Biomasse liefert chemische Rohstoffe

Holzabfälle und Stroh bergen Schätze für die chemische Industrie, die Chemiker des Max-Planck-Instituts für Kohlenforschung in Mülheim an der Ruhr und des Max-Planck-Instituts für Dynamik komplexer technischer Systeme in Magdeburg heben wollen. Die Forscher suchen nach Mitteln, aus Biomasse wertvolle chemische Verbindungen zu gewinnen und diese als Energieträger und Rohstoffe zu nutzen.

Text: Catarina Pietschmann

Noch wird Erdöl nicht zu Preisen eines Olivenöls extra vergine gehandelt. Doch dass die Lagerstätten bald erschöpft sein werden, ist absehbar. Erdgas und Kohle reichen auch nicht ewig – und dem Klima schaden alle fossilen Brennstoffe miteinander. Höchste Zeit also, sich Gedanken über nachhaltige und klimaneutrale Energieträger zu machen.

Wind- und Sonnenenergie wären ideal um Strom und Wärme zu erzeugen. Oder Fahrzeuge von A nach B zu bewegen. Ein Teil der Saharafläche reicht aus, um über Solarzellen die gesamte Welt mit Elektrizität zu versorgen. Perfekt. Doch es gibt da ein Problem. Strom lässt sich weder als Hautcreme verstreichen noch in Schmerztabletten umwandeln. Man kann keine Computergehäuse oder Plastikflaschen daraus pressen. Und kein Flugzeug hebt damit ab. Elektrischer Strom ist die gerichtete Bewegung von Ladungsträgern. Mehr nicht. Keine Materie, kein einziges Molekül.

Erdöl hat dagegen weit mehr zu bieten als seinen Energieinhalt. Es ist zugleich universeller Rohstoff für ungezählte Dinge, die das Leben erleichtern oder einfach schöner machen. Die dunkle, schmierige Brühe, entstanden über Jahrmillionen aus abgestorbenen Meereslebewesen, ist die Basis von Medikamenten, Kosmetik, Kunststoffen, Farben und Lacken, Dünge- und Pflanzenschutzmitteln, Dämmstoffen, Waschmitteln und anderem mehr.

„Die Energie- und die Rohstoffsituation für die Industrie zu lösen – das sind mit die brennendsten Fragen für die nächsten 30 Jahren“, sagt Ferdi Schüth. Für den Chemiker ist klar, dass es langfristig nur zwei Ersatzquellen geben kann. „Biomasse – wobei man darin einen Teil der Syntheseleistung der Natur erhalten könnte. Und C1-Bausteine.“ In solche Kleinstmoleküle mit einem Kohlenstoffatom ließe sich auch Biomasse zerlegen. Am Max-Planck-Institut für Kohlenforschung in Mülheim an der Ruhr leitet Schüth die Abteilung Heterogene Katalyse. Sein Team sucht nach Wegen, Biomasse effizient nutzbar zu machen.

An nachwachsenden Rohstoffen mangelt es der Erde nicht. Für Bioethanol der zweiten Generation werden schon nicht mehr stärke- oder zuckerhaltige haltige Pflanzen verwendet, deren Anbau mit der Produktion von Nahrungsmitteln konkurriert, sondern Holzabfälle und Stroh. Beides ließe sich aber auch chemisch umformen in Industrierohstoffe. Zumindest für den Bedarf der Chemieproduktion würde der für Menschen unverdauliche pflanzliche Abfall allein wahrscheinlich ausreichen.

Ein Paradigmenwechsel in der Chemie

Klingt eigentlich einfach – ist es aber nicht. Weil die chemische Zusammensetzung von Biomasse eben ganz anders ist als die von Erdöl. Letzteres ist ein Gemisch aus eher unspektakulären langkettigen, cyclischen und aromatischen Kohlenwasserstoffen. Es besteht fast vollständig aus Kohlenstoff und Wasserstoff. In Biomasse stecken hingegen wesentlich komplexere Moleküle. Hauptbestandteil sind zu Stärke oder Cellulose verkettete Zucker – mit einem beachtlichen Sauerstoffanteil.

