„Dass es überhaupt noch Schimpansen gibt, ist ein Wunder“

Die Wild Chimpanzee Foundation will die Schimpansen in Westafrika vor dem Aussterben bewahren

23. Februar 2017

Um rund 80 Prozent ist die westliche Unterart des Schimpansen in den letzten 20 Jahren zurückgegangen. Sie gilt deswegen inzwischen als vom Aussterben bedroht. Wenn die derzeitige Entwicklung so weitergeht, könnten Schimpansen und die übrigen Menschenaffen in naher Zukunft in der Natur ausgerottet sein.

Christophe Boesch, Direktor am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig, erforscht seit über 35 Jahren die Schimpansen in der Elfenbeinküste. Im Taï-Nationalpark unterhält der Max-Planck-Wissenschaftler drei Forschungscamps, die Wissenschaftler für ihre Forschungsarbeit nutzen können. Durch die jahrelange Beobachtung wilder, an menschliche Anwesenheit gewöhnter Schimpansen haben die Wissenschaftler eine Fülle neue Erkenntnisse über das Leben der Tiere gewonnen.

Um den Westlichen Schimpansen vor der Ausrottung zu retten, hat Boesch darüber hinaus vor 16 Jahren die Wild Chimpanzee Foundation ins Leben gerufen. Die Non-Profit-Organisation setzt sich für den Schutz der Schimpansen an der Elfenbeinküste, in Guinea und Liberia ein. Die Forschungsprojekte der Verhaltensforscher am Max-Planck-Institut helfen dabei, optimale Schutzmaßnahmen zu entwickeln.

Herr Boesch, was ist derzeit die größte Bedrohung für das Überleben der Schimpansen?

Boesch: Einerseits sind große Teile ihres Lebensraums in den letzten Jahrzehnten zerstört und in Ackerland verwandelt worden. Außerdem hat die Jagd auf die Tiere zugenommen: Die Bevölkerung in den Herkunftsländern ist arm und oft auf Wildfleisch angewiesen. Beides zusammen hat zu dem dramatischen Rückgang der Schimpansen geführt.

Was tut die Wild Chimpanzee Foundation dagegen?

Eines unserer wichtigsten Projekte derzeit ist die Einrichtung von zwei neuen Schutzgebieten in Guinea und Liberia. In Guinea alleine könnte der Moyen-Bafing Nationalpark Lebensraum für rund 5000 Schimpansen bieten. Wir verhandeln derzeit mit den Regierungen und der Weltbank über die Finanzierung.

Darüber hinaus unterstützen wir die Behörden mit Daten, damit sie Wilderer besser verfolgen können. An der Elfenbeinküste und in Liberia beteiligen sich zudem Dorfbewohner an Patrouillen in zwei Nationalparks. Außerdem ist uns die Umweltbildung besonders wichtig. Wir haben beispielsweise Partnerschaften zwischen Schulen in Deutschland und der Elfenbeinküste ins Leben gerufen: Die Schüler von vier Grundschulen und Gymnasien rund um Leipzig teilen ihre Unterrichtsergebnisse zum Thema Artenschutz mit ihren Altersgenossen und sammeln Geld, das den Schulen vor Ort zugutekommt. Darüber hinaus betreiben wir im Taï-Nationalpark ein Ökomuseum.

Die Länder mit Schimpansenvorkommen sind sehr arm, einige dazu noch politisch instabil. Wie kann man die Menschen vor Ort unter solchen Bedingungen für den Schutz der Schimpansen begeistern?

Es ist natürlich sehr schwierig. In all den Jahren habe ich an der Elfenbeinküste zwei Bürgerkriege erlebt. Dazu kommen noch zwei Ebola-Epidemien unter den Schimpansen. Angesichts dessen ist es eigentlich ein Wunder, dass es überhaupt noch Schimpansen gibt.

Aber die Menschen spüren den Klimawandel. Sie merken, dass die Trockenheit immer mehr zunimmt, wenn sie die Wälder abholzen. Das lässt Manchen umdenken. Liberia zum Beispiel hat sich zum Ziel gesetzt, 30 Prozent seiner noch existierenden Wälder zu schützen, Guinea will 15 Prozent seiner gesamten Landfläche ab 2020 unter Schutz stellen. Wenn man das mit den mageren 0,6 Prozent der Landesfläche vergleicht, die Deutschland als Nationalparks schützt, ist das ein bewundernswertes Vorhaben.

Hat auch die Bevölkerung etwas vom Schutz der Schimpansen?

Ohne das geht es gar nicht. Nur wenn die Menschen selbst von den Schutzgebieten profitieren, werden sie sich für ihren Schutz einsetzen. Deshalb wollen wir den Ökotourismus im Taï-Nationalpark an der Elfenbeinküste fördern. Aber auch unsere Schutzmaßnahmen und Forschungsarbeiten schaffen Arbeit und Einkommen vor Ort. Die Menschen wissen, dass wir sie dauerhaft unterstützen und selbst nach einem Bürgerkrieg wieder zurückkommen. Das ist vielleicht auch der Grund dafür, dass im Forschungsgebiet der Wissenschaftler während des letzten Bürgerkriegs 2011 kein einziger Schimpanse gewildert wurde. Im übrigen Schutzgebiet dagegen sank die Schimpansenpopulation zwischen 2010 und 2012 um 60 Prozent.

Welche Rolle spielt der Ökotourismus heute in Westafrika?

Dieser Wirtschaftszweig steckt leider noch in den Kinderschuhen. In Ostafrika ist man da schon wesentlich weiter. Touristen kommen von überall her und nehmen erhebliche Mühen und Kosten in Kauf, um beispielsweise die Berggorillas in der Republik Kongo zu sehen. Das hat wesentlich dazu beigetragen, dass die Tiere die Wirren der letzten Jahre in diesem Land vergleichsweise gut überstanden haben.

In Westafrika sind wir noch nicht so weit. Tourismus heißt hier im Wesentlichen noch Strandurlaub. Wir müssen die Urlauber also von der Küste ins Landesinnere locken und auf die Natur- und Kulturschätze dort aufmerksam machen. Wir wollen daher den Ökotourismus bekannt machen und die Menschen rund um die Schutzgebiete so ausbilden, dass sie die Bedürfnisse von Touristen und der Natur kennen und in Einklang bringen können. Dafür arbeiten wir eng mit dem Tourismusministerium in der Elfenbeinküste zusammen.

Woran mangelt es bei der Arbeit Ihrer Stiftung am meisten?

Es mag banal klingen, aber es ist: Geld!

Für unsere Schutzprojekte mangelt es uns oft an den erforderlichen Mitteln. Vieles bleibt in der Schublade, weil wir einfach kein Geld dafür haben. Ein Beispiel: Für den Betrieb eines einzigen Nationalparks muss man rund eine Million Euro im Jahr veranschlagen.

Das klingt zwar nach sehr viel, aber an Geld herrscht eigentlich kein Mangel auf dieser Welt: Es wird nur für die falschen Dinge ausgegeben. Während kaum Mittel für den Artenschutz vorhanden sind, schwimmen Projekte zulasten der Natur förmlich im Geld. Das müssen wir dringend ändern!

Interview: Harald Rösch

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