Jahrtausende in Gefangenschaft beeinträchtigten das Riechvermögen von Seidenspinnern

Die Zuchtmotten der Art Bombyx mori können, verglichen mit ihren wild lebenden Verwandten, nur noch bedingt Umweltgerüche wahrnehmen

21. November 2013

Eine neue Studie an Seidenspinnermotten hat ergeben, dass das Geruchsvermögen dieser Tiere nach ihrer Domestizierung durch den Menschen vor rund 5000 Jahren beeinträchtigt wurde und ihre Fähigkeit Umweltgerüche wahrzunehmen eingeschränkt ist. Wissenschaftler am Max-Planck-Institut für chemische Ökologie in Jena haben dazu gemeinsam mit Kollegen aus Japan das Riechvermögen von gezüchteten Bombyx mori Motten mit dem ihrer wildlebenden, nächsten Verwandten verglichen. Die Wahrnehmung des Sexuallockstoffes Bombykol hingegen blieb unverändert hochsensibel.

Seide: Naturprodukt seit 5000 Jahren

Der ursprünglich in China beheimatete Seidenspinner Bombyx mori wurde vor rund 5000 Jahren domestiziert. Seine Larven, die Seidenraupen, spinnen sich zur Verpuppung in ein Seidengespinst ein, das aus einem einzigen, mehrere Hundert Meter langen Faden besteht. Zur Seidengewinnung wird der Kokon samt der darin befindlichen Puppe gekocht und der Spinnfaden anschließend abgewickelt. Für die Raupenzucht werden spezielle Zuchttiere gehalten. Das Weibchen legt nach der Paarung mehrere Hundert Eier, aus denen neue Raupen schlüpfen.

In den 1950er-Jahren wurde der Seidenspinner zum Modellorganismus in der modernen Riechforschung. Der von den Weibchen abgegebene Sexuallockstoff Bombykol war das erste Pheromon, das chemisch charakterisiert wurde. Weil Seidenspinnermännchen höchstempfindlich auf nur wenige Moleküle des Lockstoffs der Weibchen reagieren und die Sinneshaare ihrer Antennen für Elektroden gut zugänglich sind, war die Art als Versuchstier bestens geeignet, um mithilfe elektrophysiologischer Messungen eine genaue Analyse des Geruchssinns durchzuführen. Schon 1956 wurden erstmals solche Messungen an Bombyx mori durchgeführt und sogenannte Elektroantennogramme aufgezeichnet.

Pheromone wirken immer noch, Umweltdüfte nicht mehr

Wissenschaftler der Abteilung Evolutionäre Neuroethologie am Max-Planck-Institut für chemische Ökologie haben zusammen mit Kollegen aus Japan jetzt herausgefunden, dass das Riechvermögen des Modellorganismus der Geruchsforschung, Bombyx mori, infolge seiner 5000-jährigen Domestizierung verändert wurde. Umweltdüfte, die den Falter beispielsweise zu einer Wirtspflanze führen, werden deutlich vermindert wahrgenommen, wie der Vergleich mit der verwandten Art Bombyx mandarina ergab, die als Wildform des Seidenspinners gilt. Die Wissenschaftler zeichneten hierfür Elektroantennogramme von Versuchstieren beider Arten auf, die mit verschiedenen Blatt- und Blütendüften stimuliert wurden. Äußerlich fiel auf, dass die Anzahl von Riechhärchen auf den Antennen der Bombyx mori Weibchen stark reduziert war. Zusätzlich zeigten Messungen der Gehirnaktivität unterschiedliche Aktivitätsmuster im Geruchszentrum des Gehirns der gezüchteten und der wilden Seidenspinner. Diese Muster waren bei domestizierten Motten von Tier zu Tier sehr variabel, während sie bei ihren wilden Vorfahren und vier anderen untersuchten Insektenarten weitgehend konstant waren. Die Fähigkeit, mit Hilfe ihrer Antennen Umweltdüfte wahrzunehmen und Wirtspflanzen aufzuspüren, scheint bei den Seidenspinnern infolge von Gefangenschaft und Züchtung überflüssig geworden zu sein, denn das Eiablagesubstrat wird vom Menschen zur Verfügung gestellt. In der Natur jedoch ist die Wahl des geeigneten Eiablageplatzes entscheidend für das Überleben des auf eine einzige Wirtspflanze, den Maulbeerbaum, spezialisierten Nachwuchses und dient somit dem Erhalt der Art.

Hingegen scheint die Wahrnehmung des weiblichen Lockstoffes durch Bombyx mori Männchen unvermindert hochsensibel geblieben zu sein, auch wenn sie die Weibchen gar nicht mehr in der freien Natur aufspüren müssen – sie werden ihnen ja durch die Züchter präsentiert. Dies liegt vermutlich daran, dass Bombykol nicht nur als Lockstoff dient, sondern nachweislich das Paarungsverhalten beim Männchen auslöst und steuert und deshalb für den Fortpflanzungserfolg unentbehrlich ist.

Domestizierungseffekte auf Geschlechtschromosom lokalisiert

Anders als bei Säugetieren sind bei Motten die weiblichen Geschlechtschromosomen geschlechtsbestimmend. Man unterscheidet, analog zu den XY-Chromosomen, bei Motten und Schmetterlingen W und Z Chromosomen. Männchen besitzen ZZ, Weibchen WZ Chromosomen. Da die beiden Arten B. mori und B. mandarina noch miteinander gekreuzt werden können, haben die Wissenschaftler Hybride gezüchtet und mit diesen weitere Geruchsexperimente durchgeführt. „Die stark eingeschränkte Geruchswahrnehmung bei Bombyx mori ist mit großer Wahrscheinlichkeit auf Mutationen des weiblichen Geschlechtschromosoms (W) zurückzuführen. Die Unterschiede der Signalverarbeitung im Gehirn dagegen sind nicht auf den Geschlechtschromosomen lokalisiert“, so die Erstautorin der Studie Sonja Bisch-Knaden.

Die in diesen Versuchen verwendete klassische Methode der Elektroantennogramme, verbunden mit modernen bildgebenden Analysen des Geruchszentrums im Gehirn der Seidenmotten, eröffnet den Weg zur exakten Erforschung der Wahrnehmung von Gerüchen: Vom Molekül bis zum Verhalten.

AO/JWK/BA

Weitere interessante Beiträge

Zur Redakteursansicht