Zwar kann Biomasse zu Kohlenmonoxid und Wasserstoff umgewandelt werden. Aus diesem sogenannten Synthesegas lassen sich dann peu à peu Kohlenwasserstoffe und andere Klassen von Molekülen neu aufbauen. Aber welche Verschwendung über Jahrmillionen verfeinerter Synthesekunst der Natur ist das denn? Gezielte Demontage zu industriell gefragten Bausteinen wäre viel raffinierter. Und eleganter. „Über die letzten 100 Jahre haben wir selektive Funktionalisierungs-Reaktionen entwickelt“, betont Schüth. Damit meint er, dass Chemiker Moleküle gezielt etwa zu Alkoholen oder Säuren oxidieren. „Nun müssen wir im Prinzip eine völlig neue Chemie schaffen. Zur Defunktionalisierung.“ Nun sollen etwa aus Zuckermolekülen mit vielen Hydroxylgruppen einige oder alle dieser Alkoholfunktionen wieder verschwinden. Ein Paradigmenwechsel ist im Gange. Spannende Zeiten für Chemiker.

Dass inmitten einer ehemaligen Steinkohleabbauregion für die Nach-Erdöl-Ära geforscht wird, kommt nicht von ungefähr. Basiswissen wurde bereits am 1912 gegründeten Kaiser-Wilhelm-Institut für Kohlenforschung generiert, dem Vorgänger des Max-Planck-Instituts. Getrieben durch die wachsende Motorisierung, entwickelten Franz Fischer und Hans Tropsch hier 1925 ein großtechnisches Verfahren zur Kohleverflüssigung. Steinkohle wurde dabei zunächst durch teilweise Oxidation bei über 1000 Grad Celsius und Vergasung mit Wasserdampf in Synthesegas umgewandelt – jenes Kohlenmonoxid-Wasserstoff-Gemisch. In einer zweiten Reaktion – unter Katalyse, bei hohem Druck und Temperaturen zwischen 160 und 350 Grad Celsius – bildeten sich daraus flüssige Kohlenwasserstoffe. Geeignet als Dieselkraftstoff oder Grundstoff für die Chemische Industrie.

Große Bedeutung erlangte die Fischer-Tropsch-Synthese in Deutschlands dunkelster Epoche. Im Dritten Reiches wurde Kraftstoff „kriegswichtig“. Bis 1945 entstanden im ehemaligen deutschen Reichsgebiet neun Großanlagen mit der Gesamtkapazität, 600.000 Tonnen synthetischen Diesel pro Jahr aus heimischer Kohle zu gewinnen. Produziert wurde zum Teil mit Zwangsarbeitern und in KZ-Außenlagern.

Mit Salz lässt sich aus Holz Zucker machen

Wegen des konkurrenzlos niedrigen Ölpreises wurde die Kohleverflüssigung nach dem 2. Weltkrieg in Westdeutschland eingestellt. Doch schon während der Ölkrise – in den 1970er-Jahren – erlebte sie eine erste Renaissance. Die große Stärke von „Fischer-Tropsch“ liegt darin, dass praktisch jede Kohlenstoffquelle dafür genutzt werden kann. Und deshalb ist das Verfahren jetzt wieder hoch aktuell. Nur möchte man heute eher Holz statt Kohle einsetzen. Ferdi Schüth und seine Mitarbeiter wollen den nachwachsenden Rohstoff aber auch auf ganz andere Weise nutzen.

Hauptbestandteil von Holz ist Cellulose, Ketten von hunderten bis zu 10.000 Glukosemolekülen. Spaltet man die Bindungen zwischen ihnen, lässt sich der Zucker zu Bioethanol vergären. Doch dazu muss Cellulose erst einmal aufgelöst werden. Ein Problem, denn das Biopolymer ist praktisch unlöslich in Allem, weil die Zuckerketten zusätzlich über unzählige Wasserstoffbrücken verknüpft sind.

