Funken in der Sternenmaschine

Es wäre eine völlig neue Energiequelle: Die Kernfusion soll die Kraft der Sonne auf die Erde holen. Einen Weg zu dieser Form der Energieerzeugung verfolgen Forscher um Thomas Klinger, Direktor am Max-Planck-Institut für Plasmaphysik in Greifswald, mit der Anlage Wendelstein 7-X.

Text: Roland Wengenmayr

"Den eigentlichen Torus kann man kaum erkennen“, sagt Matthias Hirsch beim An­blick von Wendelstein 7­-X. Mit „Torus“ meint der Plasmaphysiker das ringförmige Herzstück des 725 Tonnen schweren Kolosses aus Metall, der vor uns die mehrere Stock­werke hohe Halle füllt. Der Ring ver­birgt sich hinter einer für Laien verwir­renden Vielfalt aus über 250 Rohr­anschlüssen und Stutzen. Das Ganze umgibt auch noch ein Gerüst aus Trep­pen, Balkonen und Zugangsbrücken, dazwischen Rohrleitungen, Kabelsträn­ge und Geräteschränke.

Wir befinden uns am Max-­Planck­-Institut für Plasmaphysik (IPP) in Greifs­wald, und Hirsch führt zielsicher durch dieses Labyrinth. Bei einem Gerät aller­dings muss selbst er über dessen Zweck nachgrübeln. Aber das kann man ihm nicht verdenken, schließlich klettern wir durch das Außengerüst einer enorm komplexen Maschine, an der inzwi­schen mehr als 200 Wissen­schaftlerinnen und Wissenschaftler aus Europa, Australien, Japan und den USA forschen. Auch ein Experte wie Hirsch kann da nicht jedes Detail wissen.

Deutsche Forscher vor allem der Max-­Planck­-Gesellschaft haben Wendelstein 7­-X federführend aufgebaut. Das Projekt dient einem großen wissen­schaftlichen Ziel: der Nutzung des Son­nenfeuers als nahezu unerschöpflicher Energiequelle etwa für die Stromerzeu­gung. Bei 15 Millionen Grad verschmel­zen tief in der Sonne Atomkerne des Wasserstoffs – Protonen – zu Atomker­nen des Heliums und setzen dabei enor­me Energiemengen frei. Ohne diesen solaren Fusionsofen wäre die Erde ein kalter, toter Planet.

Allerdings verschmelzen die leichten Wasserstoffatome nur in der Gravitati­onspresse der Sonne, unter einem un­vorstellbaren Druck von etwa 200 Mil­liarden Erdatmosphären. Kein festes Material könnte das auf der Erde auch nur annähernd aushalten. Die Solar­energie schlechthin hier zu nutzen, wäre also ein Traum geblieben, hätten nicht findige Physiker eine Alternative entdeckt. Bereits in der Mitte des 20. Jahrhunderts stellten sie fest, dass auch Atomkerne des schweren Wasserstoffs Deuterium, das neben dem Proton ein Neutron besitzt, und von Tritium, einem superschweren Wasserstoff mit zwei Neutronen, zu Helium verschmelzen.

Kernfusion - Eine neue Form der Energieerzeugung

Diese Fusionsreaktion läuft in einem extrem dünnen, heißen Gas ab – und wegen des geringen Drucks lässt sie sich leichter technisch umsetzen. Al­lerdings sind dafür noch höhere Tem­peraturen als in der Sonne nötig, näm­lich weit über 100 Millionen Grad. In einem solchen Hochtemperaturplasma sind Elektronen und Atomkerne voll­kommen voneinander getrennt. Beide sind elektrisch geladen, deshalb kann ein starkes Magnetfeld sie einschließen – wie eine immaterielle Thermoskanne. Und das ist der Trick, auf den die Forschung setzt.

Im Plasmagefäß eines zukünftigen Fusionskraftwerks wäre nur etwa ein Gramm des Helium­-Tritium­-Gemischs enthalten. Dieses Fast-­Nichts an Brenn­stoff könnte 90 000 Kilowattstunden an Wärmeenergie produzieren. Das ent­spricht der Verbrennungwärme von elf Tonnen Kohle, die aber über 30 Tonnen Kohlendioxid in die Atmosphäre bla­sen, wenn sie verfeuert werden. Fusions­kraftwerke dagegen wären im Betrieb klimaneutral. Neben dem extrem gerin­gen Brennstoffverbrauch ist dies das große Zukunftsversprechen in einem Jahrhundert, in dem der Klimawandel unser Leben zunehmend bestimmt.

