Getreide-Gene gegen Dürre

In vielen Regionen der Erde bedroht Wassermangel die Landwirtschaft. Neue Pflanzensorten müssen deshalb besonders widerstandsfähig gegenüber Trockenheit sein. Für Wissenschaftler am Max-Planck-Institut für Pflanzenzüchtungsforschung in Köln ist die Gerste ein ideales Modell für die genetischen Strategien zur Anpassung an Trockenstress.

Text: Maria von Korff, Max-Planck-Institut für Pflanzenzüchtungsforschung

Pflanzen verfolgen unterschiedliche Strategien, um trotz Trockenheit überleben und wachsen zu können. So vermeiden sie etwa Schädigungen durch Wassermangel, indem sie mehr Wurzeln bilden, die Wasseraufnahme verbessern oder die Verdunstung über die Blätter verringern. Auch eine Speicherung und Remobilisierung von Reservekohlenhydraten sowie eine Anpassung des Entwicklungszyklus hilft in trockener Umgebung zu bestehen.

Außerdem können Pflanzen unempfindlicher gegenüber Trockenheit werden. Eine solche Trockenstresstoleranz wird von vielen Genen beeinflusst, die alle den Ertrag pro Niederschlagsmenge erhöhen. So können Pflanzen ihre Zellen durch spezielle Proteine vor Wassermangel schützen. Diese Enzyme sorgen dafür, dass Zellproteine und -membranen ihre normale Struktur beibehalten und weiter funktionieren. Außerdem reichert die Zelle osmotisch wirksame Stoffe wie Prolin, Sorbitol oder Glycinbetain in ihrem Speicherorganell, der Vakuole, an. Diese Stoffe sorgen dafür, dass der Wasserverlust der Zelle so gering wie möglich gehalten wird.

Versagen all diese Strategien, sinkt der osmotische Innendruck der Zelle, während die Konzentration intrazellulär gelöster Stoffe steigt. Der daraus resultierende osmotische Stress schädigt die Zellmembranen und großen Moleküle in den Pflanzenzellen. Wenn akuter Wassermangel die Fotosynthese verhindert und die Chloroplasten weiterhin starker Sonneneinstrahlung ausgesetzt sind, entstehen außerdem Sauerstoffradikale wie Super- und Peroxide. Diese greifen Enzyme und Zellmembranen in den Zellen direkt an und zerstören sie.

Am Max-Planck-Institut für Züchtungsforschung in Köln untersuchen wir unter anderem, wie sich die Gerste an Trockenheit angepasst hat. Dabei verfolgen wir einen alternativen Ansatz zur Entwicklung transgener Pflanzen, indem wir die natürliche genetische Diversität der Kulturarten und der nahen Verwandten unserer Kulturarten (Wildformen) nutzen. Da sich die Gerste und andere Getreidepflanzen einander genetisch sehr ähneln, lassen sich diese Erkenntnisse auch auf andere Kulturpflanzen wie den Weizen übertragen.

Gerste ist enorm anpassungsfähig

Die Gerste gehört zusammen mit Einkorn, Emmer, Lein und Linse zum ältesten Kulturgetreide, seit der Mensch vor rund 10000 Jahren begann, Pflanzen gezielt zur Nahrungsmittelgewinnung anzubauen und zu züchten. Die heutige Kulturgerste ist aus der zweizeiligen Wildform Hordeum vulgare L. ssp. spontaneum hervorgegangen. Die gesamte Gattung umfasst 30 verschiedene Wildarten. Heute ist die Kulturgerste nach Mais, Reis und Weizen die viertwichtigste Getreideart der Erde.

