Spurensuche im Vorbeiflug

Die Raumsonde BepiColombo misst von der Venus entweichende Kohlenstoff-Ionen und hilft so, die besondere Entwicklung der Venus zu entschlüsseln

Im Vorbeiflug an der Venus hat die europäisch-japanische Raumsonde Bepi Colombo erstmals Kohlenstoff-Ionen gefunden, die aus der Atmosphäre des Planeten ins All entweichen. Untersuchungen der Ionenverteilung helfen zu verstehen, welche Prozesse die Atmosphäre unseres Nachbarplaneten geformt haben und warum sie sich stark von der Gashülle der Erde unterscheidet. Ideengeber für diese akrobatischen Messungen war ein seltenes kosmisches Ereignis, das sich vor 25 Jahren ereignete – und einen Hauch der Venus bis zur Erde brachte.

Um auf dem Weg zum Zielplaneten Merkur die Flugrichtung anzupassen und abzubremsen, hat die Sonde am 10. August 2021 zum zweiten Mal die Venus sehr nah passiert. Ausgestattet mit speziellen Messinstrumenten durchflog die Raumsonde dabei eine bisher unerforschte Region auf der Nachtseite der Venus. Den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern bieten solche Stippvisiten (oder Fly-Bys) nicht nur die Gelegenheit, ihr Instrument unter echten Weltraumbedingungen zu testen. Oft enthalten die Messdaten auch wertvolle wissenschaftliche Erkenntnisse. Für das Instrument MPPE war jedoch nicht mit optimalen Messbedingungen zu rechnen. Das Instrument sollte daher eigentlich ausgeschaltet bleiben.

Das MPPE-Team drängte dennoch darauf, während des Vorbeiflugs die Verteilung geladener und ungeladener Teilchen in der Umgebung des Planeten so gut es geht zu bestimmen. „Seit mehr als zwei Jahrzehnten treiben uns Messungen der Raumsonde Soho um“, sagt Markus Fränz vom Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung. Im Jahr 1996 entdeckte Soho, das Solar and Heliospheric Observatory der Esa und Nasa, in der Nähe der Erde Kohlenstoff-Ionen von der Venus. Damals lag die Erde genau im Sonnenwindschatten der Venus. Unter diesen seltenen Bedingungen konnten Ionen aus der sonnenabgewandten Umgebung der Venus weit ins All vordringen und sogar die Erde erreichen. Bisher glückte es aber nicht, solche Kohlenstoff-Ionen in unmittelbarer Nähe zur Venus nachzuweisen. „Dem wollten wir unbedingt nachgehen“, so Fränz weiter. Denn die Ionen geben entscheidende Rückschlüsse darauf, warum Venus und Erde seit ihrer Entstehung so unterschiedliche Entwicklungswege eingeschlagen haben.

Eine höllische Variante der Erde

Während unser Heimatplanet eine lebensfreundliche Welt mit viel Wasser und sauerstoffreicher Atmosphäre wurde, hat die Venus ihr einstiges Wasser weitestgehend verloren. Der hohe Anteil an Kohlenstoffdioxid in ihrer Lufthülle begünstigt zudem einen extremen Treibhauseffekt und erzeugt so hohe Oberflächentemperaturen von im Schnitt mehr als 450 Grad Celsius. „Die Prozesse, die sich noch heute in der Ionosphäre der Venus abspielen, liefern wichtige Hinweise darauf, wie sich der Planet entwickelt hat“, sagt Norbert Krupp, Wissenschaftler am Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung.

Anders als die Erde erzeugt die Venus in ihrem Innern nicht selbst ein Magnetfeld, das Teilchen aus der Atmosphäre an den Planeten bindet. Die geladenen Teilchen des Sonnenwindes, des stetigen Teilchenstroms von der Sonne, induzieren lediglich ein schwaches Magnetfeld. Leichte oder schnelle Teilchen können deshalb den Einflussbereich des Planeten mühelos verlassen. Schwere Ionen und Moleküle hingegen wie etwa Kohlenstoff-Ionen müssten – wie auch auf der Erde oder dem Mars - eigentlich gebunden bleiben. 

Höhere Auflösung als Vorgänger

Beim Vorbeiflug ist es nun erstmals gelungen, die Soho-Messungen von 1996 in unmittelbarer Nähe zur Venus zu bestätigen. „Offenbar erhalten Kohlenstoff-Ionen in der Venus-Magnetosphäre genug Energie, um ins All zu entweichen“, sagt Harald Krüger vom Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung. Das zeigen Messungen der MPPE-Sensoren. Vergleichbare Untersuchungen älterer Venus-Sonden wie etwa Venus Express waren nicht in der Lage gewesen, Kohlenstoff-Ionen von anderen Ionen und Molekülen mit ähnlichen Massen verlässlich zu unterscheiden. Zudem durchquerte Venus Express die sonnenabgewandte Magnetosphäre der Venus zu nah an der Oberfläche, ein eher ungünstiger Bereich, um nach den ausgestoßenen Ionen zu schen. Erst BepiColombo und seine Instrumente boten dafür jetzt die notwendige Empfindlichkeit und Flugbahn.

„In der Atmosphäre der Venus ist offenbar eine komplexe Atmosphären-Chemie am Werk, die sich von der von Erde und Mars grundlegend unterscheidet“, so Fränz. Neben den Kohlenstoff-Ionen fanden die Forscherinnen und Forscher zudem etwa dreimal so viele entweichende Sauerstoff-Ionen. Der Überschuss an Sauerstoff-Ionen deutet auf Wasser-Moleküle oder -Ionen als mögliche Quelle hin.

Flugroute durch unerforschtes Gebiet

Beim Vorbeiflug näherte sich BepiColombo der Venus von der Nachtseite. Dort ist die Venus-Magnetosphäre typischerweise schweifförmig langgezogen und ragt weit ins All hinaus. Die aktuellen Messungen gelangen in einem Abstand von etwa 36.000 Kilometern vom Planeten. Diese Region hatte zuvor noch keine andere Weltraummission durchquert.

Weitere Erkenntnisse zu den chemischen Reaktionen, die sich in der Atmosphäre der Venus abspielen, erhoffen sich die Forschenden von künftigen Venus-Besuchen. Auf ihrem sehr langgestreckten Orbit um die Sonne wird die Esa-Raumsonde Solar Orbiter den Planeten in den nächsten Jahren mehrfach passieren. Voraussichtlich in den 30er Jahren startet zudem die Venus-Mission EnVision der Esa ins All.

 

Weitere Informationen

Das Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung ist an insgesamt vier Instrumenten der Mission BepiColombo beteiligt. Zum Instrumentenpaket MPPE (Mercury Plasma Particle Experiment) haben Wissenschaftler*innen und Ingenieur*innen des Instituts Komponenten des Sensors MSA (Mass Spectrum Analyzer) entwickelt und gebaut. Zudem war und ist das Institut an Venus-Missionen beteiligt. Zu der ESA-Raumsonde Venus Express hatte das Institut das Messinstrument ASPERA-4 (Analyser of Space Plasmas and Energetic Atoms) beigesteuert. Für die künftige ESA-Mission EnVision zur Venus entwickelt das MPS Komponenten des Spektrometers VenSpec.

 

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