In Astronomie ganz groß

Von der MeerKAT-Kooperation profitieren beide Partner, Deutschland und Südafrika

Die Max-Planck-Gesellschaft investiert 20 Millionen Euro in den Ausbau des Radioteleskops MeerKAT in Südafrika, das auch Keimzelle des Square Kilometer Array (SKA) sein wird. SKA wird in Südafrika sowie Australien entstehen und soll mit einer Fläche von insgesamt einem Quadratkilometer Radiowellen am südlichen Himmel einfangen. Wir sprachen mit Robert Adam, dem geschäftsführenden Direktor des South African Radio Astronomy Observatory (SARAO), und Michael Kramer, Direktor am Max-Planck-Institut für Radioastronomie, über die wissenschaftlichen Erfolge und Ziele von MeerKAT, den Stand von SKA und die Perspektive für die Wissenschaft in Südafrika und in anderen Ländern des südlichen Afrikas.

Herr Kramer, Herr Adam, welche wissenschaftlichen Highlights wurden mit MeerKAT bislang erzielt?

Kramer: Schon das erste Bild von MeerKAT war das bislang detaillierteste und beeindruckendste Bild von unserem galaktischen Zentrum. Damit hat MeerKAT schon bewiesen, dass es das beste Radioteleskop ist, das es derzeit auf der Welt gibt. Wir haben auch schon einige Pulsare in Kugelsternhaufen entdeckt, die wir jetzt näher untersuchen. Wir sind aber erst am Anfang und freuen uns sehr darauf, was wir mit MeerKAT in Zukunft noch machen können.

Adam: MeerKAT wurde erst Mitte 2018 in Betrieb genommen. Am Anfang mussten wir erst einmal die Technik ans Laufen bringen, mit der die Signale der verschiedenen Antennen kohärent addiert werden – das ist ein wiederborstiges elektronisches Monster. Trotzdem gab es schon ein paar Highlights, zum Beispiel Einblicke in die Materie-Jets aus den Zentren verschiedener Galaxien. Aber die großen Überblicksmessungen, für die MeerKAT besonders gut geeignet ist, haben gerade erst begonnen.

Welche Einblicke erhoffen Sie sich von den Überblicksmessungen?

Adam: In zwei Projekten geht es etwa um Pulsare, die in sehr regelmäßigem Takt Radiosignale abgeben, und ihr Timing. In anderen Projekten erstellen wir Karten der Wasserstoffverteilung. Wasserstoff ist das häufigste Element im Universum. Seine Verteilung verrät uns viel über die Struktur des Universums, sowohl in kosmologischem als auch in galaktischem Maßstab. Darüber hinaus untersuchen wir Exoplaneten, die nahegelegene Sterne umkreisen, oder riesige kosmische Magnetfelder, die uns noch große Rätsel aufgeben.

Welchen Nutzen versprechen Sie sich von der Erweiterung um 20 Antennen?

Adam: Nicht nur die Empfindlichkeit wird sich stark erhöhen, sondern auch das Auflösungsvermögen des Teleskops wird dadurch noch einmal deutlich besser. Auf der südafrikanischen Seite werden  wir die Antennen mit Empfängern ausstatten, die dann zum Beispiel. den neutralen Wasserstoff mit höherer Auflösung kartieren können. Unsere deutschen Partner werden in die neuen Antennen außerdem „S-Band“-Detektoren einbauen, genauso wie sie es auf die schon bei den vorhandenen Teleskopen gemacht haben.

Wofür sind die gut?

Kramer: Damit können wir bei etwas höheren Frequenzen messen und deshalb viel tiefer in unsere Galaxie blicken – bei niedrigeren Frequenzen behindert das interstellare Medium unsere Sicht etwas. So können wir nach Pulsaren suchen oder chemische Reaktionen beobachten. Wir planen hier Projekte, die auch dann noch einen Mehrwert haben, wenn das noch größere SKA, der Square Kilometer Array, kommt.

Deutschland beteiligt sich seit 2015 nicht mehr offiziell an SKA, ist aber noch durch die Max-Planck-Gesellschaft vertreten? Wie ist der Stand bei diesem Projekt?

Kramer: Wir nehmen als Max-Planck-Gesellschaft momentan eine Art Platzhalter-Rolle für eine deutsche SKA Beteiligung ein und verhandeln gerade, wie deutsche Wissenschaftlern von den MPG Beiträgen profitieren können.

