Leben im Zeitraffer

Das Leben ist kurz. Das gilt erst recht für den Killifisch Nothobranchius furzeri: Er hat nur wenige Monate, dann ist seine Uhr abgelaufen. In dieser Zeit durchlebt er alle Phasen von der Larve bis zum Fischgreis. Seine für Wirbeltiere ungewöhnlich kurze Lebenserwartung fasziniert Dario Valenzano vom Max-Planck-Institut für Biologie des Alterns in Köln schon lange. Innerhalb von zehn Jahren hat er den Fisch zu einem Modellorganismus für die Alternsforschung gemacht.

Text: Harald Rösch

Wow, das ist ein richtig alter Fisch!“ Dario Valenzano kann seine Bewunderung im Fischkeller des Kölner Max-Planck-Instituts nicht verbergen. Aquarium neben Aquarium sind dort auf langen Regalen nebeneinander aufgereiht.

Wer aber eine weit zurückliegende Jahreszahl als Geburtsdatum erwartet hat, wird enttäuscht: Der Geburtsschein auf der Aquarienscheibe vermerkt einen Geburtstag im September 2014. Der angebliche Methusalem ist also zum Zeitpunkt des Besuchs im Fischkeller gerade mal acht Monate alt. Für einen Angehörigen dieses Nothobranchius-Stamms ist das aber ein geradezu biblisches Alter, denn die meisten sind in diesem Alter schon tot.

Im Jahr 2002 begegnet Valenzano dem Fisch mit dem anstößigen Namen – die Art ist benannt nach ihrem Entdecker Richard Furzer – als Student im Labor seines Mentors Alessandro Cellerino in Pisa zum ersten Mal. Dort steht ein kleines Aquarium mit den Fischen im Labor. Cellerino hat die Fische von einem Bekannten erhalten, einem Hobby-Aquarianer, der den Killifisch seit vielen Jahren in seinen Aquarien pflegt und vermehrt. Der Fischliebhaber macht die beiden Forscher darauf aufmerksam, wie schnell dieser altert.

Mit Fischen hat der junge Student damals nichts am Hut: Seine Begeisterung gilt vielmehr dem Verhalten und der Evolution von Affe und Mensch. Für seine Masterarbeit beobachtet er Affen in einem Zoo und analysiert deren Mimik. Trotzdem wecken die kurzlebigen Fische sein Interesse, und bald ist er Feuer und Flamme. Aus Neugier sucht er nach Alterserscheinungen im Gehirn der Fische und findet tatsächlich Proteinablagerungen, wie sie auch im menschlichen Gehirn im Alter typisch sind.

Von nun an will Valenzano das Rätsel der Kurzlebigkeit von Nothobranchius lösen und ihn zu einem Modellorganismus für das Altern machen. Davon gibt es zwar schon mehrere: den Fadenwurm Caenorhabditis elegans etwa, die Fruchtfliege Drosophila oder die Maus. Letztere lebt gerade mal zwei, drei Jahre. Das klingt nach wenig, heißt aber auch, dass Wissenschaftler jedes Mal so lange warten müssen, bis sie eine Maus im Alter untersuchen können. Fadenwurm und Fruchtfliege leben dagegen nur wenige Wochen, sie sind jedoch Wirbellose und unterscheiden sich dadurch stark vom Menschen.

Nothobranchius würde also eine Lücke füllen: extrem kurzlebig und als Wirbeltier mit dem Menschen nah verwandt. Nothobranchius durchläuft innerhalb weniger Monate den gesamten Alterungsprozess, der bei anderen Wirbeltieren Jahre oder Jahrzehnte dauert.

Warum aber ist ausgerechnet diesen Fischen kein längeres Leben vergönnt? Schließlich werden manche Fische richtig alt. Die berühmten Koi-Karpfen beispielsweise können mehrere Jahrzehnte auf dem Buckel haben. Eine Felsenbarsch-Art aus dem Nordpazifik lebt sogar über 200 Jahre.

