Nobelpreis für Physik geht an Gravitationswellenforscher
Glückwünsche vom Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik in Hannover und Potsdam und der Leibniz Universität Hannover
Das Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik mit den Standorten in Hannover und Potsdam beglückwünscht Rainer Weiss, Kip Stephen Thorne und Barry Barish zum Nobelpreis für Physik: „Wir gratulieren unseren Kollegen von Herzen und freuen uns sehr über diese Auszeichnung für drei Pioniere der Gravitationswellenforschung. Sie haben ihr Ziel nie aus den Augen verloren und Generationen junger Wissenschaftler inspiriert,“ sagen die Max-Planck-Direktorin Alessandra Buonanno und ihre Kollegen Bruce Allen, Karsten Danzmann und Bernard F. Schutz, emeritierter Gründungsdirektor des Instituts. „Wir sind stolz, Teil der internationalen Kollaboration zu sein, die vor rund zwei Jahren die erste Gravitationswelle entdeckt hat.“
Die Gravitationswellenforschung wird seit den 1960er-Jahren von einer internationalen Kollaboration getragen, die weder Kalter Krieg noch finanzielle Engpässe in vielen Ländern aufhalten konnte. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Max-Planck-Gesellschaft waren von Anfang an dabei. Schritt für Schritt entstand seitdem ein weltumspannendes Netz von mehr als 1000 Forschenden.
Das Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik in Hannover und Potsdam und das Institut für Gravitationsphysik der Leibniz Universität Hannover haben in mehreren Schlüsselgebieten entscheidend zu den Entdeckungen beigetragen:
- mit der Entwicklung und dem Betrieb extrem empfindlicher Detektoren an den Grenzen der Physik,
- mit effizienten Methoden der Datenanalyse, die auf leistungsfähigen Computerclustern laufen und
- mit der Konstruktion von hochgenauen Wellenformmodellen für den Nachweis und die Interpretation der Signale.
Der erste direkte Nachweis von Gravitationswellen am 14. September 2015 war der Höhepunkt jahrzehntelanger Forschung auf dem Gebiet der Gravitationswellendetektion in der Max-Planck-Gesellschaft. Eine Gruppe am Max-Planck-Institut für Physik und Astrophysik in München unter Leitung des Anfang 2017 gestorbenen Heinz Billing führte Koinzidenzmessungen zwischen Resonanzdetektoren aus und widerlegte Behauptungen eines direkten Nachweises von Gravitationswellen. In den frühen 1970er-Jahren begann Billings Gruppe – damals als einzige weltweit – mit Laserinterferometrie zu arbeiten. Sie baute Prototypen und trieb die Technologieentwicklung schnell voran.
Die Max-Planck-Gesellschaft unterstützte diese Gruppe konsequent weiter, nachdem Billing pensioniert worden war und er den Staffelstab zunächst 1986 an Gerd Leuchs und 1989 an Karsten Danzmann übergab. Gemeinsam mit ihren britischen Partnern an den Universitäten in Glasgow und Cardiff war die Gruppe die erste, die einen großen Gravitationswellen-Detektor mit drei Kilometer Armlänge entwarf und beantragte; jedoch waren die Fördergelder für ein solches Instrument in Deutschland nicht verfügbar.
Im Jahr 1995 holte die Max-Planck-Gesellschaft Bernard Schutz von Cardiff nach Deutschland, um die Gründung des Max-Planck-Instituts für Gravitationsphysik zu unterstützen, zunächst in Potsdam, dann 2002 auch in Hannover. Die Leibniz Universität Hannover und die Volkswagenstiftung kamen ins Boot, und die Kooperation mit Glasgow und Cardiff wurde intensiviert.
Das war 1994 das Startsignal für GEO600, einem kosteneffizienten deutsch-britischen Gravitationswellen-Observatorium, das seither als Ideenschmiede der Detektor-Entwicklung dient. Die High-End-Technologie, die hier entwickelt wurde, findet sich heute im Herzen aller großen Gravitationswellen-Detektoren einschließlich Advanced LIGO.
