Bei der Nutzung von Online-Portalen profitieren viele Menschen von den Bewertungen anderer, obwohl sie selbst untätig bleiben. Dabei könnten gerade diejenigen, die von sich aus am wenigsten zum Crowdsourcing beisteuern, den größten Beitrag zur Verbesserung eines öffentlichen Guts leisten. Zu diesem Ergebnis kommt ein multidisziplinäres Team von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus den USA und Deutschland.
Für ein groß angelegtes Online-Experiment entwickelten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler eine virtuelle 3D-Welt. In dieser sollten die Studienteilnehmerinnen bei einem Online-Spiel innerhalb einer bestimmten Zeit Münzen auf tropischen Inseln sammeln. Die Fähren, die die Spielerinnen von Insel zu Insel brachten, fuhren mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten. Das Spiel enthielt ein Bewertungssystem, mit dem sich alle gegenseitig helfen konnten, die schnellste Fähre zu wählen.
„Die Spielerinnen mussten durch Testen und Ausprobieren herausfinden, welche Fähren am besten sind“, erklärt Nori Jacoby, Forschungsgruppenleiter am Max-Planck-Institut für empirische Ästhetik (MPIEA) und Co-Seniorautor der Studie. „Indem wir die Teilnehmerinnen Bewertungen abgeben ließen, haben wir eine kollektive Anstrengung daraus gemacht. Denn so wussten andere Spielerinnen schneller, welche Fähre für sie die beste ist.“
Das Team sammelte Daten von insgesamt 721 Teilnehmerinnen während des Spielens. Dabei stellten die Forscher fest, dass einige Spielerinnen und Spieler sehr viele Fähren bewerteten und damit zum Gemeinwohl (in Form des Bewertungssystems) beitrugen, während andere kaum Bewertungen abgaben. Wenn die Spielerinnen jedoch Münzen für die Abgabe von Bewertungen erhielten, erhöhte sich der Anteil derjenigen, die Bewertungen abgaben, von durchschnittlich 35 auf 70 Prozent. Dabei wurde deutlich, dass jene, die ihre Bewertungen gegen eine Belohnung abgegeben hatten, genauere und damit qualitativ hochwertigere Bewertungen abgaben. Diejenigen, die ihre Bewertungen ohne Belohnung abgaben, bewerteten die Fähren tendenziell ungenauer.
Insgesamt führten die Belohnungen zu deutlich exakteren Gesamtbewertungen, da erstens mehr und zweitens qualitativ hochwertigere Bewertungen miteinbezogen wurden. Jacoby bemerkt hierzu: „Diese Erkenntnis erscheint kontraintuitiv. Man würde eher davon ausgehen, dass die Belohnung von Bewertungen zu einer minderen Qualität derselben führt. Wir haben jedoch genau das Gegenteil festgestellt.“
„Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass wir gerade diejenigen, die sich am wenigsten für das Gemeinwohl einsetzen, aufgrund ihrer herausragenden Fähigkeiten am meisten brauchen“, sagt Dalton Conley, Henry-Putnam-Universitätsprofessor für Soziologie in Princeton und Co-Seniorautor der Studie. Erstautor Ofer Tchernichovski vom Hunter College der City University of New York und Gastwissenschaftler am MPIEA ergänzt: „Unsere Ergebnisse zeigen, wie vielversprechend groß angelegte Online-Experimente sind, denn sie können einen wichtigen Beitrag zum Verständnis komplexer sozialer Strukturen leisten.“
Den Forschenden zufolge kann die Abgabe von Bewertungen in dem Spiel als pro-soziale Handlung angesehen werden, da alle davon profitieren. In der realen Welt beeinflussen ähnliche Verhaltensweisen öffentliche Güter wie Online-Bewertungssysteme, Forstwirtschaft oder sogar den Klimawandel. Co-Autor Seth Frey von der University of California kommt zu dem Schluss: „Unsere Ergebnisse könnten für Online-Plattformen oder Bekleidungshändler von Bedeutung sein, denn sie erhielten nicht nur mehr, sondern auch genauere Produktbewertungen, wenn sie Online-Bewertungen belohnen würden. Und das wiederum käme allen zugute.“
Jens Beckert analysiert in seinem Buch „Verkaufte Zukunft“, warum der Kampf gegen die Klimakrise an den Prioritäten von Wirtschaft, Politik und Gesellschaft zu scheitern droht
Jens Beckert, Direktor am Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung, skizziert in diesem Essay, warum die Sozialwissenschaften einen wichtigen Beitrag zur Bewältigung der Klimakrise leisten
Soll die staatliche Förderung von Kunst und Wissenschaft von einem Bekenntnis zur Demokratie oder gegen Antidiskriminierung abhängig werden? Nein, meinen Max-Planck-Rechtsexperten.