Musik aus dem Regenwald

Forscher finden erstaunliche Ähnlichkeit zwischen Vogelgesang und menschlicher Musik

15. Oktober 2013

Seit langer Zeit spekulieren Philosophen, Kulturwissenschaftler und Naturforscher über den Ursprung menschlicher Musik. Nun haben Forscher vom Max-Planck-Institut für Ornithologie in Seewiesen und des Cornish College of the Arts in den USA verblüffende Parallelen zwischen unserer Musik und dem Gesang eines kleinen braunen Vogels aus dem Amazonasregenwald entdeckt. Flageolettzaunkönige benutzen in ihrem Gesang häufiger konsonante als dissonante Intervalle, was dazu führt, dass er auf Menschen sehr musikalisch wirkt. Die Musikalität der Vögel geht aber noch viel weiter: Sie singen hauptsächlich perfekte Konsonanzen (Oktaven, reine Quinten und Quarten), was zuvor noch nie bei einer Tierart beobachtet wurde.

Der Flageolettzaunkönig (Cyphorhinus arada) aus dem Amazonasgebiet heißt auf Englisch „musician wren“ und trägt diesen Namen zurecht, wie jetzt die Komponistin und Musikwissenschaftlerin Emily Doolittle und der Biologe Henrik Brumm in einer zoomusikologischen Studie herausgefunden haben. Die Tiere benutzen in ihrem Gesang die gleichen Intervalle, die in vielen menschlichen Kulturen als konsonant empfunden werden. Konsonanzen werden als gut zueinander passend, ruhig und stabil klingend wahrgenommen und sind die Grundlage der Tonarten in der Abendländischen Musik. Da die Flageolettzaunkönige perfekte konsonante Intervalle wie Oktaven, Quinten und Quarten bevorzugen, zeigt ihr Gesang eine sehr erstaunliche formale Ähnlichkeit mit menschlicher Musik.

Tatsächlich fanden die Wissenschaftler im Gesang der Flageolettzaunkönige Passagen, die geradezu verblüffende Ähnlichkeiten mit Motiven haben, die z.B. Bach und Haydn in ihren Kompositionen verwendet haben. “Das bedeutet allerdings nicht, dass ein Flageolettzaunkönig in einer bestimmten Tonart singt, so wie es ein Mensch tun würde. Die Vorliebe der Vögel für perfekte Intervalle führt dazu, dass die aufeinanderfolgenden Töne seines Gesangs auf Menschen den Eindruck erwecken, als ob sie einer Tonleiter folgen“, sagt Emily Doolittle. Die Komponistin vom Cornish College of the Arts in den USA verbrachte ein Forschungssemester am Max-Planck-Institut für Ornithologie in Seewiesen, wo sie zusammen mit dem Naturwissenschaftler Henrik Brumm die Beziehungen von Musik und Vogelgesang untersucht hat. Ein Höhepunkt dieses interdisziplinären Austausches zwischen Kunst und Wissenschaft stellte die Uraufführung von Doolittles durch Vogelgesänge inspirierten Kompositionen in der Bayrischen Staatsoper dar.

In der jetzt veröffentlichten Forschungsarbeit wird deutlich, dass der Gesang des „Uirapuru“, so der portugiesische Namen für den Flageolettzaunkönig, immer wieder in der brasilianischen Musik vorkommt. Der Komponist Heitor Villa-Lobos hat 1917 sogar ein Ballettstück namens Uirapuru geschrieben. Ihm nah verwandten Vogelarten wurden solche Ehrungen nicht zuteil: Sie haben simplere Gesänge und vor allem fehlen die musikalischen Intervalle, wie Doolittle und Brumm jetzt herausgefunden haben. Die beiden Wissenschaftler zeigten in einem biopsychologischen Experiment, dass tatsächlich die besonders harmonischen Intervalle im Gesang der Flageolettzaunkönige dazu führen, dass Menschen genau diese Vogelart als außergewöhnlich musikalisch wahrnehmen. Dazu testeten sie 91 Probanden mit von einem Synthesizer generierten Tonfolgen. Das Ergebnis war eindeutig: Im Vergleich zu denselben Tönen, allerdings in anderer Reihenfolge, wurden die Melodien der Flageolettzaunkönige als besonders musikalisch empfunden.

 “Unsere Befunde erklären, warum diese Vogelart so eine prominente Rolle in der Mytholgie und Kunst spielt. Unsere Entdeckung bedeutet aber nicht, dass Vogelgesang generell wie menschliche Musik aufgebaut ist - es gibt ungefähr 4000 verschiedene Singvogelarten und jede hat ihre eigene Art zu singen, einige sind dabei geradezu unmusikalisch,“ sagt Henrik Brumm, Forschungsgruppenleiter in Seewiesen.

Rätselhaft bleibt, wie die Vögel selbst ihren Gesang wahrnehmen und ob sie ein Konzept von Konsonanz, Tonart oder Motiv haben. Diese Fragen sind besonders im Hinblick auf eine mögliche Evolution menschlicher Musik interessant.

SSp/HR

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