Elektronen mit Rekordenergien gehen Teleskopen in die Falle

Ein nur wenige tausend Lichtjahre entfernter Pulsar könnte Elektronen und Positronen auf die höchsten Energien beschleunigt haben, die jetzt vom Hess-Observatorium gemessen wurden

Fünf Teleskope der Hess-Kollaboration untersuchen in Namibia kosmische Strahlung, vor allem Gammastrahlung. In Daten aus zehn Jahren Beobachtungen konnten die Forschenden nun auch kosmische Elektronen und Positronen mit einer bislang unerreichten Energie von mehr als zehn Tera-Elektronenvolt (1 TeV entspricht 10^12 Elektronenvolt) nachweisen. Da geladene Teilchen durch die Magnetfelder in unserer kosmischen Nachbarschaft in alle Richtungen abgelenkt werden, ist es schwierig, ihre Herkunft zu bestimmen. Diesmal jedoch eröffnet die hohe Qualität des gemessenen Teilchen-Energiespektrums bis zu den höchsten Energiewerten neue Möglichkeiten: Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vermuten, dass ein Pulsar, der höchstens einige tausend Lichtjahre entfernt sein kann, die Quelle sein könnte.

Das Universum beherbergt extreme Umgebungen, von den kältesten Temperaturen bis zu den energiereichsten Quellen. Extreme Objekte wie Supernova-Überreste, Pulsare oder aktive galaktische Kerne erzeugen geladene Teilchen und Gammastrahlung mit Energien, die weit über denen liegen, die bei thermischen Prozessen wie der Kernfusion in Sternen erreicht werden. Während das emittierte Gamma-Licht ungehindert den Weltraum durchquert, lenken allgegenwärtige Magnetfelder im Universum geladene Teilchen der kosmischen Strahlung ab. Diese Teilchen erreichen die Erde nicht auf geradem Weg, sondern gleichmäßig aus allen Richtungen. Dadurch können Forschende nicht direkt auf den Ursprung der Strahlung schließen. Zudem verlieren geladene Teilchen Energie durch Wechselwirkungen mit Licht und Magnetfeldern. Besonders stark sind diese Verluste bei den energiereichsten Elektronen und Positronen (positiv geladenes Antiteilchen des Elektrons) mit Energien über der Tera-Elektronenvolt-Marke. Wenn Instrumente auf der Erde geladene kosmische Teilchen so hoher Energien messen, bedeutet das, dass sie nicht weit gereist sein können. Dies deutet auf die Existenz starker natürlicher Teilchenbeschleuniger in der Nähe unseres Sonnensystems hin.

Ein Knick im Spektrum verrät den Ursprung

In einer neuen Analyse haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Hess-Kollaboration erstmals stark eingegrenzt, woher diese kosmischen Teilchen kommen. Der Ausgangspunkt der Analyse ist die Messung des Spektrums der kosmischen Strahlung, also die Energieverteilung der gemessenen Elektronen und Positronen. Die Analyse beruht auf Daten aus zehn Jahren Beobachtungen, was eine hohe Datenqualität garantiert. Das aufaddierte Elektronenspektrum reicht bis zu mehreren zehn Tera-Elektronenvolt. „Unsere Datenanalyse liefert Informationen in einem entscheidenden und bisher unerforschten Energiebereich, und sie wird auf absehbare Zeit den Maßstab in diesem Bereich setzen“, sagt Werner Hofmann vom Max-Planck-Institut für Kernphysik in Heidelberg. Im Spektrum, das sich bei TeV-Energien durch vergleichsweise kleine Fehlerbalken auszeichnet, fällt ein markanter Knick bei etwa einem Tera-Elektronenvolt auf. Sowohl oberhalb als auch unterhalb dieses Bruchs folgt das Spektrum einem Potenzgesetz ohne weitere Auffälligkeiten.

Auf Irrwegen durch die Galaxis

Um herauszufinden, welcher astrophysikalische Vorgang die Elektronen auf so hohe Energien beschleunigt hat und woher der Knick kommt, vergleichen die Forschenden diese Daten mit Modellvorhersagen. Heiße Kandidaten sind Pulsare, das sind Sternüberreste mit einem starken Magnetfeld. Einige Pulsare blasen einen Wind geladener Teilchen in ihre Umgebung, und die magnetische Schockfront dieses Windes könnte der Ort sein, an dem die Teilchen einen Schub erfahren. Das Gleiche gilt für Schockfronten von Supernova-Überresten. Computermodelle zeigen, dass Elektronen, die auf diese Weise beschleunigt wurden, sich mit einer bestimmten Energieverteilung auf die Reise ins All machen. Diese Modelle verfolgen die Elektronen und Positronen während ihrer Bewegung durch die Milchstraße und berechnen, wie sich ihre Energie verändert, während sich diese mit Magnetfeldern und Licht in der Milchstraße wechselwirken. Dabei verlieren die Teilchen so viel Energie, dass sich ihr ursprüngliches Energiespektrum verformt. Astrophysikerinnen und Astrophysiker versuchen im letzten Schritt, ihr Computermodell an die Messdaten anzupassen, um mehr über die Natur der astrophysikalischen Quelle zu erfahren.

