„Das Ende der Kohle ist eingeläutet“

Ein Interview mit Jochem Marotzke zum Weltklimagipfel in Glasgow

Auf der Weltklimakonferenz COP26 in Glasgow konnten sich die Vertragsstaaten nach der üblichen Verlängerung doch noch auf ein Abkommen einigen. Wir sprachen mit Jochem Marotzke, Direktor am Max-Planck-Institut für Meteorologie, darüber, welche Erfolge Glasgow gebracht hat, welche Bedeutung solche Klimagipfel und Abkommen haben, sowie über die Hoffnungslosigkeit, die der Klimawandel in manchen jungen Menschen auslöst.

Herr Prof. Marotzke, sind Sie zufrieden mit dem Ergebnis der Weltklimakonferenz COP26 in Glasgow?

Letzten Endes bin ich doch ziemlich zufrieden. Natürlich gibt es vieles, was nicht erreicht worden ist: Es ist nicht so, dass uns diese Konferenz jetzt entscheidend hin zum 1,5-Grad-Ziel gebracht hätte. Aber es gibt einiges, was in eine gute Richtung geht. Es ist zum ersten Mal so, dass Kohle, Kohleverstromung und fossile Brennstoffe in einem UN-Dokument zum Klimawandel überhaupt explizit erwähnt werden. Das ist ein Riesenfortschritt. Selbst in den wissenschaftlichen Sachstandsberichten, an denen ich beteiligt bin, taucht der Begriff ‚fossile Brennstoffe‘ nicht auf. Und als er fast versehentlich in einem Text steckte, hat Saudi-Arabien sofort dafür gesorgt, dass er wieder rausflog.

Wurde der Beschluss zu fossilen Brennstoffen am Ende nicht zu sehr verwässert?

China und Indien haben auf den letzten Drücker zwar durchgesetzt, dass es ‚phase down‘ statt ‚phase out‘, also Herunterfahren statt Beenden heißt. Das ist natürlich eine Abschwächung. Auch dass die Kohleverstromung durch ‚Kohleverstromung ohne Abscheidung von CO2‘ ersetzt wurde, ist eine Einschränkung. Wenn man sich diesen Punkt aber genau anschaut, macht das keinen großen Unterschied. Denn zurzeit ist das Abscheiden und unterirdische Verpressen von CO2 so teuer, dass Kohlestrom dann nicht mehr konkurrenzfähig ist. Für mich bleibt: Das Ende der Kohle ist eingeläutet. Das ist ein Fanal.

Der Aufruf, fossile Brennstoffe herunterzufahren, lässt aber viele Möglichkeiten, dem nicht nachzukommen.

Das haben wir in allen diesen Vereinbarungen. Und ich denke, wenn es diese Möglichkeiten nicht gäbe, bekäme man gar keine Vereinbarung. Da lohnt es sich vielleicht, zwei Punkte zu erwähnen. Für mich war der größte Durchbruch in Paris nicht die Festlegung auf das 1,5-Grad- oder 2-Grad-Ziel. Auch wenn das natürlich eine Signalwirkung von ungeheurer Bedeutung hatte. Noch wichtiger war aus meiner Sicht jedoch, dass die Emissionsreduktion in Paris von einer global pauschalen Aussage heruntergebrochen wurde auf die 196 Einzelstaaten. Das war riesig, denn ansonsten hat man immer das Problem von Trittbrettfahrern, wenn man nur sagt, wir 196 Staaten müssen das alle zusammen erreichen. Eine ähnliche Konkretisierung haben wir jetzt auch mit der Erwähnung fossiler Energieträger im Glasgow-Abkommen.

Die nationalen Beiträge sind aber rechtlich nicht bindend.

Den Preis haben wir tatsächlich bezahlt: Das sind nur Absichtserklärungen. Aber wenn man sich die Situation in Deutschland anschaut, versteht man vielleicht, warum selbst Absichtserklärungen hilfreich sind. Das Bundesverfassungsgericht hat sich wesentlich auf das Pariser Klimaabkommen berufen, als es geurteilt hat, dass die Anstrengungen bei der CO2-Reduktion nicht ausreichen. Man sieht aber auch: Sowohl die jetzige große Koalition als auch die vermutlich zukünftige Ampelkoalition tun sich sehr schwer damit, konkrete Schritte in der Umsetzung zu beschließen und durchzubringen. Da braucht eine Regierung Manövrierfähigkeit. So eine gemeinsame Erklärung baut immerhin einen Handlungsdruck in den einzelnen Ländern auf.