Parallel zum Bau zunehmend empfindlicherer Messinstrumente entwickelten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler immer präzisere Vorstellungen der zu erwartenden Gravitationswellensignale und ihrer möglichen Quellen. Schon früh war auch klar, dass komplexe Datenverarbeitungsverfahren notwendig sind, um die schwachen Signale zu entdecken.
Bernard Schutz leistete auf diesem Gebiet Pionierarbeit mit Daten der kleineren Detektor-Prototypen in München und in Glasgow, und das Max-Planck-Institut wurde zu einem weltweiten Zentrum für die Entwicklung ausgefeilter Analysemethoden. Schutz baute auch die zu dieser Zeit weltweit größte Gruppe auf, die sich mit Supercomputer-Simulationen von verschmelzenden schwarzen Löchern beschäftigte; solche Simulationen waren integraler Bestandteil der Entdeckung und Interpretation der Advanced-LIGO-Messung.
Solche berechneten Wellenformen sind wichtig, reichen aber allein nicht aus. Die Datenanalyse-Algorithmen wenden mehrere Hunderttausend Wellenformen an, und es dauert Wochen, allein eine einzige Wellenform zu simulieren. Daher ist es erforderlich, Näherungsverfahren zu entwickeln, mit denen sich die Einstein-Gleichungen schneller lösen und Wellenformen kurzfristig bereitstellen lassen.
In den späten 1990er-Jahren entwickelten Alessandra Buonanno, seit 2014 Direktorin am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik in Potsdam und College Park Professorin an der Universität Maryland in den USA, und Thibault Damour (IHES, Paris) einen neuen Ansatz, um die Bahnen zweier sich umrundender Körper zu beschreiben. Dafür kombinierten sie mehrere Näherungsverfahren, um die Wellenformen verschmelzender schwarzer Löcher zu berechnen.
In den vergangenen 15 Jahren entstanden daraus unter Berücksichtigung von Ergebnissen der numerischen Relativitätstheorie hochgenaue Methoden, die sie auch auf Doppelsysteme aus Neutronensternen erweiterten. Forscher am Potsdamer Max-Planck-Institut und zuvor an der University of Maryland bauen darauf basierend hochgenaue Wellenformmodelle, indem sie die besten Werkzeuge zur Lösung der Einsteinschen Gleichungen kombinieren.
Sie nutzen sie, um erfolgreich Gravitationswellen in den Beobachtungsdaten von Advanced LIGO zu entdecken. Wissenschaftler in Potsdam nutzen diese Wellenformen ebenfalls, um astrophysikalische und fundamentalphysikalische Eigenschaften von Doppelsystemen zu bestimmen und um die allgemeine Relativitätstheorie zu überprüfen.
Mit diesen Wellenmustern analysiert eine Gruppe am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik in Hannover unter der Leitung von Bruce Allen die Detektordaten auf rechenstarken Großcomputern. Sind die Signale erst einmal gefunden, werden diese Schablonen benutzt, um astrophysikalische Informationen aus den Messergebnissen herauszufiltern: Wo genau befindet sich die Quelle? Was steckt dahinter? Schwarze Löcher oder Neutronensterne? Welche Masse besitzen die Objekte und wie schnell drehen sie sich?
Bei der Entdeckung der ersten Gravitationswellen führten Max-Planck-Forscher den Großteil der Produktions-Datenanalyse aus. Zusätzlich stellte der vom Institut in Hannover betriebene Cluster Atlas – der weltweit leistungsfähigste Großrechner für die Suche nach Gravitationswellen – etwa die Hälfte der Rechenleistung für die Entdeckungen und die Analyse von Advanced-LIGO-Daten zur Verfügung. Atlas hat mehr als 160 Millionen CPU-Kernstunden für die Datenanalyse bereitgestellt.
Diese enge Zusammenarbeit von Experimenten, Simulationen, analytischen Berechnungen und Datenanalyse erlaubt es, letztendlich Licht in die dunkle und unsichtbare Seite des Universums zu bringen. Die heutige Nobelpreis-Bekanntgabe ehrt die Gründungsväter dieses Forschungsfelds, deren Pionierarbeit ein neues Werkzeug zur Beobachtung des Universums schuf und so den Beginn einer neuen Ära der Astronomie ermöglichte.
EM / KNI / HOR