Adam: Die Covid-19-Pandemie hat den Prozess etwas verlangsamt, vor allem durch die Reisebeschränkungen. Generell ist SKA als multilaterales Projekt schwieriger abzustimmen als MeerKAT. Ich habe das Gefühl, der Aufwand für solche Prozesse steigt quadratisch mit der Zahl der Partner: Nicht alle haben schon das Geld zur Verfügung, die Wissenschaftler haben ihren Regierungen teilweise unterschiedliche Dinge versprochen – das muss man alles berücksichtigen, wenn man so ein Projekt ans Laufen bringen will. Da muss man oft Kompromisse machen und kann nicht einfach entscheiden. Das ist der Grund, warum die US-Kollegen keine multilateralen Projekte mögen. Aber wir sind trotzdem auf einem guten Weg. Ich denke, sobald die Sitzländer Australien, Südafrika und Großbritannien als größter Geldgeber sich geeinigt haben, wird vieles einfacher. China und Italien sind auch engagiert, und Deutschland hoffentlich auch bald wieder.

Kramer: Das Gute ist, dass SKA ein modulares System ist. Deshalb kann man die Schüsseln Schritt für Schritt hinzufügen. So ähnlich, wie wir es jetzt mit MeerKAT machen. Selbst wenn es nicht von Anfang an genügend Geld für den kompletten Ausbau gibt, kann man schon ein Teleskop bauen, das einzigartig ist. Dann kann man es ergänzen, wenn weitere Partner beitreten.

Adam: Das ist definitiv ein Vorteil der Radioastronomie, dass man unsere Teleskope schrittweise bauen kann. Man kann dagegen nur sehr schwer ein halbes optisches Teleskop bauen.

Inwiefern profitieren Ihre beiden Organisationen von der Kooperation?

Kramer: Die Südhalbkugel ist für die Radioastronomie sehr interessant, aber es gab dort vor MeerKAT kein Radioteleskop dieser Größe. Für die Wissenschaft öffnet sich mit diesem sehr empfindlichen und vielseitigen Instrument völlig neue Möglichkeiten, was die Auflösung angeht. Daran beteiligt zu sein, bedeutet das, wofür die Max-Planck-Gesellschaft steht: den Versuch, immer wieder die Grenzen des Möglichen zu verschieben, und dadurch Erkenntnisse zu gewinnen.

Adam: In der optischen Astronomie waren wir schon immer ziemlich stark, aber in der Radioastronomie ist unser Land noch ein Newcomer. Deshalb bringt es uns viel, mit deutschen Kollegen an der Erweiterung von MeerKAT zu arbeiten, weil wir auf ihrer wissenschaftlichen Erfahrung aufbauen können. Das wird uns auch beim Bau von SKA helfen. Und wir sind dankbar für die unbürokratische, kooperative Art unserer deutschen Kollegen: Wir lösen Probleme, und suchen nicht nach Wegen, wie wir über sie fallen können – das habe ich in anderen Kooperationen auch schon anders erlebt.

Kramer: Mal abgesehen von der Wissenschaft, sind wir immer wieder beeindruckt, welche pfiffigen Lösungen die südafrikanischen Ingenieure finden. Zum Beispiel haben südafrikanische Kollegen die Hardware entwickelt, um all die Daten der Teleskope zu kombinieren. Die wird jetzt mehr oder weniger in dieser Form in vielen anderen Teleskopen auf der Welt eingesetzt, zum Beispiel auch in unserem Teleskop in Effelsberg, und das schon bevor wir uns entschieden haben, bei MeerKAT einzusteigen. Der Austausch von Erfahrungen und Ideen geht also in beide Richtungen.

Welche Bedeutung haben MeerKAT und später SKA für die Wissenschaft in Südafrika und darüber hinaus?