Die Kurzlebigkeit könnte mit dem Klima im südlichen Afrika zusammenhängen – der Heimat des Türkisen Killifischs, wie ihn Valenzano auch nennt, um seinen unglücklichen lateinischen Namen zu vermeiden. Wasser gibt es dort nur für maximal sieben Monate im Jahr, manche Gewässer trocknen sogar schon nach zwei Monaten wieder aus. Wahrlich keine idealen Voraussetzungen für ein Fischleben. Als Fisch kann hier nur bestehen, wer sich entwickelt und fortpflanzt, solange es noch Wasser gibt. Gene für Langlebigkeit bringen unter solchen Bedingungen nichts und werden von der Evolution folglich auch nicht gefördert. Für Valenzano könnte dies der Grund für die extreme Kurzlebigkeit von Nothobranchius sein.

Wegen der kurzen Regenzeit reift Nothobranchius furzeri schnell heran: Schon drei bis vier Wochen nach dem Schlüpfen sind die Fische erwachsen und können sich fortpflanzen. Von jetzt an ist der Verfall sichtbar. Die in der Jugend schillernden Farben verblassen, die Flossen fransen aus, und die Wirbelsäule verkrümmt sich zusehends. Wie im Zeitraffer durchlaufen die Fische alle Altersphasen bis zum Fischgreis.

Der Natur scheint dies egal zu sein, für die nächste Fischgeneration ist schließlich gesorgt. Die Eier ruhen im Bodengrund des Gewässers. Wenn der Tümpel austrocknet, fallen die Embryos in eine Art Dauerschlaf. So können sie die monatelange Trockenzeit überstehen.

Was das Altern angeht, ist Nothobranchius ziemlich unflexibel: Er altert, auch wenn ihm – wie im Labor – kein früher Tod durch Vertrocknen droht. Das ist es, was Valenzano so an ihm fasziniert: „Nothobranchius könnte uns die Antwort auf die Frage liefern, warum es so etwas wie das Altern überhaupt gibt. Bringt das Älterwerden Tieren und Pflanzen einen Vorteil? Oder gab es einfach keinen Grund, nach erfolgreicher Fortpflanzung etwas gegen den zwangsläufigen Verfall zu unternehmen?“

Das Altern lässt sich zwar bei Nothobranchius nicht stoppen, aber immerhin verlangsamen. Verschiedene Faktoren beeinflussen seine Lebenserwartung. Die Temperatur zum Beispiel: In kühlerem Wasser werden die Fische älter. Auch das Nahrungsangebot spielt eine Rolle. Wird weniger gefüttert, leben die Fische länger – Befunde, wie Forscher sie schon von Fruchtfliegen und Fadenwürmern kennen. Warum das so ist, ist noch nicht restlos geklärt. „Möglicherweise verraten Temperatur und Nahrungsangebot dem Organismus, ob die Umweltbedingungen günstig sind. Bei tiefen Temperaturen und wenig Nahrung empfiehlt es sich, mit der Fortpflanzung noch etwas zu warten. Das Tier muss folglich länger am Leben bleiben, um sich vermehren zu können“, mutmaßt Valenzano.

Aus solchen Zusammenhängen will er allgemeingültige Erkenntnisse über das Altern gewinnen. Viele der Alterserscheinungen beim Killifisch treten auch bei anderen Lebewesen auf: Sie erkranken an Krebs, bauen mental ab, verlieren ihre Fruchtbarkeit und ihre Farben, und sie werden gebrechlich. „An Nothobranchius können wir deshalb in kurzer Zeit untersuchen, wie ein Organismus altert“, erklärt Valenzano.

Weltweiter Killifisch-Boom

Damit ein Organismus ein Modell für die Wissenschaft werden kann, muss vieles zusammenkommen. Der Fall Nothobranchius furzeri ist eine Erfolgsgeschichte. Dario Valenzano hat aus ihm ein Objekt weltweiten Wissenschaftsinteresses gemacht. Rund 40 Labors weltweit forschen heute an dieser Art. „Alle zwei Wochen fragen Wissenschaftler bei uns an, ob wir ihnen Eier von Nothobranchius schicken, damit sie die Fische in ihrem Labor züchten können“, sagt Valenzano. Mittlerweile versammelt sich die Killifisch-Gemeinde sogar alle zwei Jahre auf einer internationalen Konferenz.