Wird der reichen?

Eine Regierung kann sich jetzt jedenfalls darauf berufen, dass sich ihr Land auf ein Ziel verpflichtet hat und sie deswegen bestimmte Maßnahmen umsetzen muss, auch wenn sie unpopulär sind. Es gibt in diesem Zusammenhang noch einen konkreten Punkt, der im Glasgow-Abkommen steht: Bislang gibt es viele Ankündigungen, an irgendeinem Punkt in ferner Zukunft klimaneutral sein zu wollen. Die Wissenschaft ist sich aber einig, dass die Jahre bis 2030 entscheidend sind. Wenn wir bis Mitte des 21. Jahrhunderts bei der Dekarbonisierung vorankommen wollen, müssen wir jetzt entscheidende Weichen stellen. In Glasgow wurde nun beschlossen, dass die Vertragsstaaten bis 2022 ihre Selbstverpflichtungen aktualisieren müssen, welche Klimaziele sie bis 2030 erreichen wollen. Glasgow hat also die zeitlichen Daumenschrauben angezogen. Ich erwarte, dass das deutlich mehr bringen wird, als Ziele in mehreren Jahrzehnten zu formulieren. Denn da geht es um die Politik, die heute gemacht wird und die überprüfbar ist. Es gibt zwar noch keine Sanktionen, aber kein Staat möchte gerne als jemand am Pranger stehen, der Zusagen nicht eingehalten hat. Darauf regieren selbst Saudi-Arabien und China enorm allergisch. Vor diesem Hintergrund ist es schon bemerkenswert, dass auch Regierungen wie Saudi-Arabien zugestimmt haben, obwohl sie durch die Dekarbonisierung Milliarden bis Billionen an Dollar verlieren werden, weil ihr Vermögen entwertet wird. Denn Öl und Kohle, die im Boden bleiben, sind nichts mehr wert. Das nimmt keiner einfach so hin. Insgesamt ist in Glasgow viel mehr herausgekommen, als ich es erwartet habe.

Also bringen die Weltklimagipfel doch etwas für den Klimaschutz? Manchmal hat man den Eindruck, die Fridays for Future-Bewegung hat dafür mehr erreicht als die jährlichen Konferenzen.

Vermutlich denken das die Protagonisten der Fridays for Future-Bewegung selbst auch. Aber man muss sich nur mal anschauen, was die Bewegung fordert: Dass wir die Wirtschaft ganz schnell dekarbonisieren und das 1,5-Grad-Ziel erreichen. Wo kommen diese Ziele her? Aus dem Weltklimaabkommen von Paris. Wer behauptet, die Konferenzen produzieren nur heiße Luft, vergisst die eigenen historischen Grundlagen.

Während der Konferenz in Glasgow wurden bereits verschiedene Beschlüsse und Absichtserklärungen verkündet, etwa zur Entwaldung oder zu den Methan-Emissionen. Und es gab die Erklärung Chinas und der USA, gemeinsam gegen die Erderwärmung vorzugehen. Wie wichtig sind diese Schritte?

All diese Punkte tauchen in der Abschlusserklärung gar nicht auf. Bei einigen diese Ankündigungen bin ich jedoch gespalten: Natürlich ist es gut, wenn China und die USA ihr gemeinsames Vorgehen ankündigen. Wie viel das wert ist, müssen wir aber erst einmal abwarten. Und wenn die brasilianische Regierung, die Entwaldung mehr vorangetrieben hat als irgendjemand sonst, eine Erklärung gegen die Entwaldung unterstützt, sollte uns das sehr skeptisch machen. Auch die angekündigte Reduktion der Methan-Emissionen um 30 Prozent bis 2030 darf man nicht überbewerten: Methan ist zwar wichtig, aber man darf nicht eine Sekunde lang glauben, dass dadurch das Klimaproblem gelöst würde. Das ist im Kern ein CO2-Problem.

