Klappe für den Quantenfilm

3. Oktober 2023

Elektronen kitten die Welt zusammen: Wenn in chemischen Reaktionen neue Substanzen entstehen, spielen sie die Hauptrolle. Und auch in der Elektronik stellen sie die Protagonisten. Ferenc Krausz, Direktor am Max-Planck-Institut für Quantenoptik in Garching, und seine Mitarbeiter lichten die rasanten Bewegungen der Elektronen mit Attosekundenblitzen ab und schaffen so die Basis für neue technische Entwicklungen. Jetzt hat Ferenc Krausz für die Pionierarbeiten in der Attosekundenphysik gemeinsam mit Pierre Agostini von der Ohio State University (USA) und Anne L’Huillier von der Universität Lund (Schweden) den Nobelpreis für Physik 2023 erhalten.

Text: Roland Wengenmayr

Der schwarze Vorhang hebt sich: Wie auf einer Bühne liegt unter uns, etwa so groß wie eine Schulturnhalle, ein Reinraum, nahezu komplett ausgefüllt mit einer Laseranlage. Hier laufen starke Laserstrahlen durch die Luft und erzeugen Femtosekunden-Lichtpulse, die nur einige Millionstel einer Milliardstel Sekunde dauern. Die Anlage ist so empfindlich, dass wir sie nur durch ein Besucherfenster bewundern dürfen. Der unübersichtliche Aufbaue optischer Instrumente bildet den ersten Abschnitt einer Rennstrecke, an deren Ziel die kürzesten Lichtblitze der Welt ankommen. Wir befinden uns in der Abteilung von Ferenc Krausz, Direktor am Max-Planck-Institut für Quantenoptik in Garching.

Die selbst schon sehr kurzen Femtosekunden-Laserpulse reisen durch ein Vakuumrohr in ein Labor einen Stock tiefer. Dieses Labor dürfen wir betreten. Hier entstehen Attosekundenblitze, die noch 1000 Mal kürzer sind als die Femtopulse. In dem Labor fällt eine große Tonne auf, an der die zwei Doktoranden Martin Schäffer und Johann Riemensberger schrauben. Sie erinnert entfernt an eine Kreuzung aus einer XXL-Waschmaschinentrommel und einem alten Taucherhelm. Tatsächlich handelt es sich dabei um eine Vakuumkammer aus massivem Edelstahl. Ihre Panzerfenster gewähren einen Blick auf die Probe, die das Ziel der Attosekunden-Lichtblitze markieren.

Schäffer und Riemensberger gehören zum Garchinger Team von Reinhard Kienberger, der auch Physikprofessor an der TU München ist. Neben ihnen forschen über hundert Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in der Abteilung von Ferenc Krausz. Der Pionier der Attosekundentechnik zieht junge Nachwuchsforscher aus aller Welt an, die extrem schnelle Prozesse der Natur beobachten wollen.

Krausz ist also der perfekte Adressat, um ein Gefühl dafür zu geben, wie schnell eine Attosekunde verstreicht. Rein mathematisch ist eine Attosekunde ein Milliardstel einer Milliardstel Sekunde. Doch selbst der Physiker Krausz findet dieses Zahlenspiel unanschaulich. Also sucht er nach griffigen Vergleichen. „Das Schnellste, was wir kennen, ist Licht“, steigt er ein: „In einer Sekunde kann es die Erde ungefähr achtmal umrunden.“ Doch obwohl Licht so schnell sei, käme es innerhalb einer Attosekunde gerade mal von einem zum anderen Ende eines einzigen Wassermoleküls! Ein Wassermolekül ist mit einem Durchmesser von nur 0,3 Nanometern unfassbar winzig, denn bei einem Nanometer handelt es sich um den millionsten Teil eines Millimeters. Nano kommt vom altgriechischen Wort für Zwerg. Und genau darum geht es in der Attosekunden-Forschung: Extrem zwergenhafte Quantenobjekte, die sich unglaublich schnell bewegen.

Eine Hochgeschwindigkeitskamera für Elektronen

Wer die Motivation von Wissenschaftlern wie Ferenc Krausz im historischen Kontext verstehen will, landet beim Pferd. Jahrhundertelang gab es Streit über die Frage, ob es beim Galopp alle vier Hufe vom Boden löse oder nicht. Generationen von Malern haben sich dieser Thematik gewidmet. Eadweard Muybridge hat das Rätsel gelöst: Ja, für einen kurz springt das Pferd.

Muybridge gelang es 1878, alle Phasen des Pferdegalopps erstmals in schnellen Schnappschüssen einzufrieren. Seitdem haben Hochgeschwindigkeitsaufnahmen von Vorgängen, die zu schnell für unser Auge ablaufen, unser Wissen erheblich erweitert. In den Naturwissenschaften ist die Entschlüsselung ultraschneller Prozesse im Reich der Atome und Elementarteilchen sogar essenziell.

