Plastik – nicht nur Müll
Kunststoffe sammeln sich in immer größeren Mengen in den Ozeanen an, doch wegen ihrer Vorzüge sind sie schwer zu ersetzen
Aus guten Gründen stecken Kunststoffe heute beinahe in allen Dingen, die uns das Leben erleichtern: in Computern, Autos und natürlich Verpackungen. Doch weil sie so stabil sind und oft nicht ordentlich entsorgt werden, sammelt sich immer mehr Plastikabfall in den Meeren an. Um das Risiko durch Kunststoffe und mögliche Alternativen zu erforschen, beteiligen sich Frederik Wurm und seine Mitarbeiter vom Mainzer Max-Planck-Institut für Polymerforschung am Projekt PlastX.
Text: Peter Hergersberg
Die Plastiktüte ist die Glühbirne der Abfallwirtschaft. Wie der Bann gegen den Leuchtkörper, der mehr Wärme als Licht erzeugt, hat auch das EU-weite Verbot kostenloser Tüten, das ab 2018 wirksam wird, viel öffentliche Aufmerksamkeit gefunden – und nicht nur wohlwollende. Und im einen wie im anderen Fall handelt es sich um eine Aktion mit Symbolkraft, die ein Bewusstsein für ein Problem schaffen kann, deren Effekt für das Erreichen des eigentlichen Ziel aber bescheiden bleiben dürfte. Gemeinsam ist beiden Verboten zudem, dass sie auch unerwünschte Nebenwirkungen haben.
So leisten Energiesparlampen nur einen kleinen Beitrag, um den CO2-Ausstoß Europas auf ein klimaverträgliches Maß zu reduzieren, die Schwermetalle in den Birnen machen diese im normalen Hausmüll aber zur Giftquelle. Und das Verbot kostenloser Plastiktüten in Europa führt wahrscheinlich nicht dazu, dass sich spürbar weniger Plastik in den Weltmeeren ansammelt. „Vor allem in Entwicklungs- und Schwellenländern gelangen Kunststoffe oft aus Achtlosigkeit in die Umwelt“, sagt Frederik Wurm, Forschungsgruppenleiter am Max-Planck-Institut für Polymerforschung in Mainz. „Aber in Ländern wie Deutschland, wo Plastikabfälle meistens in der Mülltonne oder im gelben Sack landen, liegt das Problem eher im ungewollten Kunststoff-Abfall, das heißt in Mikropartikeln, die von Autoreifen oder beim Waschen von Kunstfaser-Textilien abgerieben werden und in die Gewässer geraten.“ Dagegen hilft kein Verbot, kein guter Wille und bislang auch noch keine Kläranlage.
Das Projekt PlastX will die Umweltbelastung durch Kunststoffe reduzieren
Um das Risiko abzuschätzen, das von den Kunststoffen ausgeht, wenn sie sich in der Umwelt statt der Mülltonne ansammeln, arbeiten die Chemiker um Frederik Wurm gemeinsam mit Sozialwissenschaftlern der Goethe-Universität Frankfurt und des Instituts für sozialökologische Forschung am Projekt PlastX. Die Forscher wollen darin auch mögliche Alternativen zu den gängigen Polymer-Materialien vorstellen und Vorschläge machen, wie man die Umweltbelastung durch Kunststoffe nicht nur in Deutschland, sondern vor allem in Entwicklungs- und Schwellenländer reduzieren kann. An dem Projekt, das vom Bundesforschungsministerium gefördert wird, sind auch die Verbraucherzentrale Nordrheinwestfalen, die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit und verschiedene Unternehmen wie etwa die Supermarktkette Tegut beteiligt.
Schnell wurde den Forschern im PlastX-Projekt klar, dass es für die Fragen, die sie beantworten wollen, keine einfachen Lösungen gibt. Das fängt mit den Gefahren, die Kunststoffe in der Umwelt für Tiere und Menschen darstellen. Die Materialien werden heute alleine deshalb als Bedrohung gesehen, weil sie so unverwüstlich sind und sich massenhaft in der Umwelt ansammeln, wenn sie nicht ordentlich entsorgt werden. Und tatsächlich wirken alleine die Zahlen beängstigend: Eine US-amerikanische Studie unter anderem von Forschern der Universität Georgia hat ergeben, dass die Menge an Plastikmüll jährlich um 4,8 bis 12,7 Millionen Tonnen wächst – vor allem weil Verpackungen und ausgediente Geräte gedankenlos weggeworfen werden. Zudem werden einer Studie der internationalen Naturschutz-Organisation IUCN zufolge pro Jahr zwischen 0,8 und 2,5 Millionen Tonnen Kunststoff-Mikropartikel in die Ozeane gespült.