Die Aussicht auf eine klimafreund­liche Energiequelle dürfte auch der Grund sein, warum Robert Habeck, Bundesvorsitzender von Bündnis 90/ Die Grünen sich für die Forschung of­fen zeigte, als er Wendelstein 7­-X kürz­lich besuchte. Bei der Grundsteinlegung für die Anlage 1997 hatten Anhänger der Partei noch dagegen protestiert. „Heute beschreiben wir die Atomfusion unideologischer“, sagte Habeck. Die Grundlagenforschung sei faszinierend und sollte vorangetrieben werden. „Es ist grundsätzlich richtig, Alternativen in der Energieversorgung zu erforschen.“

Fusionsenergie sei die einzig neue Form primärer Energieerzeugung, an der die Menschheit forscht, betont Thomas Klinger: „Sie ist gewissermaßen das letz­te noch ungeöffnete Energiefass.“ Als wolle die Sonne diese Feststellung un­terstreichen, leuchtet sie warm ins Zim­mer des Max­-Planck­-Direktors, der den Greifswalder Standort des Max-­Planck­-Instituts für Plasmaphysik leitet. Der drahtige Physikprofessor wirkt, als kön­ne er jederzeit aufspringen und zum Schraubenschlüssel greifen. Tatsächlich schlüpft der Grundlagenforscher zeit­weilig in die Rolle eines Baustellenlei­ters, und zwar auf einer sehr komple­xen Baustelle. Denn die Greifswalder Forscher müssen sich Stück für Stück in technisches Neuland vorarbeiten.

Wendelstein 7­-X selbst ist allerdings keine kerntechnische Anlage und nicht für eine Kernfusion konstruiert. In dem Experiment studieren Physiker das Ver­halten des heißen Plasmas in einem Stellarator und verwenden dafür leich­ten Wasserstoff. Ein Stellarator ist einer der beiden Typen von Fusionsanlagen, die derzeit erforscht werden. Die Greifs­walder Sternenmaschine soll – als das bislang größte Stellarator­-Experiment – demonstrieren, dass solche Anlagen grundsätzlich ein heißes Plasma ausrei­chend effizient und dauerhaft einschließen können. Das würde den Weg zu einem Fusionskraftwerk nach die­sem technischen Prinzip eröffnen.

Gerade wird Wendelstein 7­-X für die nächste Messkampagne umgerüstet, drei Kampagnen von je 15 Wochen hat die Anlage schon hinter sich. Am 10. De­zember 2015 leuchtete das erste Plasma aus einem tausendstel Gramm Helium bei einer Million Grad auf – das Helium sollte als Putzmittel Verunreinigungen aus dem Plasmagefäß entfernen. Das ist wichtig, weil Wasserstoffplasmen hoch­ empfindlich sind. Am 3. Februar 2016 erzeugten die Greifswalder Forscher – im Beisein von Bundeskanzlerin Angela Merkel – dann zum ersten Mal ein Plas­ma aus Wasserstoff.

Geheizt wird das Plasma mit ver­schiedenen Techniken. Die Elektronen lassen sich mit einer kräftigen Mikro­wellenstrahlung in Schwung bringen – eine hohe Temperatur bedeutet nichts anderes als schnelle Bewegung der Teilchen. Da die Elektronensuppe im Plas­ma sich mit den Wasserstoffkernen durchmischt, erwärmt sie auch diese mit. Als zweite Heizmethode testen die Greifswalder das Einschießen von schnellen Wasserstoffatomen ins Plas­ma. Die Protonen sollen zukünftig auch direkt über eine starke Radiostrahlung geheizt werden.

Schon jetzt hat Wendelstein 7-­X ei­nige Rekorde gebrochen, die andere Plasmaexperimente des Stellarator-­Typs aufgestellt hatten. Dazu gehörten nahe­zu halbminütige Entladungen mit einer Plasmatemperatur von weit über 40 Mil­lionen Grad Celsius. In anderen Entla­dungen bei niedriger Dichte erreichten die Elektronen sogar eine Temperatur von 100 Millionen Grad. Das war auch das technische Maximum in dieser Aus­baustufe, denn bisher wurden die Wän­de des Plasmaexperiments nicht aktiv gekühlt. Daher heizt sich das Innere von Wendelstein 7-­X auf, zum einen durch die Wärmestrahlung des Plasmas, zum anderen durch auf die Wand prallende, heiße Teilchen, die dem Magnetkäfig entkommen. So musste sich das Plasma­gefäß nach längeren Entladungen für den nächsten Schuss erst einmal etwa eine Viertelstunde lang abkühlen.