Darüber hinaus ist sie das Getreide mit der weitesten geografischen Verbreitung: Sie wächst in Trockengebieten Vorderasiens, in Tibet in Höhen von mehr als 4000 Metern, in den Subtropen und an der Polargrenze des Getreideanbaus. Die meisten Varianten gibt es jedoch an ihrem natürlichen Ursprungsort und in den Gebieten, in denen sie als Erstes vom Menschen kultiviert wurde: dem sogenannten Fruchtbaren Halbmond im Nahen Osten sowie in Nord- und Ostafrika. Gerste verfügt somit über ein hohes genetisches Anpassungspotenzial, das wir für die Züchtung von widerstandsfähigen Sorten nutzen.

Gerstensorten, die an sehr trockenen Standorten wachsen, haben besondere Schutzmechanismen entwickelt. Wildgersten aus dem Fruchtbaren Halbmond lagern etwa verstärkt Anthocyane in die Stängel, Blätter oder Ähren ein. Diese Farbstoffe verleihen der Pflanze eine Rotfärbung und schützen sie wie eine Art Sonnencreme vor zu hoher Sonneneinstrahlung. Zudem reflektiert eine starke Behaarung an Stängeln und Blättern das Sonnenlicht. Außerdem wird Wasser, das aus den Blättern verdunstet, durch die Haarschicht länger über den Blättern gehalten und verringert auf diese Weise den Wasserverlust der Pflanze.

Darüber hinaus kann die Gerste ihren Entwicklungszyklus an Wasserangebot und Temperatur anpassen. So bildet Gerste besonders in südlichen, trockenen Regionen im Frühling frühzeitig Blüten; dies sorgt dafür, dass sie ihre Entwicklung vor dem Einsetzen der Sommerhitze abgeschlossen hat. In den gemäßigten Breiten entwickelt sich Gerste dagegen langsamer. Sie kann so die lange Wachstumsperiode ausnutzen. In Deutschland wächst Gerste einjährig als Sommergerste oder, wie im Mittelmeerraum, über das Jahr hinweg als Wintergerste.

Mutationen lassen Gerste langsamer wachsen

Man kennt heute vier Hauptgene der Gerste, die bei geeigneter Tageslänge und Temperatur zur Blütenbildung führen: Das photoperiod response Gen Ppd-H1 in der Wintergerste löst die Blütenbildung aus, sobald die Tage im Frühling wieder länger werden. Gleichzeitig wirkt das Vernalisationsgen Vrn-H2 als Gegenspieler zu Ppd-H1; es erlaubt nämlich nur dann die Blütenbildung, wenn die Pflanze niedrigen Temperaturen ausgesetzt war. Nach einem ausreichenden Kältereiz reguliert das Vernalisationsgen Vrn-H1 die Bildung der Ähre, während das Vernalisationsgen Vrn-H3 ähnlich wie Ppd-H1 vermutlich alle Phasen der Vorblütenentwicklung beschleunigt.

Im Gegensatz zur Wintergerste ist das Ppd-H1-Gen bei der Sommergerste mutiert und deshalb inaktiv. Außerdem fehlt ihr das Vrn-H2-Gen. Die Sommergerste entwickelt sich daher trotz langer Tageslichtdauer langsamer, und die Blüten werden später gebildet. So kann sie die lange Wachstumsperiode in gemäßigten Klimaten ausnutzen.

Wir suchen Gene, die nur einzelne Phasen der Blütenentwicklung beeinflussen. Dadurch lässt sich die Blütenbildung in verschiedenen Umwelten fein regulieren und letztlich der Ertrag steigern. Trockenheit verkürzt vor allem die Blütenbildung, Halm und Ähre wiederum wachsen besonders schnell, wenn die Tage lang sind. Die umfangreiche Sammlung von Wildgersten aus dem Fruchtbaren Halbmond an unserem Institut stellt dabei eine wertvolle Quelle für neue genetische Varianten dar, denn die systematische Züchtung ertragreicher Sorten seit Beginn des vergangenen Jahrhunderts hat die genetische Variation in unseren Elitesorten immer stärker eingeengt. Evolutionsgeschichtlich gesehen ist diese Zeitspanne jedoch gering, und die natürlichen Vorfahren unserer heutigen Kulturarten lassen sich meist noch mit diesen kreuzen.