„Bislang ist aber noch nicht klar, inwieweit Kunststoffe vor allem in Form von Mikropartikeln für Tiere und Menschen gefährlich sind“, sagt Frederik Wurm. „Wir wissen zum Beispiel noch nicht, ob daraus Nanopartikel entstehen, die vom Körper viel besser aufgenommen werden als Mikropartikel.“ Unklar sei zudem, ob über die Plastikteilchen Schadstoffe in den tierischen oder menschlichen Organismus gelangen und ob sie dort dann auch von den Plastikteilchen abgelöst werden.
Kunststoffe sind leicht, stabil, luft- und wasserdicht und nicht zuletzt billig
Auch wenn mit Kunststoffen Risiken verbunden sind, wer sie deswegen von vorneherein ächtet, macht es sich zu einfach. Denn auch auf der Haben-Seite der Materialien lässt sich einiges verbuchen. Nicht zu Unrecht sind Kunststoffe seit einigen Jahrzehnten nicht mehr aus unserem Alltag wegzudenken und finden sich in fast jedem Gerät, das uns das Leben erleichtert. So gehört auch zu ihren Vorteilen, dass sie so haltbar sind, obwohl genau das zu einem ökologischen Problem werden kann. Sie sind zudem leicht, stabil, luft- und wasserdicht und nicht zuletzt billig.
Wegen ihrer Vorzüge sind Kunststoffe nicht einfach zu ersetzen. Zum Beispiel in Tüten. So bieten Taschen aus Papier der Deutschen Umwelthilfe zufolge keine umweltfreundliche Alternative. Denn ihre Produktion verbraucht deutlich mehr Energie und Wasser, zudem werden dabei Chemikalien eingesetzt, die der Umwelt schaden. So fällt die Ökobilanz einer Papiertüte schlechter aus als die einer ordentlich entsorgten Plastiktüte.
Während aus dem Tüten-Dilemma noch der Stoffbeutel hilft, den man bei jedem Einkauf wiederverwenden kann, ist das in anderen Fällen deutlich schwieriger. Vor allem wenn es darum geht, feuchte und leicht verderbliche Lebensmittel entsprechend der heutigen Hygiene-Standards zu verpacken, gibt es kaum Alternativen zu Plastik. Auch mit der eigenen Kunststoffdose oder einem Glas in den Supermarkt zu gehen und sich darin den Joghurt abfüllen oder die Wurst einpacken zu lassen, sei keine, sagt Frederik Wurm. „Die Behältnisse zu waschen, belastet die Umwelt mehr als Kunststoff-Verpackungen, die ordentlich entsorgt werden.“ Außerdem müssten sich die Verbraucher dann selbst darum kümmern, dass ihre Behälter immer sauber sind.
Abbaubare Joghurtbecher dürfen sich nicht schon im Kühlschrank auflösen
Eine Lösung des Problems wären Kunststoffe, die entweder biologisch oder durch Wasser, Luft und Licht in einer überschaubaren Zeit abgebaut werden. Genau an solchen Polymeren arbeiten der Mainzer Chemiker und seine Mitarbeiter. Sie erforschen Synthesewege für phosphathaltige Polymere. Diese Kunststoffe lösen sich im Wasser allmählich auf und bringen sich bereits für die eine oder andere Anwendung in Position. Etwa als abbaubare Flammschutzmittel oder als Beschichtung von Mikro- und Nanotransportern, die im menschlichen Körper einmal medizinische Wirkstoffe direkt zum Krankheitsherd bringen sollen. „Unsere Polyphosphorester eignen sich nur für solche relativ speziellen Anwendungen“, sagt Frederik Wurm. „Für kurzlebige Massenprodukte wie Verpackungen sind sie zu teuer.“
Auch wenn die phosphathaltigen Polymeren für die breite Anwendung nicht in Frage kommen, wollten die Mainzer Forscher mit ihrer Erfahrung aus der Forschung an diesen Materialien abbaubare Kunststoffe für Tüten und andere Verpackungen entwickeln. Das war zumindest der Plan, als das PlastX-Projekt startete. „Wir haben aber schnell gemerkt, dass das viel komplizierter ist, als wir dachten“, sagt Frederik Wurm. Das fängt dabei an, dass die Chemiker steuern müssen, wann ein Kunststoff abgebaut wird. Schließlich soll sich der Joghurtbecher, der im Wasser abgebaut wird, ja nicht schon auflösen, wenn er mit seinem wasserhaltigen Inhalt noch im Kühlschrank steht. „Außerdem müssen wir steuern, an welchen Stellen ein Polymer gespalten wird, damit nicht Produkte entstehen, die für die Umwelt auch schädlich sind.“ So entstehen aus den abbaubaren Kunststoffen, die derzeit erforscht werden oder sogar schon zu Verpackungen verarbeitet werden, Tenside, sobald sie zerfallen. Und die sind in Gewässern genauso unwillkommen wie Kunststoffe, weil sie dort zur Überdüngung führen. Zudem erfüllen viele Kunststoffe, die als abbaubar beworben werden, dieses Versprechen nur in der Kompostieranlage.