Der Weg dahin war steinig. Valenzanos Vorhaben rief nicht nur Begeisterung unter seinen Doktorarbeitsbetreuern in Pisa hervor: Mancher reagierte reserviert und warnte vor dem Risiko, etwas völlig Neues zu entwickeln. Trotzdem unterstützten sie ihn letztlich alle. Insbesondere die Universität Stanford, wohin er nach seiner Dissertation wechselte, gab ihm die Chance, den genetischen Werkzeugkasten aufzufüllen, mit dem sich das Altern der Killifische untersuchen lässt.

Zunächst untersuchte er, ob Nothobranchius einfach nur früh stirbt, ohne vorher merklich zu altern, und wie er altert. Im Gehirn entdeckte Valenzano Proteine, die mit zunehmendem Alter der Fische immer häufiger werden und Zellschäden anzeigen. Außerdem hat er Lerndefizite festgestellt: Ältere Killifische lernen schlechter, einen an sich harmlosen Lichtreiz mit einem furchtauslösenden Schlag ins Wasser zu assoziieren. Ähnlich wie beim Menschen betrifft das Altern auch bei den Killifischen unterschiedliche Organe. Die Tiere werden bewegungsunlustiger und magern ab, die Wirbelsäule verkrümmt sich. Die Nieren arbeiten schlechter, und in der Leber wachsen Tumore. „Krebs ist die häufigste Todesursache alter Killifische im Labor“, sagt Valenzano.

Zudem musste er Anleitungen für die Haltung und Zucht erstellen. Zwar ist Nothobranchius anspruchslos und nicht schwer zu halten, damit aber die Ergebnisse verschiedener Forschungslabors vergleichbar sind, müssen die Fische unter ähnlichen Bedingungen leben. Valenzano entwickelt deshalb detaillierte Haltungsprotokolle für die chemische Zusammensetzung des Wassers, für Temperatur, Licht und Futter. Schließlich beeinflussen viele Umweltfaktoren den Alterungsprozess.

Damit der Fisch als Modell für die Alternsforschung taugt, musste sein Erbgut entschlüsselt werden. Denn dann können Forscher einzelne Gene untersuchen und verändern. Valenzano hat deshalb viel Mühe in die Entwicklung molekularbiologischer Methoden gesteckt, zum Beispiel die Übertragung von DNA auf Nothobranchius-Eier. Diese sind zum Schutz vor Trockenheit von einer besonders widerstandsfähigen Eihülle umgeben. „An der Hülle haben wir uns zunächst die Zähne ausgebissen. Mit den gängigen Mikrokanülen konnten wir sie nicht durchstechen und Gene injizieren. Erst kürzere und dadurch härtere Kanülen haben, zusammen mit ein paar weiteren Tricks, den Durchbruch gebracht“, sagt Valenzano.

Mit seinen Injektionsnadeln inji- zierte er ein „springendes Gen“. Es produziert ein Enzym, welches das Erbgut an bestimmten Stellen schneidet. Damit hat Valenzano erstmals ein fremdes Gen im Erbgut von Nothobranchius furzeri platziert. Ohne den Beweis, dass sich genetisch veränderte Nothobranchius erzeugen lassen, wäre die Modellkarriere des Fischs schon in den Kinderschuhen stecken geblieben. Doch so hat Valenzano Chromosomenabschnitte entdeckt, die das Altern des Killifischs steuern. Diese Bereiche will er nun genau unter- suchen und herausfinden, welche Gene dafür verantwortlich sind. Außerdem konnte er Gene für die Schwanzfarbe der Fische identifizieren und solche, die das Geschlecht der Tiere bestimmen.

Inzwischen haben Valenzano und andere den molekularbiologischen Werkzeugkasten noch einmal erweitert, sodass sich das Killifisch-Erbgut heute so detailliert analysieren lässt wie das von Fruchtfliege oder Maus. Das komplette Genom von Nothobranchius furzeri ist inzwischen entschlüsselt, und seine DNA-Sequenz wird in Kürze der Wissenschaftsgemeinde zur Verfügung gestellt.

