Das Geheimnis schöner Gedichte
Wir lesen am liebsten Lyrik, die Bilder im Kopf entstehen lässt
Eine neue Studie der New York University und des Max-Planck-Instituts für empirische Ästhetik zeigt, dass lebendige bildhafte Sprache die Attraktivität von Gedichten am stärksten beeinflusst. Die Ergebnisse verbessern das Verständnis von ästhetischen Präferenzen im Allgemeinen.
Die Wirkung poetischer Sprache wurde bislang vor allem anhand objektiver Kriterien wie Versmaß und Rhythmus gemessen. Zur ästhetischen Wahrnehmung gehört aber auch die subjektive Beurteilung. Wissenschaftler der New York University und des Max-Planck-Instituts für empirische Ästhetik haben nun am Beispiel von Gedichten subjektive Faktoren identifiziert, die unsere ästhetischen Präferenzen prägen. Das Ergebnis zeigt: Je stärker ein Gedicht lebhafte Sinnesbilder hervorruft, desto mehr gefällt es uns.
Mehr als 400 Teilnehmer bewerteten im Rahmen der Studie Gedichte der Gattungen Haiku und Sonett. Nach der Lektüre jedes Gedichtes gaben sie eine Beurteilung anhand von vier subjektiven Kriterien ab: Die Probanden stuften die Lebendigkeit der sprachlichen Bilder ein (zum Beispiel "wie ein sich ausbreitendes Feuer") und die Valenz, d.h. ob sie das Thema positiv oder negativ wahrnahmen. Zudem wurde ihre emotionale Erregung abgefragt sowie die ästhetische Anziehungskraft (wie sehr mag der Leser das Gedicht).
Edward Vessel, Wissenschaftler am Max-Planck-Institut für empirische Ästhetik, der die Studie gemeinsam mit Amy Belfi und Gabrielle Starr (New York University) durchführte, erklärt: "Wir vermuten, dass der Grund für den starken Einfluss der sprachlichen Bilder in ihrem Potential liegt Bedeutung zu transportieren. Eine lebendige Sprache gibt dem Leser die Möglichkeit Dinge durch seine Vorstellungskraft zu sehen, zu hören oder zu fühlen und so eine quasi-sinnliche Dimension zu erfahren." Der zweitstärkste Einflussfaktor für die ästhetische Anziehungskraft eines Gedichtes war eine positive Valenz. Der Grad der emotionalen Erregung hatte keinen starken Bezug zur empfundenen Attraktivität.
"Weil der Einfluss intensiver mentaler Bilder in unserer Studie so groß war, gehen wir davon aus, dass dieser Faktor auch unsere Präferenzen in anderen ästhetischen Genres beeinflussen kann", führt Vessel aus. Weitere Studien werden zeigen, inwieweit auch die Attraktivität beispielsweise von Musikstücken mit der Fähigkeit verbunden ist, Bilder in unseren Köpfen zu erzeugen.
AT