Doch welches Objekt hat die Elektronen ins All geschleudert, die die Teleskope gemessen haben? Das Teilchenspektrum mit Energien unter einem Tera-Elektronenvolt besteht wohl aus Elektronen und Positronen von verschiedenen Pulsaren oder Supernova-Überresten. Bei höheren Energien zeigt sich jedoch ein anderes Bild: Das Energiespektrum fällt ab etwa einem Tera-Elektronenvolt steil ab. Dies bestätigen auch Modelle, die die von astronomischen Quellen beschleunigten Teilchen und ihre Diffusion durch das galaktische Magnetfeld untersuchen. Dieser Übergang bei einem Tera-Elektronenvolt ist besonders markant und außergewöhnlich scharf. „Das ist eine wichtige Beobachtung, denn wir können daraus schließen, dass die gemessene kosmische Strahlung wahrscheinlich nur von wenigen Quellen in der Nähe unseres Sonnensystems stammt, die maximal einige tausend Lichtjahre entfernt sind“, sagt Kathrin Egberts von der Universität Potsdam. Diese Entfernung ist relativ gering im Vergleich zur Größe der Milchstraße. „Quellen in unterschiedlichen Entfernungen würden diesen Knick viel stärker verwischen“, so Egberts weiter. Laut Werner Hofmann könnte sogar nur ein einzelner Pulsar für das Elektronenspektrum bei hohen Energien verantwortlich sein. Welcher das ist, bleibt jedoch unklar. Da die Quelle ganz in der Nähe sein muss, kommen nur wenige Pulsare in Frage.

RH/BEU

Hintergrundinformationen

Datenanalyse: Die Astrophysikerinnen und Astrophysiker werteten einen riesigen Datensatz aus, der über ein Jahrzehnt von vier der Hess-Teleskope gesammelt wurde. Sie verwendeten neuartige und strenge Selektionsalgorithmen, um kosmische Elektronen mit einer beispiellos niedrigen Hintergrundkontamination zu identifizieren. Dies führte zu einem statistisch hochwertigen Datensatz für die Analyse der kosmischen Elektronen. Besonders gelang es den Forschenden, Elektronen und Positronen mit Energien von bis zu 40 TeV zu messen.

Nachweismethode: Der Nachweis hochenergetischer, geladener kosmischer Teilchen ist schwierig. Weltraumbasierte Teleskope mit einer Detektorfläche von etwa einem Quadratmeter fangen nicht genügend der seltenen Teilchen ein. Bodengebundene Instrumente nutzen einen Trick: Wenn ein Gammastrahl oder ein schnelles, geladenes Teilchen in die Atmosphäre eindringt, kollidiert es mit Atomen und Molekülen, was neue Teilchen erzeugt, die wie eine Lawine zur Erde rasen. In dieser Teilchenkaskade erzeugen einzelne Teilchen Lichtblitze (Cherenkov-Strahlung), die mit spezialisierten Großteleskopen am Boden beobachtet werden können. Die Hochenergie-Astronomie nutzt also die Atmosphäre als riesigen Detektor.

Die Herausforderung besteht darin, die von Elektronen oder Positronen ausgelösten Kaskaden von den häufigeren Kaskaden, die durch den Aufprall schwererer kosmischer Kerne oder von Gammaphotonen entstehen, zu unterscheiden. Im Jahr 2008 gelang es Forschenden erstmals, Elektronen- und Positronen-Signale in den Daten des Hess-Cherenkov-Teleskops zu identifizieren.

Quellidentifikation: Während Gamma-Strahlung direkt zur Quelle zurückverfolgt werden kann, ist dies bei geladenen kosmischen Teilchen nicht möglich. Diese treffen aus unterschiedlichsten Richtungen auf die Erdatmosphäre, selbst wenn sie alle von derselben Quelle stammen. Das liegt an der Ablenkung durch Magnetfelder in der Milchstraße.

Das Hess-Observatorium: Das Hess-Observatorium im Khomas-Hochland von Namibia, in 1.835 m Höhe, wurde 2002 in Betrieb genommen. Es besteht aus einem Array von fünf Teleskopen, vier Teleskopen mit einem Spiegeldurchmesser von 12 m an den Ecken eines Quadrats und einem weiteren 28-m-Teleskop in der Mitte. Damit kann die kosmische Gammastrahlung im Bereich von einigen zehn Gigaelektronenvolt (GeV, 10^9 Elektronenvolt) bis zu einigen zehn Tera-Elektronenvolt (TeV, 10^12 Elektronenvolt) nachgewiesen werden. Zum Vergleich: Teilchen des sichtbaren Lichts haben eine Energie von zwei bis drei Elektronenvolt. Hess ist derzeit das einzige Instrument, das den Südhimmel im hochenergetischen Gammalicht beobachtet und zudem das größte und empfindlichste Teleskopsystem seiner Art.

Obwohl das Hess-Observatorium hauptsächlich dazu dient, Gammastrahlung zu detektieren, zu selektieren und ihre Quellen zu vermessen, können die gewonnenen Daten auch zur Suche nach kosmischen Elektronen verwendet werden.

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