Wissenschaftler können Nothobranchius-Gene heute sogar mit der sogenannten CRISPR/Cas9-Methode ausschalten. Mit der Technik, die seit wenigen Jahren die Biologie revolutioniert, konnten Forscher in den USA innerhalb von zwei bis drei Monaten genetisch veränderte Nothobranchius-Stämme züchten, die schon im Alter von nur zwei Monaten alterstypische Anzeichen aufwiesen, etwa geringere Fruchtbarkeit und Anfälligkeit für Tumore. Auslöser dafür war ein funktions-untüchtiges Gen für das Telomerase-Protein. Dieses Enzym verhindert normalerweise, dass die Endstücke der Chromosomen, die Telomere, mit der Zeit kürzer werden. Kürzer werdende Telomere treten auch beim Menschen im Alter auf.

Mikroben im Fischdarm

Das Erbgut ist aber nicht das Einzige, was Valenzano derzeit am Killifisch interessiert – auch der Darm der Fische hat es ihm angetan. Er vermutet, dass die Darmflora das Altern vieler Tiere beeinflusst. Die unzähligen Bakterien helfen ihrem Wirt bei der Verdauung. Sie sind zudem an Stoffwechselvorgängen beteiligt, die die Anfälligkeit für Erkrankungen wie Diabetes erhöhen können. Jede Fischart besitzt eine eigene Bakteriengemeinschaft. Deren Zusammensetzung kann sich sogar innerhalb einer Art von Fisch zu Fisch unterscheiden.

Analysen des Erbguts der Mikroorganismen verraten Valenzano, welche Bakterien im Fischdarm vorkommen. „Wir wissen nun, dass ältere Fische andere Darmbakterien haben als jüngere“, sagt Valenzano. Als Nächstes will er herausfinden, ob besonders alt werdende Fische andere Mikroorganismen besitzen als kurzlebige Exemplare und ob er die Lebensdauer eines Fischs verlängern kann, wenn er dessen Darmgemeinschaft verändert. Dafür befreit er zuerst den Darm eines jungen Fischs mit einem Antibiotikum von Bakterien und gibt dann den Darminhalt eines alten Tiers ins Wasser. So überträgt er dessen Darmflora und kann untersuchen, ob der junge Fisch mit den neuen Bakterien länger lebt und gesund bleibt.

Valenzano will künftig zusammen mit den Kollegen in seiner Forschungsgruppe am Kölner Max-Planck-Institut aber nicht nur Experimente im Labor vornehmen. Er möchte auch der Natur beim Experimentieren zusehen. Schließlich sucht die Evolution seit Jahrmillionen nach Wegen, wie die Killifische in ihrem Lebensraum überleben können.

Nothobranchius furzeri hat aus der Not eine Tugend gemacht: Er lebt einfach schneller und stirbt früher.

Andere Fische dagegen denken gar nicht daran, auf Lebenszeit zu verzichten: Lungenfische etwa, die mit Nothobranchius in denselben Tümpeln leben, graben sich tief im Schlamm ein und warten dort auf das Ende der Trockenzeit. Manche Lungenfische können so über 50 Jahre alt werden. Verwandte von Nothobranchius in der Neuen Welt haben das Problem wieder anders gelöst: Nordamerikanische Killifische springen aus den austrocknenden Gewässern und überdauern die wasserlose Zeit an Land in feuchtem Holz.

Aus dem Labor in die Savanne

„Die Evolution ist ein einziges großes Experiment, in dem ständig Genvarianten getestet und die geeignetsten ausgewählt werden“, sagt Valenzano. Diese natürlich vorkommenden Varianten sollen ihm nun erzählen, warum die Natur Nothobranchius altern lässt und was dabei passiert.