Gegen Mikropartikel helfen Filter in Kläranlagen
Die Mainzer Chemiker gehen daher nun anders vor: „Wir analysieren jetzt erst einmal, was wir wollen, welche Alternativen zu gängigen Kunststoffen es bereits gibt und welche davon für die Umwelt unterm Strich am besten ist“, sagt Frederik Wurm. Um Mikropartikel aus den Gewässern fernzuhalten, bleibe wahrscheinlich ohnehin nur die Möglichkeit, Kläranlagen mit Filtern auszustatten, die diese Verunreinigungen aus dem Abwasser entfernen.
Aber auch unabhängig von dem Müll-Problem lässt sich die Ökobilanz von Kunststoffen vielleicht aufbessern. Kunststoffe aus regenerativen Rohstoffen oder gar aus Kohlendioxid, das bei der Verfeuerung von Kohle entsteht, könnten da helfen. Denn sie könnten das Plastik ersetzen, das heute noch fast ausschließlich aus Erdöl erzeugt wird. Solche Materialien könnten vor allem die Klimabilanz des Allzweckmaterials aufbessern und helfen fossile Ressourcen zu sparen. „Das Post-Erdölzeitalter ist leichter zu erreichen, als das Problem des Plastik-Mülls zu lösen“.
Um der Umweltverschmutzung durch Plastikmüll beizukommen, bleibt vielleicht das Recycling, wenn sich Kunststoffe beim Einkauf, aber auch in Telefonen, Computern oder Autos kaum ersetzen lassen und Polymere, die sich nicht von selbst auflösen, nicht in Sicht sind. Tatsächlich macht der grüne Punkt den Verbrauchern in Deutschland schon lange die Hoffnung auf eine Wiederverwertung von Plastik. Aber auch das funktioniert nicht so einfach wie etwa bei einer Glasflasche, aus der im Normalfall auch wieder eine Glasflasche wird.
Dank des Einwegpfands werden aus Plastikflaschen wieder Plastikflaschen
„Eine Verpackung kann man nur zu einer neuen Verpackung recyceln, wenn die Kunststoffe sortenrein getrennt werden“, sagt Frederik Wurm. Will heißen, Polyethylen, Polypropylen, Polyester und wie sie alle heißen dürfen sich nicht mischen. Genau das tun sie aber im Müll, und auch in der gelben Tonne oder im gelben Sack. Dazu kommen noch unterschiedliche Zusätze und Farbstoffe, die es zusätzlich erschweren, das Material wiederzuverwerten. „Es gibt zwar die Möglichkeit Kunststoffe durch Flotation im Luftstrom zu trennen, aber das ist zum einen sehr aufwendig und teuer und führt am Ende auch nicht zu Kunststoffen, die rein genug sind, um daraus wieder hochwertige Produkte herzustellen“, sagt der Chemiker. Einen Fortschritt hat in dieser Hinsicht immerhin das Einwegpfand gebracht. Es hat zwar die Mehrwegquote nicht erhöht, in den Auffangbehältern der Pfandautomaten sammeln sich aber nur Flaschen aus dem gleichen Kunststoff, sodass sie sich wieder zu Plastikflaschen oder aber zum Beispiel zu Fleece-Pullis verarbeiten lassen. Doch aus anderen Verpackungen wird gewöhnlich keine Verpackung mehr, sondern nur noch eine Parkbank.
Und wenn es auf manchen Verpackungen heißt, sie bestünden aus wiederverwertetem Kunststoff, bedeutet das nicht unbedingt, dass das Material aus dem Hausmüll stammt. „Bei diesen Materialien handelt es sich gewöhnlich um Abfälle aus der Industrieproduktion, die schon sortenrein vorliegen“, sagt Frederik Wurm. Auch wenn echtes Recycling bei Kunststoffen schwierig ist, bleibt die beste Option wohl, Kunststoffe zumindest in die Mülltonne zu werfen, in die sie gehören. „Wir entwickeln daher im PlastX-Projekt ein Konzept, um bei Verbrauchern nicht nur in Deutschland, sondern überall auf der Welt ein Bewusstsein zu fördern, dass Kunststoffe ein Rohstoff sind“, sagt Frederik Wurm. So wollen die Wissenschaftler die Menschen dazu bewegen, Verpackungen und andere Produkte aus Kunststoff nicht einfach wegzuschmeißen, sondern ordentlich zu entsorgen. Derzeit werden sie dann zum Teil verbrannt und erzeugen so in ihrem Nachleben wenigstens Strom. Und selbst wenn sie nur auf einer Müllkippe deponiert werden, landen sie zumindest nicht in den Ozeanen.