„Licht hat auch eine Kulturgeschichte“

Interview mit Jürgen Renn und Matthias Schemmel vom Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte über ein ebenso alltägliches wie geheimnisvolles Phänomen

Licht ist überall und nicht nur in Malerei, Fotografie oder als Werkzeug in der Wissenschaft präsent. Auch im täglichen Leben spielt das Phänomen eine entscheidende Rolle. Seine Bedeutung für unser Bewusstsein, aber auch für die technische Welt lässt sich kaum überschätzen. Grund genug für die UNESCO, 2015 zum Internationalen Jahr des Lichts zu erklären. Licht musste den Menschen früher als durchaus geheimnisvoller „Stoff“ erscheinen. Und seine Doppelnatur als Welle und Teilchen fordert noch heute unsere Vorstellungskraft heraus. Ein Interview mit Jürgen Renn und Matthias Schemmel vom Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte in Berlin.

In seinem 1637 erschienenen Werk Dioptrique beschäftigt sich René Descartes ausgiebig mit der Natur des Lichts. Aber der französische Gelehrte war sicher nicht der Erste, der diesem Phänomen auf die Spur kommen wollte. Wann wurde Licht ein Thema für die Wissenschaft?

Jürgen Renn und Matthias Schemmel: Die frühesten uns erhaltenen Texte zur Optik stammen aus der griechischen Antike und sind mit Namen wie Aristoteles und Euklid verbunden. Allerdings wurde Optik im Wesentlichen als die Wissenschaft vom Sehen aufgefasst. Welche Rolle das Licht in diesem Zusammenhang spielt, war damit noch nicht festgelegt. So gehen viele antike Theorien davon aus, dass das Auge eine Art Sehstrahl aussendet, der die Gegenstände „abtastet“.

Ptolemäus nahm zum Beispiel an, dass das Licht mit den Sehstrahlen wechselwirke und die Körper so erst sichtbar mache. Im 11. Jahrhundert entwickelte der arabische Gelehrte Ibn al-Haytham, der in Europa unter dem Namen Alhazen bekannt wurde, in einer Synthese des ihm überlieferten optischen Wissens eine Theorie des Sehens, die auf dem Eindringen von etwas Äußerem ins Auge beruht, wobei er dieses Äußere mit Strahlen darstellte. Aber erst durch die Entkopplung der Strahlenoptik von Fragen der Psychologie der visuellen Wahrnehmung – eine Entkopplung, die durch die technischen Entwicklungen der frühen Neuzeit befördert wurde – bekam die Optik die Bedeutung einer Wissenschaft primär des Lichts. Dies war zu Descartes’ Zeiten eine recht junge Entwicklung und geschah etwa im Werk Johannes Keplers.

Es ist übrigens bemerkenswert, dass die Strahlenoptik nicht nur einmal – im antiken Griechenland – entstanden zu sein scheint. Aus dem China der Streitenden Reiche, etwa 300 vor Christus, ist uns ein Text überliefert, der der Mohistischen Schule zugerechnet wird und in dem Schattenwürfe, plane, konkave und konvexe Spiegel und eventuell sogar die Camera Obscura diskutiert werden. Allerdings war diesem Text keine Rezeptionsgeschichte beschert, wie seine griechischen Gegenstücke sie erfuhren. Die abgebrochene Entwicklung der chinesischen Optik zeigt, dass für den Erfolg naturtheoretischer Traditionen ihr pionierhaftes Auftreten nicht ausreicht: Fortgesetzte günstige gesellschaftliche Bedingungen sind zu ihrem Erhalt notwendig.

Wie kamen Forscher darauf, dass sich Licht mit einer gewissen Geschwindigkeit ausbreitet?

Diese Frage macht nur Sinn für bestimmte Auffassungen des Lichts – etwa wenn man annimmt, dass das Licht aus Teilchen besteht, die wie Projektile durch den Raum fliegen, oder sich als Welle, zum Beispiel in einem Medium, ausbreitet. Solche Vorstellungen waren in der frühen Neuzeit verbreitet, als man versuchte, mechanistische Erklärungen des Lichts zu geben.

Allerdings gab es auch mechanistische Vorstellungen, nach denen es plausibler war, anzunehmen, dass sich das Licht instantan, das heißt, mit unendlich großer Geschwindigkeit, ausbreitet. Kaum jemand machte sich damals eine Vorstellung, wie schnell das Licht war. Und deshalb blieben Versuche, die Lichtgeschwindigkeit etwa durch die Beobachtung entfernter Lichtquellen auf der Erde zu messen, erfolglos.

Wie kam es zur ersten Messung der Lichtgeschwindigkeit?

Einen Durchbruch erzielte der dänische Astronom Ole Rømer, der Ende des 17. Jahrhunderts auf die Idee kam, die Lichtausbreitung im Sonnensystem zum Untersuchungsgegenstand zu machen. Allerdings brauchte man dafür eine Art kosmischer Uhr, um die Zeit der Aussendung eines Lichtstrahls mit seiner Ankunftszeit zu vergleichen.

Als eine solche kosmische Uhr verwendete Rømer die regelmäßigen Umlaufzeiten eines der von Galilei entdeckten Jupitermonde. Aus der Abweichung der beobachteten von der berechneten Zeit eines Ereignisses wie der Verfinsterung eines Jupitermonds in Abhängigkeit der Entfernung der Erde konnte er eine recht genaue Abschätzung der Lichtgeschwindigkeit gewinnen.