„2002 entdeckte man, dass Cellulose in ionischen Flüssigkeiten löslich ist“, erzählt Roberto Rinaldi, Sofia-Kovalevskaja-Preisträger der Alexander von Humboldt-Stiftung und selbständiger Gruppenleiter am Mülheimer Institut. Das sind Salze, deren Kationen aus organischen Molekülen bestehen. Wegen der größeren Molekülradien haben sie im Vergleich zu Kochsalz nur schwachen Zusammenhalt. Daher schmelzen ionische Flüssigkeiten schon unter 100 Grad Celsius, während das Haushaltssalz erst bei 860 Grad flüssig wird. Ist Cellulose gelöst, bedarf es einer Säure als Katalysator, um die Bindungen zwischen den einzelnen Zuckermolekülen zu knacken. Doch wie bekommt man die Säure dann wieder heraus? Rinaldi hatte da eine raffinierte Idee: Statt Schwefelsäure nimmt er einen sauren Ionenaustauscher. Das körnige Harz lässt sich nach der Reaktion einfach abfiltrieren. So verrückt es klingt, aber mit Salz lässt sich aus Holz Zucker gewinnen. Allerdings steht man hier in einem Preiskampf. „Um das Verfahren rentabel zu machen, dürfen wir von der ionischen Flüssigkeit pro Zyklus praktisch nichts verlieren. Denn bei einem kontinuierlich Prozess und im großen Maßstab wird schon Verlust von einem Milligramm pro Kilo Zucker teurer als die Alternative vom Feld.“ Ein Kilo Rübenzucker kostet 20 Cent.

Aber Rinaldi hat noch eine Alternative parat. „Holzsplitter, vermischt mit verdünnter Schwefelsäure, lassen sich mit Kugelmühlen in winzigste Teilchen zermahlen: Oligosaccharide, die nur drei bis sechs Zucker lang sind und sich in Wasser lösen.“ Mechanische Kraft plus Säurekatalyse – die besten Lösungen sind manchmal ganz einfach.

Holz birgt einen Schatz für die Chemische Industrie

Neben Polysacchariden steckt noch etwas anderes in pflanzlicher Biomasse – Lignin. Das harzartige, regellose Netzwerk aus polymerisierten Aromaten macht 20 bis 30 Prozent der Trockenmasse aus. Es durchdringt die Cellulosefasern und wirkt wie ein Stützstrumpf für pflanzliches Gewebe. Seine Bausteine sind durch chemische Bindungen stark vernetzt. Manche Forscher glauben sogar, beim Lignin eines Baumes handele es sich um ein einziges Riesenmolekül.

Bei der Produktion von Bioethanol fallen pro Liter drei Kilo Lignin an. „Was sollen wir damit machen? Zu Synthesegas verbrennen?“ Rinaldi schüttelt den Kopf. „Nein, wir versuchen etwas Besseres damit zu tun.“ Die aromatischen Bestandteile machen es zu einem Schatz für die Chemische Industrie. Denn diese besonderen Kohlenwasserstoffe werden unter anderem für die Herstellung von Arzneimitteln, Polymeren und Farbstoffen gebraucht. Die einzige natürliche Quelle dafür ist Lignin. Schätzungsweise 30 Milliarden Tonnen bilden sich pro Jahr auf der Erde neu. Was für ein Potential!

Zu isolieren ist Lignin leicht: Holz wird fein gehäckselt und dann unter Druck mit 50prozentigem Alkohol ausgekocht. Wird das Lösungsmittel entfernt, bleibt Lignin als zähe braune Masse zurück. Erhitzt man diese auf 250 bis 300 Grad Celsius, zerfällt es in seine Bestandteile. „Aber wenn wir das machen, bekommen wir praktisch eine explodierte Apotheke“, sagt Ferdi Schüth lachend. Roberto Rinaldi nickt. „Stimmt, es entstehen hunderte Produkte – und jedes davon in minimalen Mengen.“ Selbst mit aufwendigen Methoden lässt sich das Gemisch nur ansatzweise trennen. „Aber der eigentliche Alptraum ist, dass es sofort wieder polymerisiert!“

Der Brasilianer nimmt es sportlich, als persönliche Herausforderung. In der Natur spalten Pilz-Enzyme Lignin – aber sehr, sehr langsam. Rinaldi sucht nach Katalysatoren, die das schneller schaffen und dabei alle Stellen der Bausteine, an denen sich die Moleküle wieder untereinander verbinden können, auf einmal entschärfen. An Stelle von Lignin spaltet er testweise kleine aromatische Verbindung wie Diphenylether mit Nickel. Dabei zeigte sich, dass die Effizienz der Umsetzung variiert, je nach dem in welchem Lösungsmittel sie vorgenommen wird. Es ist der erste kleine Schritt auf einem langen Weg zur Nutzung von Lignin.