Im Fokus der Garchinger Attosekundenforschung steht das Elektron. „Es kommt praktisch überall vor“, sagt Krausz und weist damit auf die Übermacht dieses negativ geladenen Elementarteilchens hin. Obwohl Elektronen selbst aus der Perspektive der Nanowelt extrem klein sind, kitten sie als Quantenkleber die Atome zur Materie in den vielfältigen Formen unserer Welt zusammen. Elektronen übernehmen überdies die Hauptrollen in chemischen Reaktionen, weil neue Substanzen stets dadurch entstehen, dass sie zwischen verschiedenen Atomen verschoben werden. Allerdings agieren die Elementarteilchen dabei so schnell, dass sich ihr Treiben bis vor Kurzem nicht direkt verfolgen ließ.

Für die Forschung waren Elektronen also lange wie Hütchenspieler, die Zuschauer mit Schnelligkeit austricksen. Die Quantenmechanik kann ihr Verhalten zwar theoretisch beschreiben, allerdings vor allem die Anfangs- und Endsituation der elektronischen Hütchenspiele. Das galt lange auch für Experimente: Das eigentliche Spiel der Elektronen blieb verborgen. Diese Wissenslücke war nicht nur aus Sicht der Grundlagenforschung unbefriedigend, sie behindert zudem bis heute neue Entwicklungen für die Praxis. Ein Beispiel bilden Katalysatoren, die chemische Reaktionen effizienter ablaufen lassen. Systematisch lässt sich das jeweils beste Material für die chemische Hilfestellung nur identifizieren, wenn Forscher verstehen, wie genau ein Katalysator den Elektronentransfer beeinflusst.

Livebilder von chemischen Reaktionen

Als in den 1970er-Jahren die Laser immer leistungsfähiger wurden, kam deshalb eine bestechende Idee auf: Vielleicht ließen sich mit extrem kurzen Laserpulsen Schnappschüsse von chemischen Reaktionen aufnehmen, so wie einst Muybridge die Phasen des Pferdegalopps ablichtete. „Aus zu verschiedenen Zeiten aufgenommenen Einzelbildern kann man dann einen Film erstellen, der den genauen Ablauf der Reaktion zeigt“, erklärt Krausz.

Mit diesem Ansatz entstand ein neues Forschungsgebiet; es basiert auf einer Methode, die Pump-Probe-Verfahren heißt. Dabei startet ein erster Laserblitz einen Prozess, etwa eine chemische Reaktion, und nach einer bewusst gewählten Wartezeit macht ein zweiter Blitz einen Schnappschuss. Indem die Wissenschaftler die Reaktion wiederholen und die Wartezeit zwischen Pump- und Probe-Laserpuls variieren, erhalten sie die Einzelbilder eines Prozesses. Diese können sie anschließend zu einem Film zusammensetzen.

In den 1990er-Jahren war diese Experimentiertechnik so weit ausgereift, dass sie völlig neue Einblicke in die Natur lieferte. Sie machte erstmals die Bewegung von Atomen in Molekülen sichtbar. Für diese Pionierleistung erhielt der aus Ägypten stammende US-amerikanische Physikochemiker Ahmed Zewail 1999 den Nobelpreis für Chemie.

Wie kommt man an Laserblitze im Röntgenbereich?

Doch gleichzeitig lief die bis dahin rasante Entwicklung hin zu immer kürzeren Verschlusszeiten für die einzelnen Aufnahmen gegen eine Wand. Die Technik konnte zwar Prozesse in Zeitlupe darstellen, die in wenigen Femtosekunden ablaufen. Damit ließen sich nur die Bewegungen von Atomen filmen, nicht aber diejenigen der viel leichteren und schneller agierenden Elektronen. Um sie in Schnappschüssen einzufrieren, brauchte es eine radikal neue Attosekunden-Blitztechnik.

Um die Jahrtausendwende schaffte es Ferenc Krausz, damals noch an der TU Wien, als Erster die Mauer in den Attosekundenbereich hinein zu durchbrechen. Seitdem gelingt es immer besser, das Spiel der Elektronen zu filmen. Damit entstand ein neues Forschungsgebiet. Inzwischen nehmen die Garchinger Aufnahmen aus der rasanten Elektronenwelt. Doch warum gab es diese technische Hürde der Ultrakurzzeitforschung?

„Das hat mit der Farbe des Lichts, also seiner Wellenlänge, zu tun“, erklärt Krausz. Ein Lichtpuls kann erst dann durch den Raum wandern, wenn er mindestens einen Wellenberg und ein Wellental umfasst. Nur Pulse aus einem solchen vollständigen Wellenzug sind in sich so stabil, dass sie ihren Weg vom Laser zur Probe zurücklegen, ohne völlig zu zerfließen. Sobald ein Wellenzug aber in eine Zeitspanne von einigen Attosekunden gequetscht werden soll, muss seine Wellenlänge kurz genug sein.

