Lebensarbeitszeit in Deutschland steigt

Eine Studie belegt den Trend, zeigt aber auch große Unterschiede zwischen Männern und Frauen, Ost und West sowie Gering- und Hochqualifizierten

Kann die Verlängerung der Lebensarbeitszeit eine Lösung für die künftigen Probleme unserer alternden Gesellschaft sein? Wenn alle länger arbeiten und später in Rente gehen, steigt die Zahl derer, die weiter in die Rentenkasse einzahlen. Über die Lebensarbeitszeit in Deutschland ist bisher wenig bekannt. Forschende des Max-Planck-Instituts für demografische Forschung in Rostock und des Bundesinstitutes für Bevölkerungsforschung haben nun in einer Studie untersucht, wie sich die Dauer des Erwerbslebens in Deutschland verändert hat und welchen Einfluss die zahlreichen Arbeitsmarkt- und Rentenreformen in den vergangenen Jahrzehnten hatten.

Die Lebensarbeitszeit in Deutschland nimmt über die Geburtsjahrgänge hinweg zu, und das in allen Bildungsschichten und Berufsfeldern sowie bei Männern und Frauen. Das zeigt die Studie eines Forschungsteams um Christian Dudel, stellvertretender Leiter der Forschungsgruppe Demografie der Arbeit am Max-Planck-Institut für demografische Forschung in Rostock. Das Team hat dafür Daten des Mikrozensus Deutschland ausgewertet. Untersucht wurden die Geburtenjahrgänge 1941 bis 1955 und hier die Erwerbsalter von 55 bis 64 Jahren. Betrachtet wurde der Zeitraum von 1996 bis 2019 in Ost- und Westdeutschland. Die Auswertung erfolgte nach Geschlecht, Bildungsstand und beruflicher Qualifikation.

Geringverdienende benachteiligt

In den Daten zeigen sich aber auch gravierende Unterschiede in der Dauer der Lebensarbeitszeit. Am stärksten verlängert sich diese bei westdeutschen Männern mit hohem Bildungsniveau. Sie arbeiten im Durchschnitt dreimal so lange wie Frauen mit niedrigem Bildungsniveau in Ostdeutschland. Dennoch erreichen ostdeutsche Frauen insgesamt eine längere Lebensarbeitszeit als Frauen in Westdeutschland. Das liegt auch an der unterschiedlichen Geschichte von Ost- und Westdeutschland: Im Osten war die Erwerbsbeteiligung von Frauen schon zu DDR-Zeiten wesentlich höher als im Westen. Noch heute arbeiten ostdeutsche Frauen im Schnitt mehr Wochenstunden als westdeutsche. Deutliche Unterschiede gibt es generell auch zwischen gering- und hochqualifizierten Arbeitnehmenden. Das liegt vor allem daran, dass Menschen mit niedrigem Bildungsniveau häufiger und länger arbeitslos sind als Akademiker und gerade im Alter wenig Chancen haben, noch einen neuen Job zu bekommen. Deswegen ist ihre Lebensarbeitszeit oft geringer.

Reformen sollten für alle greifen

In der Vergangenheit zielten Arbeitsmarktreformen vor allem darauf ab, einen frühen Renteneintritt attraktiver zu machen, um Altersarbeitslosigkeit zu verringern und Arbeitsplätze für junge Menschen freizumachen. „Erst seit 2002 gibt es in Deutschland verschiedene politische Maßnahmen und Reformen, die auf eine Verlängerung der Lebensarbeitszeit abzielen. Diese Maßnahmen sind in der Regel so konzipiert, dass sie sich an Personen mit einer hohen Arbeitsmarktintegration richten, also an Menschen mit einem hohen Einkommen und einer langen und stabilen Beschäftigungsdauer“, erläutert Christian Dudel. „Die Herausforderung für die Zukunft wird darin bestehen, Politiken zu initiieren, die ein längeres Erwerbsleben ermöglichen, ohne die Ungleichheiten zwischen den verschiedenen Beschäftigungsgruppen zu vergrößern.“ Gerade Personen mit niedriger beruflicher Qualifikation seien sonst stark benachteiligt.

„Demnächst werden geburtenstarke Jahrgänge das Rentenalter erreichen. Der Einfluss auf den Arbeitsmarkt könnte möglicherweise dadurch abgemildert werden, dass die nach 1955 Geborenen immer besser ausgebildet sind und damit potentiell länger arbeiten könnten. Dennoch zeigen Prognosen aus anderen Ländern, dass der Anstieg der Lebensarbeitszeit bald stagnieren könnte“, so der Rostocker Wissenschaftler.

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