Wir haben etwa 900 Sorten von Wildgersten untersucht und diejenigen mit deutschen Gerstensorten gekreuzt, die in der Vorblüteentwicklung variieren. Daraus entstehen Sorten, die unterschiedlich hohe Erträge abwerfen. Die dafür ursächlichen Merkmale und Genformen geben sie an ihre Nachkommen weiter. Mithilfe molekularer Marker identifizieren wir etwa jene Regionen im Gerstengenom, welche die Ährenentwicklung verlängern. Da das Gerstegenom bisher nicht entschlüsselt wurde, vergleichen wir das Erbgut mit dem bereits sequenzierten Reisgenom. So können wir Blütengene der Gerste ausfindig machen, denn Reis und Gerste haben ähnliche Gene, die zudem auch noch ähnlich auf den Chromosomen angeordnet sind.

Von der Labor- zur Feldforschung

Außerdem nutzen wir Erkenntnisse aus der Pflanzengenomforschung an der Ackerschmalwand Arabidopsis thaliana, denn der Stoffwechselweg, der die Blütenbildung auslöst, ist in der Ackerschmalwand bereits intensiv untersucht worden. Da viele der beteiligten Gene und Funktionen auch in der Gerste aktiv sind, lassen sich daraus Rückschlüsse auf die Regulation der Vorblüteentwicklung in der Gerste ziehen.

Diese Studien finden zunächst unter kontrollierten Bedingungen im Gewächshaus statt, wo wir den Effekt einzelner Umweltparameter – Tageslichtlänge, Temperatur und Wasser – auf die einzelnen Gene und Merkmale testen. Die Auswirkungen der verschiedenen Genformen aus der Wild- und Kulturgerste müssen wir jedoch für eine Anwendung in der Getreidezüchtung zunächst im Freiland beobachten. Dazu kooperieren wir mit dem Center for Agricultural Research in the Dry Areas (ICARDA) in Syrien; das ICARDA besitzt das globale Mandat für Forschung an Gerste und Agrarproduktion in halbtrockenen Gebieten.

An diesem internationalen Agrarforschungszentrum untersuchen wir die Anpassungsstrategien der Gerste an Trockenheit unter natürlichen Bedingungen im Feld. In detaillierten genetischen Studien wollen wir dann an unserem Institut die Gene und Genregionen identifizieren, die den Ernteertrag von Gersten bei Trockenheit steigern. Solche Erkenntnisse nutzen nicht nur den Ackerbauern im Nahen Osten. Sie liefern auch wertvolle Informationen für die Züchtung von Kulturpflanzen in anderen Gebieten der Erde, in denen diese an immer trockenere Sommer angepasst werden müssen.

Neue Getreidesorten sollen dem Klimawandel trotzen

Schon heute erleben wir im Zusammenhang mit dem Klimawandel eine Häufung extremer Witterungsbedingungen. So prognostizieren globale Klimamodelle eine Erderwärmung bis zum Ende des 21. Jahrhunderts um 2 bis 5 Grad Celsius und eine Zunahme von Hitzewellen, Dürrezeiten, Hochwasser und Starkniederschlägen. Besonders stark trifft es die Entwicklungsländer in Afrika südlich der Sahara und in Asien, wo die Ernteerträge nach Berechnungen des Weltklimarats bis 2020 um die Hälfte sinken könnten.

Mittel- und Nordeuropa gehören zwar zu den potenziellen Gewinnern des Klimawandels, denn stärkere Winterniederschläge und höhere Durchschnittstemperaturen könnten die Agrarproduktion erhöhen. Dazu müssen jedoch die heutigen Agrarpflanzen an die veränderten Klimabedingungen angepasst werden. Diese Aufgabe gestaltet sich immer schwieriger, denn über die Erntemenge und -qualität entscheiden nicht der saisonale Mittelwert, sondern in erster Linie die klimatischen Extremwerte. So leiden besonders die kontinentalen und südlichen Regionen Europas schon jetzt unter längeren Trockenperioden in den Sommermonaten. Aber auch in Deutschland stagnieren seit zehn Jahren die Getreideernten, mit Ausnahme der Wintergerste. Deshalb forschen auch Wissenschaftler in Europa an der Entwicklung von Pflanzensorten, die möglichst hohe Erträge bei gleichzeitig niedrigem Wasserbedarf abwerfen.

