Fraktale machen die Musik

Im Spiel eines Schlagzeugers treten beim Rhythmus und bei der Variation der Lautstärke selbstähnliche Muster auf

19. August 2015

Fraktale Muster sind zutiefst menschlich – jedenfalls in der Musik. Das hat ein Team um Forscher des Göttinger Max-Planck-Instituts für Dynamik und Selbstorganisation und der Harvard University in Cambridge, Massachusetts im Spiel des Toto-Schlagzeugers Jeff Porcaro festgestellt, der als Drummer nach Meinung vieler Fans Maßstäbe setzte. Die Forscher haben sowohl im Rhythmus als auch in der Lautstärke seiner Schläge auf die Hi-Hat selbstähnliche Muster gefunden, deren Strukturen in längeren Zeitabschnitten den Strukturen kürzere Zeitintervalle ähneln. Menschen bevorzugen offenbar genau diese Art von Variationen: Völlig präzise oder rein zufällig variierte Schläge empfinden sie als weniger angenehm. Auch die Abfolge unserer Herzschläge hat fraktale Eigenschaften, und zu viel Präzision kann da sogar lebensbedrohlich sein.

Jeff Porcaro (1954 bis 1992) brachte es in seinem kurzen Leben zu einigem Ruhm: Der US-amerikanische Schlagzeuger war Gründungsmitglied der kalifornischen Rockgruppe Toto und spielte daneben auch mit vielen anderen Stars der Branche – darunter Pink Floyd, Michael Jackson, Madonna, Bruce Springsteen und Frank Sinatra. Berühmt war er für sein charakteristisches Einhand-Spiel auf der Hi-Hat, einem Becken-Paar, das besonders hohe Töne produziert.

Wissenschaftler vom Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation, der Universität Tampere in Finnland und der Universität Harvard wollten anhand des Songs „I Keep Forgettin‘“ herausfinden, was genau den Reiz von Porcaros Spiel ausmacht. „Er enthält ein berühmtes Muster aus Sechzehntel-Noten und eine große Menge von Hi-Hat-Beats, die wir im Millisekunden-Bereich analysieren konnten“, begründet Holger Hennig, der am Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation und an der Harvard University forscht, die Wahl. Der theoretische Physiker spielt in seiner Freizeit Klavier und afrikanische Trommel und hatte schon zuvor fraktale Muster in Musik entdeckt. Nach einem Gespräch mit seinem Kollegen Esa Räsänen aus Tampere – selbst leidenschaftlicher Schlagzeuger – fiel der Entschluss, sich die Hi-Hat-Beats von Porcaro etwas genauer anzusehen.

Ähnliche Muster zeigen sich in zwei Takten und dem ganzen Stück

Dazu analysierten sie die digitalen Daten von der Compact Disc, wobei sie zuerst die verschiedenen Instrumente trennen und Porcaros Schläge auf die Hi-Hat mit einem selbst entwickelten Verfahren detektieren mussten. „Mit seiner Hilfe können wir in Zukunft auch die Besonderheiten des Timings und der Lautstärke-Dynamik anderer virtuoser Meister untersuchen“, sagt Hennig. Am Ende stellte sich heraus, dass Unregelmäßigkeiten, das in Porcaros Beats sowohl beim Rhythmus als auch bei der Lautstärke ein typisches fraktales Muster aufweisen. „Sie gleichen sich auf verschiedenen Zeitskalen – genauso wie eine Küstenlinie auf unterschiedlichen Längenskalen ähnlich aussieht“, erklärt Hennig.

Als Skala bezeichnen Physiker die Größenordnung. Verschiedene Zeitskalen, sind also unterschiedlich lange Zeiträume, beispielweise ein Intervall von mehreren Minuten und eines von einigen Sekunden.  „Porcaros Muster sind auf mehreren Ebenen zu erkennen, beginnend bei zwei Takten bis hin zum gesamten Stück.“ Beim Rhythmus beschleunigt und verzögert Jeff Porcaro in wenigen Takten also nach demselben Muster wie über das ganze Stück gesehen. Allerdings sind die Variationen beim Timing und bei der Lautstärke nicht analog – wahrscheinlich, weil sie an unterschiedlichen Stellen im Gehirn entstehen.

Hennig ist überzeugt: „Die fraktalen Muster sind Teil der Magie von Porcaros Spiel.“ In diese Richtung deuten auch frühere Untersuchungen zum Musikhören, die er zusammen mit Theo Geisel, Direktor am Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation, vorgenommen hat: Menschen erkennen intuitiv, ob ein Rhythmus von einem Musiker oder von einer Maschine stammt – selbst wenn ein Randomizer dafür sorgt, dass der maschinelle Drummer bei jedem Schlag ein wenig vom präzisen Muster abweicht. Die Erkenntnisse über Porcaros Spiel dürften sich daher generell auf Musik übertragen lassen: „Wir gehen davon aus, dass die fraktalen Muster im Rhythmus und in den Lautstärkeschwankungen universell sind, das heißt immer auftreten, wenn ein Mensch einen Rhythmus über eine längere Zeit hält“, sagt Holger Hennig. Um das zu belegen und um auch die Besonderheiten in Porcaros Schlagwerk zu erkennen, untersuchen er und seine Kollegen nun weitere Musikstücke.

Pianisten mit Parkinson verlieren die fraktalen Muster

Die große Bedeutung von Fraktalen zeigt sich aber auch in anderen Bereichen: „Herzschlagintervalle weisen normalerweise fraktale Muster auf – bei einer lebensbedrohlichen Herzkrankheit hingegen, bei der das Herz zu präzise schlägt, fehlen die fraktalen Muster“, so Hennig. „Und auch beim Spiel von professionell ausgebildeten Pianisten mit Parkinson fanden wir, dass die fraktalen Muster verloren gehen.“

Wie die fraktalen Muster in Porcaros Spiel entstehen, ist noch nicht geklärt. Dahinter könnten die Feuermuster von Neuronen stehen, bei denen ebenfalls fraktale Eigenschaften nachgewiesen wurden. Dem Thema wollen die Wissenschaftler am Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation jedenfalls treu bleiben: In einem künftigen Projekt wird die Frage untersucht, wie das Zeitempfinden von Musikern funktioniert und wann eine Band einen gemeinsamen „Groove“ gefunden hat. Es wäre keine Überraschung, wenn Fraktale auch dabei eine wichtige Rolle spielen.

CBu

Weitere interessante Beiträge

Zur Redakteursansicht