Isaac Newton experimentiert mit Prismen und postulierte die Teilchennatur des Lichts. Johann Wolfgang von Goethe hatte seine eigene Theorie und widersprach Newton heftig mit den Worten: „Diejenigen, die das einzige grundklare Licht aus farbigen Lichtern zusammensetzen, sind die eigentlichen Obskuranten.“ Gab es im 18. und 19. Jahrhundert tatsächlich so etwas wie einen „Glaubenskrieg“ um die Natur des Lichts?

Newton und Goethe haben eigentlich unterschiedliche Phänomene zum Gegenstand ihrer Forschung gemacht. Während Newtons Forschungen die Grundlage einer Trennung von Licht- und Sehtheorie als gegeben annahmen, hat Goethe den Prozess des Sehens in seine Überlegungen zum Licht wieder mit einbezogen. Mit seiner physikalischen Kritik an Newton fiel er weit hinter den Kenntnisstand seiner Zeit zurück. Allerdings erkannte Goethe aus seiner Perspektive Phänomene, die in einer rein physikalischen Lichttheorie keine Rolle spielten und die wichtige Anstöße für die spätere Entwicklung der Sinnespsychologie gaben.

Ende des 19. Jahrhunderts war unter den Wissenschaftlern ein Konsens erreicht: Licht galt als elektromagnetische Welle. Doch wenig später zweifelten die Forscher an dieser Erklärung. Wie kam es dazu?

Zur breiten Akzeptanz einer Wellentheorie des Lichtes kam es lange vor der Erkenntnis, dass Licht ein elektromagnetisches Phänomen ist. Bereits Huygens hatte im 17. Jahrhundert eine Wellentheorie des Lichts entwickelt. Anfang des 18. Jahrhunderts gewann diese Theorie durch Untersuchungen der Beugungs- und Interferenzerscheinungen des Lichts an Überzeugungskraft. Als Ergebnis geriet die Newtonsche Teilchentheorie immer mehr in Vergessenheit, obwohl sie erstaunliche Erfolge vorzuweisen hatte.

Interessanterweise ergab sich aus ihr auch die Vorhersage, dass es so etwas wie „Dunkelsterne“ geben müsse, von denen die Lichtteilchen aufgrund der großen Schwerkraft nicht entweichen können. Allerdings waren solche Vorhersagen, die in mancher Hinsicht die spätere Idee schwarzer Löcher vorwegnahmen, natürlich höchst spekulativ. Die Wiedergeburt der Teilchentheorie des Lichts fand dann am Anfang des 20. Jahrhunderts auf eine ganz andere Weise statt, nämlich durch Untersuchungen der Wechselwirkungen von Licht und Materie.

Albert Einstein erhielt im November 1922 den Physik-Nobelpreis – aber nicht etwa für seine Allgemeine Relativitätstheorie, die er vor 100 Jahren veröffentlichte, sondern für die Erklärung des Photoelektrischen Effekts. Können Sie kurz schildern, worum es dabei geht?

Seit den experimentellen Untersuchungen von Heinrich Hertz im späten 19. Jahrhundert haben sich Physiker für die Wirkungen des Lichts auf metallische Oberflächen interessiert. Dabei stellte sich heraus, dass die Energie der aus dem Metall herausgelösten Elektronen nicht von der Intensität, sondern nur von der Farbe des Lichts abhängt. Das aber warf Probleme für die Wellentheorie auf.

Albert Einstein hatte sich schon als Student mit der Natur der Strahlung beschäftigt und sich insbesondere für die Natur der Röntgenstrahlung und für die Erklärung des Planckschen Strahlungsgesetzes Interessiert. In diesem Zusammenhang war ihm die Idee gekommen, dass sich manche Aspekte besser durch die Annahme erklären ließen, dass das Licht aus Teilchen besteht.

Im 1905 veröffentlichte Einstein dann eine berühmte Arbeit, in der er die Hypothese von Lichtquanten vorschlug, bei denen die Energie mit der Farbe zusammenhängt. Seine Erklärung des photoelektrischen Effekts auf dieser Grundlage brachte ihm schließlich den Nobelpreis ein.

Licht hat ja im wörtlichen Sinne vieles erhellt – ferne Galaxien ebenso wie das Innere der Zelle. Damals wie heute setzen Wissenschaftler das Licht auch gezielt als Werkzeug ein...

Ja! Und Licht hat auch eine Kulturgeschichte. Seit frühester Zeit steht es für Erleuchtung und Aufklärung. Der Zugang zu Licht war lange Zeit ein soziales Privileg und ist erst durch technische Revolutionen wie Gas- und elektrische Beleuchtung demokratisiert worden. Zugleich haben technischen Revolutionen immer wieder neue Aufschlüsse über die Informationen, die das Licht transportiert, geboten. Dazu gehören die Erfindungen von Fernrohr und Mikroskop, dann die Erfindung der Spektralanalyse im 19. Jahrhundert und zuletzt die Entwicklung der superauflösenden Fluoreszenzmikroskopie durch Stefan Hell. Letzteres hat erneut gezeigt, dass die Geschichte des Lichts noch nicht zu Ende geschrieben ist.

Interview: Helmut Hornung

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