Adam: Nachdem wir die Apartheid hinter uns gelassen hatten, hatten wir die Möglichkeit, viele Dinge neu zu erfinden. Vorher gab es einen Boykott wissenschaftlicher Einrichtungen, genauso wie des Handels und anderer Dinge. Jetzt konnten wir plötzlich international kooperieren, vor allem internationale Investitionen in unsere Wissenschaft wurden möglich. Also haben wir uns überlegt, was Wissenschaftler aus Deutschland oder den USA in Südafrika anziehen könnte, nicht als Geberstaat, sondern als Land, das für seine eigene Forschung einen Nutzen sucht. So sind wir auf die Astronomie gekommen, weil es hier immer hilfreich ist, aus unterschiedlichen Teilen der Welt in Universum zu gucken. Wir wollten also Gastgeber für unterschiedliche große Teleskope werden. Deshalb haben wir zuerst das South African Large Telescope, ein optisches Teleskop, gebaut, dann haben wir  in Namibia, das bis 1990 zu Südafrika gehörte, beim Bau des Gammastrahlen-Teleskop HESS mitgewirkt. Auch bei SKA nutzen wir internationales Interesse und internationale Investitionen, um die südafrikanischen Wissenschaft und Wirtschaft zu unterstützen. Wir haben unserem Kabinett gesagt: Wenn Ihr Geld in intelligente Leute in einem tollen Projekt steckt, bekommt ihr mehr als das Projekt. Auch das Silicon Valley würde es ohne das Apollo-Projekt nicht geben. Es gibt eine ganze Reihe von Transfers über Fachgrenzen hinweg. Wir können Euch zwar nicht sagen, welchen Effekt das haben wird, aber es wird einen Effekt haben. Und beim Umgang mit Big Data, einer Schlüsseltechnik nicht nur für die Astronomie, sondern für ganz viele Bereiche, treiben wir die Entwicklung heute tatsächlich voran.

Kramer: Es gibt ein weiteres gutes Beispiel für einen sehr aktuellen Technologietransfer: Ingenieure von SARAO wurden angeheuert, Beatmungsmaschinen zur Therapie von Covid-19 zu bauen. Das zeigt, dass die Leute bei unserer Forschung Fähigkeiten erwerben, die für die Gesellschaft nützlich sind.

Adam: Wir haben die Karoo-Gegend für MeerKAT natürlich ausgesucht, weil hier nur wenige Menschen leben. Denn dichte Besiedlungen und Astronomie vertragen sich nicht gut miteinander. In der Radioastronomie gibt es zum Beispiel Störungen von Mobiltelefonen. Aber natürlich gibt es auch in der Karoo-Region Menschen, die bis zum Beginn des MeerKAT-Projekts ausschließlich von Landwirtschaft und staatlichen Hilfen lebten. Wir haben dazu beigetragen die hiesige Ökonomie zu diversifizieren, zum Beispiel durch Gastgewerbe oder durch den Verkauf von Fahrzeugen und Diesel. Außerdem ist es natürlich viel sinnvoller, junge Leute aus der Gegend zu Handwerkern und Technikern auszubilden. Ein Beispiel eher aus dem Bereich von low-tech Beschäftigungen: Alle Beschäftigten, die bei uns Fasern spleißen, stammen aus der Gegend. Man kann auf dem Niveau anfangen, und qualifiziert sich dann hoffentlich weiter. Schließlich haben wir ein großes Stipendien-Programm für Schüler. Und für Schüler, die mit der Highschool fertig werden und gute Noten in Naturwissenschaften und Mathematik haben, zahlen wir ein Studium an einer Universität.

Wie schätzen Sie die Aussichten für die Wissenschaft in Südafrika ein?

Adam: Die südafrikanische Wissenschaft hat sich in verschiedenen Stufen entwickelt. Am Anfang wurde hier tatsächlich die Astronomie groß, später konzentrierte sich die Wissenschaft auf unsere Ressourcen: landwirtschaftliche Forschung, Bergbauwissenschaft. Als wir uns nach dem zweiten Weltkrieg industrialisierten, herrschte die Auffassung, dass wir uns auf Forschung konzentrieren sollten, die der Entwicklung der Industrie dient. Während der Apartheid standen Sicherheitsforschung, Nukleartechnik und Energiesicherheit im Mittelpunkt. So haben sich über die Jahrzehnte Kompetenzen auf ziemlich unterschiedlichen Gebieten herausgebildet.

Wie war die Situation nach dem Ende der Apartheid?