Dazu kommt, dass in vielen Gebieten der Erde die Wasservorräte knapp werden. Das Wasserangebot ist damit der weltweit wichtigste landwirtschaftliche Produktionsfaktor. Eine Erhöhung der Nahrungsmittelproduktion hängt in Zukunft also vor allem davon ab, ob sich die landwirtschaftlichen Flächen ausreichend mit Wasser versorgen lassen. So hat es im Jahr 2008 in vielen landwirtschaftlichen Gebieten des Fruchtbaren Halbmonds nicht mehr als 150 Millimeter Niederschlag gegeben.

Unter solchen Bedingungen produzieren trockenresistente Gerstensorten noch etwa 500 Kilogramm pro Hektar Ertrag. Was für einen deutschen Landwirt mit rund 6 bis 10 Tonnen pro Hektar Ertrag fast einen totalen Ernteausfall bedeutet, erhält den selbstversorgenden Bauern in vielen Regionen des Nahen Ostens dagegen ihre Lebensgrundlage: Sie sind dann nicht gezwungen, ihr Vieh zu verkaufen und Arbeit in der Stadt zu suchen. Das wichtigste Ziel der Züchtungsforschung in Köln und Syrien ist deshalb, die genetische Basis stabiler Erträge auch unter extremen Anbaubedingungen zu entschlüsseln.

Vor diesem Hintergrund werden stabile oder gar steigende landwirtschaftliche Erträge zukünftig vor allem davon abhängen, ob es gelingt, neue Kultursorten zu entwickeln. Es werden insbesondere Getreidearten immer wichtiger, die heute schon ein integraler Bestandteil extensiver Bodenbearbeitungssysteme sind und aufgrund ihres geringen Wasserverbrauchs in Trockenlagen gedeihen – und das ist neben Hybridroggen vor allem die Winter- und Sommergerste.   

GLOSSAR

Sommer-/Wintergerste
Wintergerste benötigt eine Kälteperiode zur Bildung von Blütenständen. Sie wird in Mitteleuropa Ende September ausgesät und im Juli geerntet. Wintergerste bringt 20 Prozent höhere Erträge, da sie die Feuchtigkeit im Winter optimal nutzt. Ihr Anteil an der Gersteproduktion nimmt deshalb seit Jahren zu. Sommergerste dagegen wird im März oder April gesät und im August geerntet. Wintergerste wird vor allem als Futtermittel, Sommergerste als Braugerste verwendet.

Vernalisationsgen (lateinisch vernus – Frühling)
Ein Gen, das Wachstum erst dann erlaubt, wenn die Pflanze Temperaturen unter 10 Grad Celsius ausgesetzt war. Zwischen der Kälteperiode und dem Wachstum oder der Blütenbildung können bei manchen Pflanzenarten Monate liegen. Die meisten Getreidearten benötigen eine Kälteperiode, bevor sie blühen.

Fruchtbarer Halbmond
Eine der Ursprungsregionen, in denen der Mensch sesshaft wurde und von der nomadischen Lebensweise zu Ackerbau und Viehzucht überging. Sie umfasst Gebiete des heutigen Libanon, Syriens, Iraks, Irans und den Südosten der Türkei. Einige der weltweit bedeutendsten Kulturpflanzen wie Weizen, Gerste, Linsen und Erbsen sowie vier der fünf wichtigsten Haustierarten wurden hier domestiziert. Die nahe verwandten Wildformen der Kulturarten haben heute noch ihr natürliches Verbreitungsgebiet im Fruchtbaren Halbmond.

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