Die nächste Generation von Icarus
Forschende testen neue Generation von Mini-Satelliten für das globale Tierbeobachtungssystem
Letzten Monat hat das Icarus-Team mit dem Test eines zukünftigen Icarus-Empfängers im All begonnen (International Cooperation for Animal Research Using Space - Icarus). Schon bald wollen die Forschenden die kontinuierliche Beobachtung von Tieren aus dem Weltraum mit Minisatelliten (CubeSats) fortsetzen. Die neuen Icarus-Satellitensender werden mit Sensoren ausgestattet, die Bewegungs- und Umweltdaten erfassen. Zum ersten Mal kann Icarus dann Vögel, Fledermäuse, Meeresschildkröten und Landsäugetiere überall auf der Erde erfassen. Wenn die Testphase abgeschlossen ist, soll Icarus seinen Betrieb im Oktober 2024 wieder aufnehmen.
Mit Icarus wollen Forschende weltweit die Bewegungen von Tieren untersuchen und die Bedingungen messen, in denen diese leben. Das System folgt dem "Internet der Dinge"- Konzept zur Beobachtung von Wildtieren aus dem Weltraum. Leichte, an Tieren angebrachte Sensoren übermitteln Daten über die Bewegungen und das Verhalten ihrer Träger an einen Empfänger im Weltraum, der diese Daten zur Erde sendet. Ziel ist ein "Internet der Tiere" zu etablieren, das Auskunft darüber gibt, wie sich Ökosysteme und das Klima verändern und wie die Tiere auf diese Veränderungen reagieren.
Seit 2020 erfasst eine Antenne auf dem russischen Modul der Internationalen Raumstation ISS das Verhalten und die Wanderungen von Tausenden von Tieren auf der ganzen Welt, sogar an schwer zugänglichen Orten wie über Ozeanen, in Wüsten und in Regenwäldern. Als im März 2022 der russische Krieg gegen die Ukraine begann, musste die Partnerschaft zwischen der deutschen und der russischen Raumfahrtbehörde jedoch eingestellt werden.
Nun soll die Erfolgsgeschichte von Icarus fortgeschrieben werden: Während sich die erste Antenne und Computer des Projekts auf der Internationalen Raumstation befanden, ist die gesamte Technik beim neuen Icarus als Empfängersystem auf einem sehr kleinen Satelliten untergebracht, einem so genannten CubeSat. Mitte Juni startete ein solcher CubeSat von Kalifornien aus ins All, ausgestattet mit einem nachrichtentechnischen Empfängersystem, mit der das Icarus-Team in den nächsten Monaten entscheidende Tests für das zukünftige System durchführen wird. Im Oktober 2024 soll dann die zweite Icarus-Generation gestartet werden.
Kleiner und leistungsfähiger
Der neue Icarus Empfänger bringt einige erhebliche Verbesserungen für die Forschung mit sich. Es benötigt weniger Energie als das alte System bei gleichzeitig höherer Leistungsfähigkeit, es überträgt Daten schneller und erfasst die gesamte Erdoberfläche. Das bedeutet, dass Tiere überall auf der Erde wertvolle Informationen über ihre eigene Gesundheit und die Gesundheit ihrer Umgebung übermitteln können. „Das neue System wird uns einen noch viel genaueren Blick auf das Leben auf der Erde liefern als zuvor", sagt Martin Wikelski, der das Projekt am Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie leitet.
Das neue Icarus-System, gefördert von der Max-Planck-Gesellschaft, ist in einem Würfel mit einer Kantenlänge von zehn Zentimetern untergebracht und besitzt ein Gewicht von etwa zwei Kilogramm. Der gesamte CubeSat besteht aus 16 dieser zehn Zentimeter großen Würfel, auch als 16U bezeichnet. Während die alte Icarus-Antenne drei Meter lang und der Computer auf der ISS noch so groß wie ein PC war, ist die neue faltbare Antenne lediglich zwanzig Zentimeter lang und der Computer daumengroß. Im Vergleich zu seinem Vorgänger verbraucht der Icarus Empfänger nur ein Zehntel der Energie, kann aber viermal mehr Sender auf den Tieren gleichzeitig auslesen. Forschende können dadurch Daten schneller herunterladen, Sender neu programmieren und Daten effizienter erfassen. "Wir haben den technologischen Fortschritt in den letzten Jahren genutzt, um unseren Betrieb zu verbessern. Jetzt können die Forschenden über das Icarus-satellitenbetriebene Empfängersystem viel effizienter mit den Sendern kommunizieren", sagt Wikelski, Direktor am Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie in Radolfzell und Professor an der Universität Konstanz.