Derzeit ruht die Anlage für ungefähr zwei Jahre, damit das Greifswalder Team eine aktive Wasserkühlung einbauen kann. Damit soll Wendelstein 7­-X halb­stündige Plasmaentladungen bei sehr hohen Temperaturen verkraften. „Eine Wasserkühlung klingt banal“, sagt Klin­ger, „bedeutet aber bei uns, unter extre­men Qualitätsanforderungen zu klemp­nern.“ Da jedes der Hitze ausgesetzte Teil des Plasmagefäßes an das Kühlsys­tem angeschlossen werden muss, sind insgesamt vier Kilometer Wasserleitun­gen nötig. „Das ist sehr viel verzweigtes Wasser“, sagt Klinger.

Der Divertor zapft aus dem Plasma Fusionswärme ab

Eine besondere Herausforderung ist da­bei das Hochvakuum, das bei Betrieb in der Plasmakammer herrschen muss. Die Greifswalder fürchten vor allem ganz kleine Lecks in den Wasserleitungen, die sich nur schwer aufspüren lassen. Eine „Tropfnase“, so Klinger, könne über ab­dampfendes Wasser bereits das Vakuum zerstören. Entsprechend hoch sind die Anforderungen beim Umbau.

Die größten technischen Ansprüche muss jedoch der Divertor erfüllen, der auf der Innenwand des Rings sitzt. Er besteht aus aneinandergereihten High­techplatten, die bei Betrieb in den Rand des heißen Plasmas hineinragen. Ent­sprechend hohe Temperaturen müssen sie aushalten. In einem zukünftigen Kraftwerk sollen ähnliche Platten jenen Anteil der Fusionswärme aus dem Plas­ma abzapfen, der über einen nach au­ßen führenden Wasserkreislauf Dampf­turbinen antreiben soll.

Die Prallplatten des Divertors sind bei Betrieb einem gewaltigen Wärme­strom von rund 10 Megawatt pro Qua­dratmeter ausgesetzt – was etwa der Heizleistung von 4000 typischen Mik­rowellen­-Küchengeräten entspricht. „Das ist so ungefähr das Höchste, was heute bekannte Materialien aushalten können“, erklärt Klinger. Es gleicht den Verhältnissen, denen ein Raumfahr­zeug beim Wiedereintritt in die Erdat­mosphäre ausgesetzt ist, wo ebenfalls ein heißes, leuchtendes Plasma ent­steht. Die Prallplatten des Divertors be­stehen deshalb aus demselben Material wie die Hitzekacheln auf der Untersei­te der früheren amerikanischen Space­shuttles: aus Kohlenstoff, in den Kohle­fasern eingebettet sind.

Die Kohlefasern sorgen zum einen für die mechanische Stabilität des Ver­bundwerkstoffs, zum anderen trans­portieren sie die Wärme in Richtung Gefäßwand. Anders als beim Space­shuttle während der Eintrittsphase müs­sen sie aber nicht nur wenige Minuten durchhalten, sondern gut eine halbe Stunde. Aus diesem Grund muss der neue Divertor, der nun eingebaut wird, Wärme zwischen den Prallplatten und der wassergekühlten Wand extrem gut leiten. Dafür haben die Greifswalder Forscher zusammen mit Industriepart­nern eine vollkommen neue Verbin­dungstechnik entwickelt.

Doch die Wärmeabfuhr ist nur eine von mehreren Funktionen des Diver­tors. Darüber hinaus soll er das Plasma sauberhalten und wie ein Staubsauger für Verunreinigungen wirken. Diese entstehen beim unvermeidlichen Kon­takt des dünnen Plasma-­Außenbereichs mit der Wand. Verunreinigungen, die in das heiße Plasma gelangen und dort zum Leuchten angeregt werden, entzie­hen dem Plasma unerwünscht Energie. Schon ein kleiner Wärmestrom dieser Art kann das dünne Plasma entschei­dend abkühlen.