Gesucht: Ein Katalysator für zwei Reaktionen

Die Entwicklung von Katalysatoren ist wie die Kohleverflüssigung untrennbar mit dem Mülheimer Institut verbunden. Der zweite Direktor, Karl Ziegler, entwickelte hier metallorganische Katalysatoren für die Kunststoffherstellung. 1953 meldete er ein Verfahren zum Patent an, mit dem Ethen katalytisch zu Polyethylen verknüpft wird. Sein italienischer Kollege Giulio Natta schuf darauf aufbauend in ähnlicher Weise Polypropylen. 1963 später erhielten beide den Nobelpreis für Chemie. Heute werden mit Ziegler-Katalysatoren weltweit jährlich über 70 Millionen Tonnen Kunststoffe produziert.

Auch Wolfgang Schmidt arbeitet an Katalysatoren für die Biomassekonversion. Speziell an solchen, die aus Pflanzenabfällen gewonnenes Synthesegas – ein Gemisch aus Kohlenmonoxid und Wasserstoff – in kleine nützliche Basischemikalien umwandeln. Gemeinsam mit dem Fraunhofer-Institut für Umwelt-Sicherheits- und Energietechnik (UMSICHT) in Oberhausen entwickelt er ein kontinuierliches Verfahren für die Produktion von Dimethylether (DME). Die gasförmige Verbindung ist vielseitig einsetzbar, etwa als alternatives Treibgas, Flüssiggas oder Dieseladditiv.

Die DME-Bildung verläuft über zwei Stufen: Zuerst stellt man aus Synthesegas Methanol her und spaltet anschließend mit einem sauren Katalysator zwischen zwei Alkoholen ein Molekül Wasser ab. Zweistufige Prozesse sind – zumal, wenn damit einmal kontinuierlich große Mengen umgesetzt werden sollen – eher ungünstig. „Noch dazu laufen beide Reaktionen bei unterschiedlichem Druck ab. Und auch die benötigten Katalysatoren sind verschieden“, beschreibt Schmidt das Problem. Gesucht wird einer, der beides kann.

Daher stellen die Chemiker testweise kleine Mengen an nano-strukturierten Katalysatormischungen auf Basis von Kupfer, Zinkoxid und einer sauren Feststoffkomponente her und analysieren sie mit modernsten Methoden. Anschließend schicken sie die Reaktionsbeschleuniger in einer computergesteuerten Testanlage im historischen Technikum ins Rennen. Fraunhofer-Ingenieure übernehmen den verfahrenstechnischen Part und bauen in Oberhausen eine Pilotanlage auf. Gefüttert wird sie mit Holzchips, einem Ausgangsstoff, der für die industrielle Produktion von Chemikalien noch Neuland ist.

Die Chemie mit Biomasse erfordert neue Prozesse

Das DME-Projekt zeigt exemplarisch, was auf die Chemische Industrie zukommt: auch prozesstechnisch ist ein Umdenken nötig. „Setzt man nachwachsende Rohstoffe ein, bekommt man es mit langkettigen Molekülen zu tun. Um sie zu Plattformchemikalien funktionalisieren zu können, müssen chemische Reaktionen in flüssigen Mehrphasensystemen selektiv ausgeführt werden können“, erklärt Kai Sundmacher vom Max-Planck-Institut für Dynamik komplexer technischer Systeme in Magdeburg. Im Sonderforschungsbereich InPROMT entwickelt sein Team, gemeinsam mit Kollegen von der TU Berlin, der TU Dortmund, und der Universität Magdeburg neue Prozesstechniken. Olefine aus Biomasse sind meist ölige Flüssigkeiten. Sie kommen nur bei homogener Katalyse gut mit dem Kat in Kontakt – dieser muss also löslich sein. Im Gegensatz zur heterogenen Katalyse, bei der etwa Synthesegas an einem Feststoff reagiert, muss ein homogener Katalysator nach der Reaktion aufwendig abgetrennt werden.