Neue Ära der Kleinsatelliten: schneller, billiger, leistungsfähiger
CubeSats sind kleine Satelliten, die zwischen einem und 16 Würfel („U“) mit einer Kantenlänge von zehn Zentimetern kombinieren. Sie bieten eine relativ einfache und schnelle Lösung, eine technische Ausrüstung im Weltraum zu betreiben. Der Icarus-Würfel auf dem CubeSat, auch als ´Icarus-Nutzlast´bezeichnet, wird von Talos gebaut, einem in München ansässigen Unternehmen, das satellitengestützte Ortungstechnologie für Forschung, Landwirtschaft und Logistik entwickelt. Dieser Icarus Empfänger soll als sog. „Nutzlast“ auf einem CubeSat des Münchner Startups OroraTech im Oktober 2024 ins All fliegen. Möglich gemacht hat dies die Universität der Bundeswehr München, die mit ihrem SeRANIS-Forschungsprogramm eine 8U-große wissenschaftliche Nutzlast zum Satelliten beisteuert.
Ein Teil dieser Nutzlast wird Icarus sein. "Nach fast zehn Jahren der technologischen Zusammenarbeit in Icarus freuen wir uns, nun auch die erste Icarus CubeSat-Nutzlast wieder mit der Universität der Bundeswehr ins All zu bringen", erklärt Wikelski. "Wir werden vom Wissen und von der Erfahrung der Raumfahrtingenieure stark profitieren." „Icarus war schon immer ein Vorzeigeprogramm zum Schutz von Wildtieren durch den Einsatz modernster Kommunikationstechnologie.“ sagt Andreas Knopp, Leiter des Seranis-Programms, Professor für Weltraumkommunikation und langjähriger Icarus-Unterstützer. „Wir freuen uns und fühlen uns geehrt, unsere beispielhafte Forschungskooperation durch die Bereitstellung einer Mitfluggelegenheit für eine Icarus-Nutzlast der nächsten Generation fortsetzen zu können.“ Die von der Universität der Bundeswehr betriebene Nutzlast ist Teil der Seranis-Mission, einer der aktuell bedeutendsten deutschen Technologiemissionen. Seranis wird durch das dtec.bw Zentrum für Digitalisierung und Technologieforschung der Bundeswehr im Rahmen des deutschen Konjunkturprogramms zur Überwindung der Covid-19-Krise sowie mit Mitteln der Europäischen Union finanziert.
Kommunikation mit Tieren rund um den Globus
Der Icarus-CubeSat wird sich wie die ISS und viele andere Satelliten in einer erdnahen Umlaufbahn befinden. In vergleichsweise geringer Entfernung von der Erde kann der CubeSat die Erde mehrmals am Tag umrunden und so jeden Punkt der Erdoberfläche überfliegen. Im Gegensatz dazu deckt die ISS die arktischen und polaren Regionen jenseits von Südschweden im Norden und der Südspitze von Chile im Süden nicht ab. Mit seiner Umlaufbahn kann der Icarus – CubeSat mit seinem Empfängersystem Daten von Tieren sammeln, egal wo sich diese befinden – sei es in Wüsten, auf polaren Eisfeldern, über Ozeanen oder in der Luft. Wikelski: "Mit der vollständigen globalen Abdeckung verbessern wir die globale Beobachtung der Artenvielfalt. So können wir jetzt auch die Polarregionen beobachten, die durch den Klimawandel am meisten gefährdet sind."
Das Icarus-Empfängersystem im All liest die Daten einmal täglich aus. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erhalten auf diese Weise regelmäßig Informationen über das Verhalten von Tieren auf der Erde. In Zukunft soll das Icarus-CubeSat-System durch ein Netz von Satelliten erweitert werden. Dadurch wird sich die Zahl der täglichen Auslesungen nochmals deutlich erhöhen.
Derzeit laufen die Planungen für eine zweite Icarus CubeSat-Nutzlast im Jahr 2025 und eine dritte für 2026. Ziel ist es, genügend Satelliten zu haben, um Daten nahezu in Echtzeit übertragen zu können - ein Ergebnis, das wichtige Auswirkungen auf den Naturschutz hätte. "Echtzeitdaten werden den Verantwortlichen für den Naturschutz weltweit die Möglichkeit geben, die biologische Vielfalt viel effizienter zu schützen", sagt Wikelski.
Zu den Zukunftsplänen gehören auch verbesserte Sender. Gegenwärtig zeichnen die nur wenige Gramm schweren Geräte den GPS-Standort eines Tieres, seine Bewegungen und seine Umgebung auf, zum Beispiel Temperatur, Feuchtigkeit und Luftdruck. Zu den neuen Funktionen gehört die Zwei-Wege-Kommunikation, so dass die Sender von den Forschenden bei Bedarf umprogrammiert werden können. Außerdem kann eine Analyse-Software mithilfe künstlicher Intelligenz auf der Grundlage des Verhaltens des Tieres entscheiden, welche Daten erfasst werden sollen. Auch die Größe und das Gewicht der Sender werden auf etwa die Hälfte der derzeitigen Werte schrumpfen: "Wir haben das letzte Jahr damit verbracht, das Design der Sender zu optimieren und neue Erkenntnisse aus der künstlichen Intelligenz einzubauen. Das jetzige System ist ein Quantensprung: mit ihm können uns die Tiere nun ihre Geschichten über ihr Leben erzählen", so Martin Wikelski.