Der Bau - ein riesiges dreidimensionales Puzzle

Darüber hinaus hilft der Divertor, die Anzahl der Wasserstoffteilchen unter Kontrolle zu halten. Daher ist unter den Divertorprallplatten eine sogenannte Kryopumpe in die Wand eingebaut. Eine solche Kältepumpe funktioniert im Prinzip wie eine kalte Getränkedose, die im Sommer mit Wasser aus der Luft beschlägt, sobald man sie aus dem Kühl­schrank geholt hat. Allerdings wird die­se Greifswalder Pumpe mit flüssigem Helium gekühlt, das eine Temperatur von minus 269 Grad Celsius hat. „Dann bleiben dort alle kleinen Teilchen kle­ben“, sagt Klinger. Die Kryopumpe er­fordert aber, dass das Greifswalder Team zwischen den Wasserleitungen zusätz­lich die Leitungen für das flüssige Heli­um unterbringen muss.

Mit flüssigem Helium werden auch die großen supraleitenden Spulen gekühlt, die das starke Magnetfeld für den Plas­maeinschluss erzeugen. 70 dieser Spu­len sind auf der gesamten Plasmakam­mer aufgefädelt, wie Armreife an einem Handgelenk. Die meisten der Spulen besitzen eine kompliziert gewundene Geometrie und erzeugen so ein mehr­fach in sich verschraubtes Magnetfeld. Dieses Feld zwingt möglichst viele der herumflitzenden Wasserstoffkerne und Elektronen auf magnetische Achterbah­nen, die sie immer wieder zurück ins In­nere des heißen Plasmas schleudern. Es sollen ja möglichst wenige heiße Teil­chen entkommen.

Nicht nur wegen der individuell ge­formten Spulen ähnelte der Bau von Wendelstein 7­-X einem riesigen, drei­dimensionalen Puzzle, in dem tonnen­schwere Einzelteile extrem präzise zu­sammengefügt werden mussten. Zu­nächst baute das Greifswalder Team mit seinen Partnern fünf jeweils 120 Ton­nen schwere Module auf. Danach füg­ten die Monteure diese mithilfe der De­ckenkräne in der Halle zum Torus des Plasmagefäßes zusammen. Die Zahl der Module hängt von der Form des Plas­mas ab. „Wenn wir von oben drauf­ schauen könnten, wäre es ein Fünfeck mit abgerundeten Ecken“, erklärt Mat­thias Hirsch während seiner Führung.

Das komplexe Magnetfeld macht das Stellarator­-Konzept komplizierter als das konkurrierende Tokamak­-Prin­zip, nach dem auch die große Iter-­Anla­ge im französischen Cadarache gebaut wird. Tokomaks sind wesentlich einfacher konstruiert, weshalb sie schon wei­ter entwickelt sind. Die europäische For­schungsanlage Joint European Torus (Jet) in der britischen Stadt Culham er­reichte bereits 1991 die erste, kurze kon­trollierte Kernfusion in einem Plasma aus Deuterium und Tritium. In Iter soll die Fusion erstmals mehr Leistung lie­fern, als das Heizen des Plasmas erfor­dert. Mit diesem Nettoenergiegewinn soll die Vorstufe zum ersten Demons­trationskraftwerk erreicht werden.

Die Konzepte der Kernfusion im Vergleich

Im Vergleich zu Stellaratoren besitzen Tokamaks ein viel einfacher geformtes, perfekt ringförmiges Plasma. Allerdings muss darin ein starker Ringstrom flie­ßen, der das Plasma in seinem schlauch­förmigen Magnetfeld zusammenhält. Dieser Ringstrom führt zu zusätzlichen Turbulenzen im Plasma, die kontrolliert werden müssen. Zudem funktioniert ein Tokamak wie ein großer Transfor­mator, bei dem das Plasma eine Spule darstellt. Da der Plasmastrom nur ent­steht, wenn sich der Strom in der Spu­le verändert, wird an die Spule eine ge­pulste Spannung angelegt. Daher kann ein Tokamak nur pulsförmige Plasma­entladungen erzeugen, sodass die Anla­ge sich ständig ändernden Belastungen ausgesetzt ist.