Dazu muss er die Fische untersuchen, wie sie in der Natur vorkommen. In den Labors der Forscher schwammen bis Anfang des neuen Jahrtausends aber nur die Nachkommen der ursprünglich von Richard Furzer eingeführten Fische. Der Amerikaner hatte die damals noch unbekannte Nothobranchius-Art 1968 im Osten Simbabwes nahe der Grenze zu Mosambik gefangen und mit nach Europa gebracht. Seitdem haben Hobby-Aquarianer die Kinder und Kindeskinder in den Aquarien vermehrt – das entspricht bis zum heutigen Tag etwa 80 Fischgenerationen.

Da sich die Fische des (nach dem Fundort im Gonarezhou-Park) als GRZ bezeichneten Nothobranchius-Stammes all die Jahre nur untereinander fortgepflanzt haben, sind sie einander genetisch extrem ähnlich geworden. Ihre Gene liegen fast alle in derselben Ausführung vor – ideale Voraussetzungen für genetische Untersuchungen. Andere Labortiere sind trotz jahrelanger Zucht genetisch sehr viel heterogener, etwa der Zebrafisch, was seine Erbgutanalyse erschwert hat.

Fische vom GRZ-Stamm besitzen die kürzeste Lebenserwartung aller Tiere, die in Gefangenschaft vermehrt werden können: unter Laborbedingungen im Mittel neun, maximal 13 Wochen. Lange war unklar, ob die Kurzlebigkeit des GRZ-Stamms eine Folge der jahrzehntelangen Inzucht war und ob wilde Nothobranchius furzeri eine ähnlich kurze Lebenserwartung besitzen.

Schon 2004 flogen Valenzano und einige Kollegen deshalb nach Mosambik und suchten dort nach dem Killifisch. Obwohl viele der Gewässer in den letzten Jahren in Reisfelder umgewandelt worden waren, wurden die Forscher an mehreren Stellen fündig. Die Fische leben dort unter verschiedenen Klimabedingungen: Höher und weiter im Landesinneren gelegene Gebiete sind verhältnismäßig trocken, das Küstentiefland dagegen erhält mehr Regen. Die Küstengewässer trocknen folglich nicht so schnell aus. Dort hätte Nothobranchius somit mehr Zeit, sich zu entwickeln, bevor er auf dem Trockenen sitzt.

Die Wissenschaftler fingen in vier Habitaten mehrere Dutzend Fische, nahmen sie mit ins Labor und vermehrten sie dort. Nun konnte Valenzano nicht nur die Lebenserwartung wilder Nothobranchius furzeri mit jener des GRZ-Stammes aus dem Labor vergleichen. Er konnte auch überprüfen, ob sich unterschiedliche Lebensbedingungen auf den Alterungsprozess auswirken. Die wilden Fische leben zwar mit 25 bis 32 Wochen deutlich länger als die GRZ-Tiere aus dem Labor. Für ein Wirbeltier haben sie aber immer noch eine sehr kurze Lebenserwartung. Und mehr noch: Die Hochlandfische altern tatsächlich schneller und sterben früher als die Tiere aus der feuchten Küstenregion. Außerdem nehmen schädliche Proteinablagerungen im Gehirn bei Letzteren langsamer zu.

Ein wichtiger Mosaikstein fehlte Valenzano jedoch noch: die wilden Verwandten der Fische, aus denen sich der GRZ-Stamm ursprünglich entwickelt hatte. Furzer hatte das Gründerpaar seinerzeit im Osten Simbabwes gefangen, einer im Vergleich zu den Lebensräumen in Mosambik noch trockeneren Region. „Es muss also nicht unbedingt an den Zuchtbedingungen im Labor liegen, dass die Tiere des GRZ-Stammes so kurz leben. Vielleicht hat die extreme Trockenheit die Fische so extrem kurzlebig werden lassen“, sagt Valenzano.

Fischfang im Schutzgebiet

Valenzano musste also in die Heimat des GRZ-Stammes nach Simbabwe, in den Gonarezhou-Nationalpark. Doch es dauerte fünf Jahre, bis er die notwendigen Papiere von der Nationalparkverwaltung bekam. Dabei wollte er dieses Mal gar keine Fische ausführen, sondern nur Gewebeproben für Gen- und Darmanalysen nehmen. „Im südlichen Afrika ist in den vergangenen Jahren die Wilderei förmlich explodiert. Deshalb wird jeder Eingriff in den Park besonders sorgfältig geprüft“, sagt Valenzano.