Adam: Insgesamt bin ich optimistisch, was die Wissenschaft in Südafrika angeht. Wir haben starke Forschungseinrichtungen und vor allem gute Universitäten. Man muss bedenken, dass wir da aus eine Phase kamen, in der es um den Kampf für Menschenrechte ging. Und dann haben wir dem Finanzminister gesagt, wir bräuchten Geld für Grundlagenforschung. Das war angesichts der Entwicklungsagenda in den 1990er- und 2000er-Jahren nicht einfach zu verkaufen. Wir haben das aber auch deshalb geschafft, weil wir einige große Projekte wie etwa SKA in unser Land gezogen haben, die viele Interessen berühren. SKA betrifft nicht nur das Wissenschaftsministerium, sondern auch das die Ministerien für Kommunikation, für internationale Beziehung und für den Handel. Sobald sich mehrere Ministerien für eine Sache interessieren, wird es viel leichter sie umzusetzen. Dabei sind Plattformen wie MeerKAT günstig, die nicht nur die südafrikanische Forschung, sondern eine internationale wissenschaftliche Gemeinde nutzen kann: Dann bezahlt jemand anderes die Gehälter der Wissenschaftler. Wir müssen vor allem die Technik zur Verfügung stellen.

Kramer: Unsere südafrikanischen Kollegen leben jetzt die Idee, für die auch die Max-Planck-Gesellschaft steht. Man weiß nie, was bei der Grundlagenforschung herauskommt. Es kann große Durchbrüche geben, die die Welt verändern. Abgesehen davon geht es auch darum, die Menschen auszubilden. Nicht alle davon werden in der Wissenschaft unterkommen. Aber die jungen Leute lernen hier, Probleme zu lösen, die vorher keiner gelöst hat, das können sie auch an ganz anderer Stelle einbringen. Auch deshalb ist die Grundlagenforschung so essentiell für jede Gesellschaft und jede Wirtschaft. Das haben sich die südafrikanischen Kollegen sehr zu Herzen genommen.

Wie beurteilen sie die Chance, dass die Grundlagenforschung ein Motor für die Entwicklung in anderen Ländern des südlichen Afrikas wird?

Adam: Grundlagenforschung kann sehr unterschiedliche Dinge bedeuten: Es gibt Grundlagenforschung in der Landwirtschaft oder in der Genetik, die für die Landwirtschaft relevant ist. Aber bis wir im südlichen Afrika eine Forschungsdichte erreichen, die Grundlage einer innovationsgetriebenen Wirtschaft ist, wird sicherlich noch einige Zeit vergehen. Selbst viele besser entwickelte Länder sind ja noch nicht so weit. Und weil die Dichte wissenschaftlicher Aktivitäten in Entwicklungsländern geringer ist, schauen Forscher dort weniger auf die Industrie nebenan als auf die Nordhalbkugel. Deshalb ist der Transfer in die Anwendung hier noch schwieriger. Ein weiteres Problem mit Beiträgen der Forschung zur ökonomischen Entwicklung ist, dass Wissenschaft Wissen oft eher konzentriert, als es zu verbreiten. Selbst die dritte industrielle Revolution, die Digitalisierung, von der wir hofften, sie würde Gesellschaften demokratischer machen, hat das nicht geschafft. Keiner hat bislang das Problem gelöst, wie sich wissenschaftliche Erkenntnisse in Fortschritt umwandeln lassen, der allen zu Gute kommt. In Südafrika gab es immerhin einige Durchbrüche in der Bergbautechnik, die weltweit eine Wertschöpfung von einigen Milliarden Dollar geschaffen haben. Aber beim Technologietransfer sind wir auch in Südafrika noch nicht so weit, wir gerne sein würden.

Kramer: Natürlich glaubt keiner von uns, dass Astronomie die Probleme der Welt lösen wird, aber wir können zumindest ein bisschen helfen. Big Data zum Beispiel ist nicht nur für die Astronomie ein Problem. Aber wir haben da vielleicht schon etwas mehr Erfahrung als andere Disziplinen. Wenn unsere S-Band-Detektoren laufen, werden wir jede Nacht zwei Petabyte an Daten produzieren, die kann man nirgendwo speichern. Generell wird die Speicherung von Daten egal welcher Art künftig einen beträchtlichen Anteil am weltweiten Energieverbrauch ausmachen. Deshalb müssen wir versuchen, Computer grüner zu machen. Dabei haben wir in Südafrika noch Glück: Obwohl MeerKAT in einer ziemlich einsamen Gegend liegt, können wir es einfach am Stromnetz anschließen. Aber für andere Teile von Teleskopen wie SKA müssen wir möglicherweise eine unabhängige regenerative Energieversorgung entwickeln, die rund um die Uhr zur Verfügung steht.

Das Interview führte Peter Hergersberg.

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