Lösung dieses Problems könnten „schaltbare“ Lösungsmittel-Systeme sein. Momentan verfolgen die Forscher parallel zwei Wege: Einen Ansatz bieten lösungsvermittelnde Tenside, die einem Öl-Wasser-Gemisch, in der Fachsprache Mehrphasensystem genannt, zugesetzt werden. (Im Wasser befindet sich der homogene Katalysator.) „In einem bestimmten Temperaturfenster entstehen spontan reverse Mikroemulsionen, Nanometer kleine Wassertröpfchen im Olefin, die durch das Tensid stabil gehalten werden. Weil die Grenzfläche zwischen beiden nun riesig ist steigt die Reaktionsrate um etliche Zehnerpotenzen.“ Nach einer Temperaturänderung trennen sich die Flüssigkeiten wieder, und der Kat bleibt weitgehend im Wasser zurück. Gesucht: Das ideale Tensid und die optimalen Temperatur-Schaltbedingungen für die gewünschte chemische Umsetzung.

Der andere Ansatz geht über thermo-morphe Flüssigkeiten. Gemische aus zwei bis drei unterschiedlich polaren Lösungsmitteln, die sich je nach Temperatur vollständig mischen oder in zwei Anteile zerfallen. Die Herausforderung liegt darin, für eine gewünschte Reaktion die optimalen Lösungsmittel und das perfekte Mischungsverhältnis zu finden. Mit Computersimulationen und Experimenten in Miniplants – das sind Produktionsanlagen im Labormaßstab – simulieren Forscher all dies.

Biomasse kann Erdöl und Erdgas vielleicht einmal als Rohstoff und Energieträger ersetzen. Doch das wird noch dauern. Solange kommt es darauf an, aus den fossilen Ressourcen möglichst viel herauszuholen. Das Methan, das an den Bohrlöchern der Erdölförderung freigesetzt wird, darf da nicht ungenutzt bleiben. Daraus lässt sich Synthesegas und darüber Benzin herstellen. „Riesige Fischer-Tropsch-Anlagen werden deshalb derzeit weltweit geplant, gebaut, oder sind bereits in Betrieb, zum Beispiel in Katar“, erzählt Ferdi Schüth. Aber an vielen Orten lohnt sich der Aufwand nicht. Nämlich dann, wenn Methan nur in kleinen Mengen austritt – als stranded natural gas. „Meist wird es einfach abgefackelt, so dass beachtliche Mengen an Energieträgern vernichtet werden.“ Es in die Umwelt zu entlassen wäre aber noch schlimmer, denn als Treibhausgas ist Methan zehn Mal klimaschädlicher als Kohlendioxid.

Ein Pulver erzeugt Methanol aus Methan

Jenes Methan ließe sich jedoch in Nützliches umwandeln – in Methanol. „Die Lösung böten kleine Anlagen, etwa für Schiffe, die offshore an eine Ölplattform heranfahren und an Ort und Stelle das Gas verflüssigen, solange das Ölfeld leer gepumpt wird“, sagt Schüth. Die direkte Oxidation von Methan zu Methanol ist grundsätzlich möglich. Es gibt einen Katalysator, der das effizient macht – allerdings unter echt ätzenden Bedingungen. Der 1998 in Kalifornien entwickelte lösliche Periana-Katalysator, ein stickstoffhaltiger metallorganischer Platinkomplex, arbeitet nur als homogener Katalysator und das auch noch in rauchender Schwefelsäure. „Und damit ist er praktisch nicht recycelbar.“

Doch manchmal kommt die Lösung per Zufall daher. Während Schüth über das Problem nachdachte, zeigte sein Max-Planck-Kollege Marcus Antonietti aus Potsdam-Golm im Vortrag eine chemische Struktur die Schüth stutzen ließ. Wenn man Platin dazu packt, könnte es die feste Form des Periana-Kats werden, ging ihm durch den Kopf. Ferdi Schüth lacht. „Zu 98 Prozent sind solche Ideen ja Unfug.“ Doch in diesem Fall funktionierte es sofort. Aus dem graphitähnlichen aber stickstoffhaltigen Feststoff entsteht in Verbindung mit Platinsalzen ein Pulver, das sich wie der Periana-Katalysator einsetzen lässt. „Und nun kann man ihn einfach abfiltrieren.“ Inzwischen hat das Team ähnliche, noch effizientere Materialien gefunden. Damit ist ein Problem der Methanverflüssigung zumindest im Labor gelöst.