Im Frühjahr 2015 hatte er dann endlich alle Genehmigungen zusammen. Wieder machte er sich mit einer Gruppe von Wissenschaftlern auf ins südliche Afrika. Bevor sie den Nationalpark betraten, kauften sie in einem Haushaltswarenladen aber noch schnell ein Bügelbrett. „Es ging uns natürlich nicht um unsere Wäsche. Was wir brauchten, war vielmehr eine ebene Unterlage, um darauf unsere Proben entnehmen zu können. Dafür war ein zusammenklappbares Bügelbrett genau das Richtige“, erzählt Valenzano.

Mit den Proben aus Gonarezhou kann Valenzano nun das Erbgut des GRZ-Stammes mit dem der Tiere aus Mosambik vergleichen. Daraus erhofft er sich weitere Erkenntnisse darüber, welche Gene den Alterungsprozess bei Nothobranchius furzeri steuern. Außerdem will er analysieren, wie häufig die verschiedenen Ausprägungen eines Alterungsgens in der Natur vorkommen und wie sich diese Häufigkeit über die Jahre verändert. Dies soll ihm zeigen, wie die Evolution die Lebenserwartung der Fische an die jeweils herrschenden Umweltbedingungen anpasst.

Auch die unterschiedlichen Bakteriengemeinschaften im Darm der Wildfische werden ein Schwerpunkt seiner künftigen Untersuchungen sein. Dafür wird er noch öfter nach Afrika reisen müssen. „Das ist ein Langzeitprojekt über 20, vielleicht sogar 30 Jahre.“ Für einen jungen Wissenschaftler ist das durchaus zu schaffen. In seinen Aquarien werden dann Fische der vierzigsten oder sechzigsten Generation schwimmen. Auf den Menschen umgerechnet, entspräche das 1000 bis 1500 Jahren – als Modellorganismus für das Altern kann der Mensch dem Killifisch also definitiv nicht das Wasser reichen.

GLOSSAR

CRISPR/Cas9
: Neue molekularbiologische Methode, mit der Wissenschaftler Organismen deutlich einfacher als bisher genetisch verändern können. Das CRISPR/Cas-System dient Bakterien als eine Art Immunsystem, mit dem sie Viren – sogenannte Phagen – unschädlich machen. Cas-Enzyme können die DNA an sich wiederholenden Abschnitten zerschneiden, den CRISPRs (Clustered Regularly Interspaced Short Palindromic Repeats). An diesen Stellen können Forscher dann neue DNA-Stücke einfügen.

Killifische
: Sie gehören zu den sogenannten Zahnkärpflingen. Der Name geht auf das niederländische Wort für Entwässerungsgraben zurück (Kill). In solchen Gräben sind die Fische in den holländischen Kolonien Nordamerikas entdeckt worden. Die Killifische sind die eierlegenden Arten unter den Zahnkarpfen. Diese Einteilung ist wissenschaftlich inzwischen veraltet, unter Aquarianern ist der Begriff aber nach wie vor weit verbreitet.

AUF DEN PUNKT GEBRACHT

Dank der kürzesten Lebenserwartung aller im Labor züchtbaren Wirbeltiere eignet sich Nothobranchius furzeri besonders gut als Modellorganismus für die Untersuchung von Alterungsprozessen.

Weltweit untersuchen Wissenschaftler, welche Gene den Alterungsprozess von Nothobranchius steuern. Dafür erzeugen sie künstlich Genmutationen und untersuchen die in der Natur vorkommenden Genvarianten.

Neben den Genen beeinflussen auch äußere Faktoren die Lebenserwartung von Nothobranchius, etwa die Temperatur und die Verfügbarkeit von Nahrung. Auch die Zusammensetzung der Darmflora spielt eine Rolle.

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