komplex

"Besonders spannend ist auch, dass unterm Strich die Anzahl der Sendestationen ungefähr gleich blieb", sagt Valentin Nägerl, der Leiter der Studie. Denn obwohl bei einer Verringerung im Informationsfluss die Anzahl der Synapsen reduziert wird, entstanden an anderer Stelle neue Sendestationen. Da nur die ursprünglich miteinander kommunizierenden Nervenzellen farblich markiert waren, konnten die Wissenschaftler nicht erkennen, ob die neuen Sender Informationen an bisher nicht an der Kommunikation beteiligte Nervenzellen weitergaben. "Es könnte sein, dass auf diese Weise Synapsen zu hemmenden Nervenzellen entstehen, die eine Weitergabe des abgeschwächten Informationsflusses weiter reduzieren", interpretiert Nadine Becker ihre Ergebnisse. Ob das der Fall ist, wollen die Wissenschaftler nun mit weiter ausgedehnten Zellfärbungen untersuchen. Eines steht jedoch fest: Es ist nicht nur die Empfänger-Zelle, deren Strukturveränderungen die Verarbeitung von Informationen ermöglicht. Auch die Sender-Zelle reagiert aktiv auf die aktuelle Situation und spielt so eine bedeutende Rolle in unserer Fähigkeit Dinge zu lernen, oder uns an sie zu erinnern.

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