„Die dauernden zyklischen Belastun­gen des Materials und die zyklischen Kräfte beim Hoch­ und Herunterfahren möchte man vermeiden“, erklärt Sibyl­le Günter, Direktorin am Max­-Planck­-Institut für Plasmaphysik. Daher wird international an Konzepten geforscht, mit denen die Pulse auf mehrere Stun­den verlängert werden oder sogar ein gleichförmiger, also stationärer Betrieb erreichbar ist. 2016 demonstrierte etwa ein Team des Garchinger IPP­-Standorts am dortigen Tokamak Asdex Upgrade, dass dies geht, indem der Plasmastrom von außen angetrieben wird. „In der zweiten Operationsperiode soll Iter sol­che Szenarien für einen stationären To­kamak­-Betrieb testen“, sagt Günter.

Ein Stellarator hingegen kommt als ein reiner Magnetkäfig ohne den star­ken Ringstrom aus und eignet sich von vorneherein für den Dauerbetrieb. Das macht Stellaratoren so interessant. In den ersten Jahrzehnten, in denen sie er­forscht wurden, bildete aber die kom­plizierte Form des Magnetfelds ein un­überwindliches Hindernis: Lange konn­ten die Anlagen nicht ausreichend hei­ße Plasmateilchen gefangen halten. Das änderte sich, als Theoretiker am Max­-Planck­-Institut für Plasmaphysik in Garching in den 1980er­-Jahren das Konzept des Advanced Stellarators, des fortgeschrittenen Stellarators, mit den komplex geformten modularen Spulen entwickelten. In den fortgeschrittenen Stellaratoren lassen sich nun die für den Start einer Kernfusionsreaktion nötigen Temperaturen erreichen. Dieser Durch­bruch gelang auch, weil die gestiegene Computerleistung erstmals eine genaue Berechnung der komplizierten Magnet­feldgeometrie ermöglichte.

In den ersten Durchgängen hat Wendelstein 7­-X bereits so viele neue Daten produziert, dass die Physikerin­nen und Physiker mit der Auswertung auch während des Umbaus gut beschäf­tigt sind. Sollte das Experiment mit der neuen Wasserkühlung das Ziel von halbstündigen Plasmaentladungen er­reichen, stellt sich die Frage, wann es ein erstes Fusionskraftwerk nach dem Stellarator­-Prinzip geben könnte. „Ge­ben Sie Wendelstein bis Mitte der Zwan­zigerjahre Zeit“, antwortet Klinger. „Der weitere Weg wird auch davon abhän­gen, welche Ergebnisse Iter liefert.“

Ein Hauptziel von Iter ist der Netto­energiegewinn aus der Fusion, betont Sibylle Günter. Sie weist aber auch auf eine andere wichtige Frage hin, die Iter klären soll: Wie wird sich das entste­hende Fusionsprodukt – extrem schnell herumflitzende Heliumkerne – auf das Plasma auswirken? „Diese schnellen Heliumkerne können zum Beispiel auch Instabilitäten im Plasma anre­gen“, sagt sie: „Da gibt es ganz neue Physik zu erforschen, was ich persön­lich besonders spannend finde.“ Bis zur kommerziellen Nutzung der Fusions­energie liegt vor Forschern und Ingenieuren jedenfalls noch eine Marathon­strecke. Ob dabei der Stellarator oder der Tokamak am Ende das Rennen ma­chen wird, ist noch offen. Immerhin haben die Greifswalder Wissenschaftler das Stellarator­-Konzept aber schon jetzt ein gutes Stück vorangebracht.

Auf den Punkt gebracht

  • Die Kernfusion könnte eine völlig neue Möglichkeit eröffnen, Energie in Form von Wärme oder Strom zu erzeugen. Einen Ansatz, auf diese Weise das Sonnenfeuer auf die Erde zu holen, verfolgen Forscher des Max-Planck-Instituts für Plasmaphysik mit dem Stellarator Wendelstein 7-X.
  • Im Stellarator muss ein über 100 Millionen Grad heißes Plasma dauerhaft – im Experiment soll es eine halbe Stunde sein – im Käfig eines Magnetfelds eingeschlossen werden. In der derzeitigen Ausbaustufe konnte Wendelstein 7-X für jeweils eine halbe Minute mehr als 40 Millionen Grad heiße Plasmen erzeugen.
  • Anders als der konkurrierende Tokamak, der sich technisch leichter umsetzen lässt und bereits weiter gediehen ist, erlaubt der Stellarator von vorneherein einen Dauerbetrieb. Das würde die technische Nutzung erleichtern.

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