„Wir tappen immer noch im Dunkeln“

25. Januar 2016

Carolin Görzig baut seit August 2015 eine Forschungsgruppe am Max-Planck-Institut für ethnologische Forschung in Halle auf. Sie will besser verstehen, wie Terrororganisationen aus ihren Fehlern und Erfolgen lernen und welche Auswirkungen dies auf deren taktischen, operativen und strategischen Entscheidungen hat. Wir sprachen mit ihr über das Forschungsvorhaben, die Feldforschung und die Schwierigkeit, mit Terroristen in Kontakt zu treten.

Die Terrorismus-Forschung erlebt seit dem Anschlag auf das World Trade Center am 11. September 2001 einen Hype. Dennoch wissen wir immer noch sehr wenig darüber, wie Terroristen agieren. Woran liegt dies Ihrer Meinung nach?

Görzig: Es gibt trotz der aktuellen Relevanz nicht genügend objektive und neutrale Analysen. Das Thema ist politisch aufgeladen. Viele Staaten fördern Terrorismus-Forschung und versuchen so Einfluss auf die Ergebnisse zu nehmen. Kritiker sprechen von „embedded research“, von Forschung, die in politische Vorgaben ‚eingebettet‘ ist. Natürlich gibt es auch kritische, unabhängige Forschung wie hier am Max-Planck-Institut, aber leider zu wenig. Wir tappen immer noch im Dunkeln und müssen lernen, Terroristen zu verstehen. Nur so können wir die Ursachen von Gewalt bekämpfen.

Was planen Sie mit ihrer Forschungsgruppe?

Wir wollen herausfinden, wie Terrororganisationen aus ihren Erfahrungen lernen. Dabei analysieren wir vor allem deren taktisches, operatives und strategisches Vorgehen. Wie lernen einzelne Organisationen aus ihren Fehlern und Erfolgen? Wie konkurrieren sie mit anderen Terrorgruppen und wie reagieren sie auf Anti-Terror-Aktionen? Welche Auswirkungen haben staatliche Unterstützung und „sichere Häfen“? Um nur einzelne Fragen anzureißen.

Ein wesentliches Forschungsinstrument wird hier die Feldforschung werden. So möchten wir beispielsweise in Sri Lanka, Libanon, Israel, Irland, Frankreich und den USA mit Aussteigern sprechen und mit inhaftierten Terroristen.

Welche Herausforderungen kommen hier auf Sie zu?

Erst einmal gilt es unseren Zugang zu den Interviewpartnern zu klären, ebenso wie die Sicherheit meiner Mitarbeiter. Darüber hinaus kommen zahlreiche ethische Herausforderungen auf uns zu, die den Umgang mit den gewonnenen Daten betreffen. Denn Gesprächspartner haben oftmals Erwartungen, wenn sie Informationen weitergeben.

In allen diesen Punkten kann ich auf Erfahrungen in der Türkei, in Syrien, Ägypten und Kolumbien bauen. Wir arbeiten dabei eng mit Nichtregierungsorganisationen zusammen, die über sehr gute Ortskenntnisse verfügen.

Statistische Daten zeigen, dass 60 Prozent der Terrororganisationen nicht länger als ein Jahr bestehen. Lediglich 10 Prozent existieren länger als 10 Jahre. Was macht den „Erfolg“ von Terrororganisationen aus?

Erfolgreiche Terrorgruppen sind flexibel. „Die terroristische Kampagne ist wie ein Hai: Sie muss in Bewegung bleiben - egal ob langsam oder schrittweise - oder sterben“, sagte 2006 der Terrorismusforscher Bruce Hoffman.

Ein Bespiel hierfür ist Al-Qaida im islamischen Maghreb (GSPC). Die Gruppe wurde 1998 unter dem Namen „Salafistische Gruppe für Predigt und Kampf“ in Algerien gegründet - als Abspaltung von „Bewaffneten Islamischen Gruppen“. Im September 2006 fusionierte sie dann mit Al-Qaida und weitet seitdem ihre Operationen auf Nord- und Westafrika aus.

Der Anschluss an Al-Qaida führte kurzfristig zu taktischen Veränderungen: So verübten die Terroristen anfänglich vermehrt Selbstmordattentate. Staatliche Militärinterventionen führten darüber hinaus zu strategischen Veränderungen innerhalb der Terrororganisation: Sie verlagerte daraufhin ihre Aktionen von Algerien in den Norden von Mali. Auch die Instabilität in Libyen wird genutzt, um Anrainerstaaten anzugreifen.

Sie haben das Buch „Talking to terrorists“ geschrieben. Welche Voraussetzungen müssen gegeben sein, um mit Terroristen zu verhandeln?

Die Doktrin, nicht mit Terroristen zu verhandeln, basiert auf der Annahme, dass Verhandlungen die Spirale der Gewalt weiter befeuern. Anderen terroristischen Gruppierungen wird signalisiert, dass sich Gewalt lohnt, um ihre Ziele durchzusetzen.

Neueste Forschung rückt davon in einzelnen Gesichtspunkten ab. Die Frage ist nicht mehr, ob man mit Terroristen verhandeln soll, sondern wie man am besten verhandelt. Dabei gilt es, nicht die Gewalt an sich zu belohnen, sondern die Abkehr vom Terrorismus. Diese Verhandlungen, meist eine Kombination aus direkten, inoffiziellen und offiziellen Gesprächen, benötigen jedoch viel Zeit, oft Jahrzehnte. Selten sind Regierungsvertreter lange genug im Amt, um dies ausdauernd voranzutreiben.

Wird Ihre neueste Forschung in die Beratung von Politikern einfließen?

Die Beratung von Politik ist für uns auf jeden Fall wünschenswert.

Viel Erfolg und herzlichen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Barbara Abrell

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