Apropos Resteverwertung: Liefert Plastikmüll nicht auch einen guten Rohstoff? Schüth wiegelt ab. „Möglich ist das schon. Aber man muss sich fragen: Ist es sinnvoll, da viel Energie reinzustecken? Der Heizwert einer Plastiktüte entspricht dem von Heizöl. Die thermische Nutzung wäre nicht die schlechteste.“

Geforscht wird an allen Ecken und Enden. Wie wird sich das auf die Energieversorgung in 100 Jahren auswirken? „Wir werden Sonnenenergie effizient ernten“, meint Ferdi Schüth, „und eine große Hoffnung liegt in der Kernfusion.“ Energie gäbe es dann im Überfluss, was mehrere Herausforderungen einer Erde mit zehn Milliarden Bewohnern auf einmal lösen würde. „Denn letztlich lässt sich vieles auf ein Energie-Problem zurückführen: Welternährung ist ein Problem der Verteilung. Mit Energie lässt sich aus Meerwasser Trinkwasser erzeugen und knapp gewordene Rohstoffe wie Lithium oder Platin können wieder angereichert werden, denn verloren geht auf der Erde nichts.“

Ferdi Schüth muss lachen und sagt: „Aber meine Prognose ist eine lineare Extrapolation. Angenommen wir hätten das Jahr 1850 und ich sollte eine Vorhersage für heute machen. Da wäre ich grandios gescheitert! Vermutlich hätte ich auf schnellere Pferde und reibungsarme Kutschen getippt."

 

GLOSSAR:

Funktionelle Gruppe
Charakteristische Struktureinheit eines organischen Moleküls, die dessen Verhalten etwa in einer Reaktion bestimmt. Bei einer Funktionalisierung eines Moleküls werden oft Atome anderer Elemente als Kohlenstoff oder Wasserstoff, also etwa Sauerstoff oder Stickstoff in ein Molekül eingebaut. So entstehen beispielsweise Säuren, Aldehyde oder Alkohole beziehungsweise Amine.

Wasserstoffbrückenbindung
Die elektrostatische Wechselwirkung zwischen positiv polarisierten Wasserstoffatomen etwa in Alkoholen oder Wasser mit negativ polarisierten Atomen wie Sauerstoff führt zu einer Bindung, die im Vergleich zu einer Bindung durch ein gemeinsames Elektronenpaar jedoch schwach ist.

Homogene Katalyse
Reaktionspartner und Katalysator liegen in einer Phase, also beispielsweise gelöst in einer Flüssigkeit vor. Um den Katalysator, der die Reaktion beschleunigt, dabei aber nicht verbraucht wird, wiederverwerten zu können, muss das Reaktionsgemisch, das möglicherweise auch noch die Edukte enthält, aufwendig getrennt werden.

Heterogene Katalyse
Reaktionspartner und Katalysator liegen in verschiedenen Phasen vor. In der Praxis werden die gasförmigen oder flüssigen Ausgangsstoffe meist über einen festen Katalysator in einem Reaktor geleitet – die Produkte lassen sich dann am Ende auffangen. Manche heterogene Katalysatoren müssen dem Reaktionsgemisch auch als Pulver zugegeben und daher nach der Reaktion abfiltriert werden.

Polymerisierung
Bildung langer, manchmal verzweigter Kettenmoleküle aus vielen Bausteinen meist eines, manchmal mehrerer Ausgangsstoffe.

Aromaten
verdanken ihren Namen dem angenehmen Geruch der ersten Substanzen dieser Stoffklasse. Sie enthalten mehrere Doppelbindungen. Diese sind so angeordnet, dass Elektronen, die an der Doppelbindung beteiligt sind, zwischen mehreren Atomen des Moleküls delokalisiert werden. Das macht Aromaten besonders stabil.

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