Im Takt der kollektiven Bewegung

Forschende finden den rhythmischen Taktgeber, der Tiere in synchroner Bewegung hält

In der Natur können sich Tiere, von schwärmenden Insekten bis hin zu in Herden lebenden Säugetieren, in scheinbar choreografierten Bewegungen organisieren. In den letzten zwei Jahrzehnten haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler herausgefunden, dass diese koordinierten Bewegungen dadurch entstehen, dass jedes Tier einfachen Regeln folgt, die besagen, wo sich seine Nachbarn befinden. Nun haben Forschende, die sich mit Zebrafischen beschäftigen, gezeigt, dass sich auch die Nachbarn im gleichen Takt bewegen könnten. Das Team fand heraus, dass Fische, die in Paaren schwimmen, sich erstens abwechselnd bewegen. Sie synchronisierten zweitens das Timing dieser Bewegungen in einem wechselseitigen Prozess, der als Reziprozität bekannt ist. In Virtual-Reality-Experimenten konnte das Team dann bestätigen, dass die Reziprozität der Schlüssel zum Antrieb der kollektiven Bewegung ist: Durch die Umsetzung dieser rhythmischen Regel gelangt es ihnen, das natürliche Schwarmverhalten von Fischen und virtuellen Artgenossen nachzubilden.

Die Ergebnisse liefern weitere mechanistische Details für unser Verständnis der Selbstorganisation von Tieren in sich bewegenden Kollektiven. „Wir zeigen, dass es immer zwei Fische braucht“, sagt Erstautor Guy Amichay, der die Arbeit als Doktorand am Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie durchführte. „Die Fische koordinieren das Timing ihrer Bewegungen mit denen ihres Nachbarn und umgekehrt. Diese wechselseitige rhythmische Kopplung ist eine wichtige, aber bisher übersehene Kraft, die die Tiere in Bewegung hält". Tiere, die sich synchron bewegen, sind die auffälligsten Beispiele für kollektives Verhalten in der Natur. Doch viele natürliche Kollektive synchronisieren sich nicht im Raum, sondern in der Zeit – Glühwürmchen synchronisieren ihr Leuchten, Neuronen synchronisieren ihr Erregungsleitung und Menschen in Konzertsälen synchronisieren den Rhythmus des Klatschens.

Amichay und sein Team interessierten sich für die Überschneidung dieser beiden Phänomene; sie waren neugierig darauf, welche rhythmische Synchronität in der Tierbewegung existieren könnte. „Es gibt mehr Rhythmus in der Tierbewegung, als man erwarten würde“, sagt Amichay, der jetzt als Postdoktorand an der Northwestern University in den USA forscht. „In der realen Welt schwimmen die meisten Fische nicht mit einer festen Geschwindigkeit, sondern sie oszillierten.“

Anhand von Zebrafischpaaren analysierte Amichay deren Schwimmen, um das genaue Bewegungsmuster zu beschreiben. Er stellte fest, dass sich die Fische zwar gemeinsam bewegten, aber nicht gleichzeitig schwammen. Sie bewegten sich vielmehr abwechselnd, so dass sich erst der eine und dann der andere bewegte, „wie zwei Beine beim Gehen“, sagt er. Das Team untersuchte dann, wie Fische es schaffen, sich abzuwechseln. Sie erstellten ein Berechnungsmodell mit einer einfachen Faustregel: Verdopple die Verspätung deines Nachbarn.

Die Regel der Reziprozität

Der nächste Schritt bestand darin, dieses Modell rechnerisch zu testen. Sie setzten einen der virtuellen Fische auf einen Takt mit festen Bewegungsabläufen, wie ein Metronom. Der andere reagierte auf den ersten, indem er die rhythmische Regel „doppelte Verzögerung“ umsetzte. Bei dieser einseitigen Interaktion bewegten sich die virtuellen Fische jedoch nicht in dem alternierenden Muster, das bei echten Fischen zu beobachten ist. Wenn beide Partner jedoch aufeinander reagierten, reproduzierten sie das natürliche Abwechslungsmuster. „Dies war der erste Hinweis darauf, dass Reziprozität entscheidend ist“, sagt Amichay.

Doch mit der Reproduktion des natürlichen Verhaltens in einem Computer war die Studie noch nicht zu Ende. Das Team wandte sich der virtuellen Realität zu, um zu bestätigen, dass das von ihnen entdeckte Prinzip auch bei echten Fischen funktionieren würde. „Virtuelle Realität ist ein revolutionäres Werkzeug in der Tierverhaltensforschung, weil es uns erlaubt, den Fluch der Kausalität zu umgehen", sagt Iain Couzin, Sprecher des Exzellenzclusters Kollektives Verhalten an der Universität Konstanz und Direktor am Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie.

In der Natur sind viele Eigenschaften miteinander verknüpft, so dass es extrem schwierig ist, die Ursache für das Verhalten eines Tieres zu bestimmen. Mit Hilfe der virtuellen Realität ist es laut Couzin jedoch möglich, „das System präzise zu stören“, um die Auswirkungen eines bestimmten Merkmals auf das Verhalten eines Tieres zu testen. Ein einzelner Fisch wurde in eine virtuelle Umgebung mit einem Fisch-Avatar gesetzt. In einigen Versuchen war der Avatar so eingestellt, dass er wie ein Metronom schwamm und das Verhalten des echten Fisches ignorierte. In diesen Versuchen schwamm der echte Fisch nicht in dem natürlichen Wechselmuster mit dem Avatar. Wurde der Avatar jedoch so eingestellt, dass er auf den echten Fisch reagierte, und zwar in einer wechselseitigen Beziehung, kehrte er zu seinem natürlichen Wechselverhalten zurück.

Partner, die sich abwechseln

„Es ist faszinierend zu sehen, dass die Gegenseitigkeit dieses Wechselverhalten bei schwimmenden Fischen antreibt“, sagt Mitautor Máté Nagy, der eine Forschungsgruppe an der Ungarischen Akademie der Wissenschaften leitet, „weil dies bei biologischen Oszillatoren nicht immer der Fall ist.“ Glühwürmchen zum Beispiel synchronisieren sich sogar bei einseitigen Interaktionen. „Aber bei Menschen kommt die Gegenseitigkeit bei fast allem, was wir paarweise tun, ins Spiel, sei es beim Tanz, beim Sport oder bei Gesprächen“, sagt Nagy. Das Team wies auch nach, dass Fische, die sich in der zeitlichen Abstimmung ihrer Bewegungen gekoppelt haben, stärkere soziale Bindungen haben. „Mit anderen Worten: Wenn du und ich gekoppelt sind, sind wir besser aufeinander abgestimmt“, sagt Nagy.

Die Forschungsergebnisse verändern das Verständnis davon, wer wen in Tiergruppen beeinflusst. „Früher dachten wir, dass ein Fisch in einer geschäftigen Gruppe von jedem anderen Mitglied, das er sehen kann, beeinflusst werden kann“, sagt Couzin. „Jetzt sehen wir, dass die auffälligsten Bindungen zwischen Partnern bestehen könnten, die sich für eine rhythmische Synchronisation entscheiden.“

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