Wir haben jetzt über die CO2-Minderung in den Industrie- und Schwellenländern gesprochen. Ein sehr umstrittener Punkt war aber auch die Hilfe für Entwicklungsländer. Was wurde in dieser Hinsicht erreicht?

Es war natürlich beschämend, mit was die reichen Länder bei dieser Frage in die Verhandlungen von Glasgow gegangen sind. Sie wollten bis 2020 pro Jahr 100 Milliarden Dollar zur Verfügung stellen. So viel Geld ist das nicht pro Jahr, wenn man sich anschaut, welche Finanz- und Wirtschaftskraft da dahintersteht. Aber aktuell sind wir nach Auskunft der Industrieländer selbst nur bei knapp 80 Milliarden Dollar. Es ist also wichtig, dass das jetzt noch mal in das Abkommen geschrieben wurde, auch wenn 2024 dafür nicht sehr ambitioniert ist. Gut ist außerdem, dass die Beiträge zur Anpassung bis 2024 im Vergleich zu 2019 verdoppelt werden sollen. Bislang hat man sehr ungerne über die Anpassung gesprochen, weil man fürchtete, sonst würde zu wenig getan, um den Klimawandel zu bremsen. Doch ob man es möchte oder nicht, man muss sich der Frage stellen, was passiert, wenn wir die Ziele des Pariser Abkommens verfehlen, insbesondere die 1,5 Grad. Ganz abgesehen davon, dass der Klimawandel heute schon da ist und stärker wird. Es ist deshalb klar, dass die Schäden durch den Klimawandel größer werden und wir mehr für die Anpassung tun müssen, vor allem in den Entwicklungsländern.

Geht es dabei nur um die Entwicklungsländer? Sie haben in einem Interview in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung Anfang 2020 gesagt, dass Deutschland vom Klimawandel nur indirekt etwa durch Migration aus unbewohnbar gewordenen Regionen betroffen sein wird.

Das kam sehr missverständlich rüber. Es ging da um eine existenzielle Bedrohung. Aber natürlich ist Deutschland auch betroffen. Die Risiken steigen und auch die Belastungen steigen – überhaupt keine Frage. Aber uns wird in Deutschland nicht die Lebensgrundlage entzogen.

Das sehen die Menschen im Ahrtal wahrscheinlich anders.

Wenn ich davon spreche, dass es keine existenzielle Bedrohung gibt, meine ich natürlich Deutschland als Ganzes. Es gibt keine Garantie für jede einzelne Region. Die gäbe es aber auch ohne den Klimawandel nicht. Denn natürlich können Extremereignisse schlimme Verwüstungen anrichten.

Es wirkte so, als würden Sie den Klimawandel verharmlosen.

Sie sprechen da einen Punkt an, der mir sehr wichtig ist, der sich aber nur schwierig kommunizieren lässt: Der Klimawandel ist ein sehr ernstes Problem, aber ich finde es schlimm, wenn gerade junge Leute dadurch ihr Überleben unmöglich gemacht sehen. Das kann als Abwiegeln verstanden werden, so ist es aber nicht gemeint. Ich habe nach dem Interview Zuschriften von jungen Leuten erhalten, die glauben ganz konkret, in einem absehbaren Zeitraum hätten sie keine Chance mehr, den Klimawandel zu überleben. Ich finde das entsetzlich und auch unbegründet. Oft wird so getan, als sei die Katastrophe komplett unvermeidbar. Das ist einfach nicht so – es ist meine Pflicht als Wissenschaftler, auch das zu sagen. Es ist überhaupt nicht angemessen, sich in Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit zurückzuziehen. Und das ist doch eine gute Nachricht. Meiner Erfahrung nach ist es aber genauso schwierig, die Menschen zu erreichen, die auf dem Katastrophenzug sitzen, wie die Menschen, die den menschengemachten Klimawandel oder die Notwendigkeit, etwas dagegen zu tun, anzweifeln.

Das Interview führte Peter Hergersberg

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