„Für Pulse mit einer Dauer unterhalb einer Femtosekunde braucht man schon extrem ultraviolettes Laserlicht“, sagt Krausz, „zur Erzeugung noch kürzerer Pulse führt an Röntgenlicht kein Weg vorbei.“ Und genau dies war das Problem: Es gab lange Zeit keine Laser, die Licht in diesem kurzwelligen Spektralbereich produzieren konnten. Erst in den letzten Jahren dringen sogenannte Freie-Elektronen-Laser dorthin vor. Ihr Nachteil: Sie sind auf kilometerlange Teilchenbeschleuniger angewiesen, also riesige, teure Großforschungsanlagen.

Krausz‘ Idee: Edelgasatome erzeugen ultrakurze Blitze

In den Neunzigern stellte sich Krausz – wie einst Muybridge – der Herausforderung, diese Hürde mit Hilfe der vorhandenen Technik zu nehmen. Muybridge kombinierte seine Plattenkameraungetüme damals zu einer langen Batterie, die von einem vorbeigaloppierenden Pferd nacheinander ausgelöst wurden. So gelang es, jede Phase des Galopps auf einem Foto abzulichten.

Krausz musste mit der Femtosekunden-Lasertechnik auskommen, die zu langwellig war. Er kam auf die Idee, die hochintensiven Laserpulse auf Edelgasatome zu schießen. Das Femtosekunden-Laserlicht rüttelt die Atome durch und zwingt sie, einen Blitz im ultravioletten oder im Röntgenbereich auszusenden. Weil die Atome präzise im Takt des anregenden Femtosekunden-Laserpulses schwingen, hat dieses kurzwellige Licht sogar die reine, perfekte Qualität von Laserlicht. Mit diesem Trick drang Krausz erstmals in den Attosekunden-Bereich vor.

Die Garchinger haben ihre Attosekunden-Anlagen inzwischen immer weiter verbessert. 2004 hielt Krausz’ Gruppe noch mit 650 Attosekunden den Weltrekord für den kürzesten Lichtpuls, heute blitzen die besten Experimente rund zehnmal schneller. „Mit Martin Schultzes Team sind wir hier in Garching jetzt bei 72 Attosekunden angelangt“, sagt Krausz, „aber seit 2012 hält Zenghu Changs Gruppe an der University of Central Florida den Weltrekord mit nur 67 Attosekunden.“ Den Max-Planck-Direktor stört es nicht, dass die Garchinger den Rekord verloren haben – im Gegenteil. „Das zeigt, dass unser Forschungsfeld auf wachsendes Interesse stößt“, freut er sich. Schließlich geht es nicht um Rekorde, sondern um immer feinere Werkzeuge, um die schnellsten Bewegungen im Mikrokosmos zu erforschen.

Einblicke ins Elektronenspiel von Kristallen

Zu den ersten Untersuchungsobjekten der Attosekundenmetrologie oder Attosekundenchronoskopie, wie die Garchinger ihre Technik nennen, gehörten die Bewegungen der Elektronen in einzelnen Atomen und Molekülen. Seit einigen Jahren sind jedoch weitaus komplexere Elektronenwelten in ihren Fokus gerückt: kristalline Festkörper. In vielen anorganischen Materialien ordnen sich die Atome zum regelmäßigen, räumlichen Gitter eines Kristalls an. Kristalle kommen in der Natur vielfältig vor, so bilden auch die für unzählige Anwendungen nützlichen Metalle und Halbleiter Kristalle.

Mit der neuen Attosekundenmesstechnik hat das Team von Reinhard Kienberger  gerade in Echtzeit erfasst, wie Elektronen durch einzelne Atomlagen eines Wolframkristalls flitzen. Diese Passage ist sowohl für die Physik als auch für die Technik von zentraler Bedeutung. Ihre direkte Beobachtung kann helfen, eines Tages wesentlich schnellere elektronische Schaltelemente und Mikroprozessoren zu entwickeln. 

Grundlagenforscher interessieren sich für das komplexe Verhalten der Elektronen in Kristallen, weil die Elementarteilchen darin zwei ganz zentrale Wirkungen haben, die zusammen viele Materieeigenschaften bedingen. So bindet ein Teil der Elektronen die Atome zum Kristallgitter zusammen. Sie formen gewissermaßen den Quantenkitt der Materie. Für die zweite Wirkung sorgen Elektronen, die sich von ihren ursprünglichen Atomen lösen können. Sie flitzen etwa in Metallen einigermaßen frei durchs Kristallgitter und können so elektrischen Strom transportieren. Diese Leitungselektronen haben zudem großen Einfluss auf die mechanischen und optischen Eigenschaften eines Materials und seine Fähigkeit, Wärme zu leiten.

In vielen Kristallen gibt es aber keine Leitungselektronen. Diese Materialien heißen deshalb Isolatoren, ein Beispiel ist Quarz. Zwitter zwischen Isolatoren und elektrischen Leitern stellen die Halbleiter dar. Halbleiter haben als Baustoff der Elektronik unsere Kultur radikal verändert. In ihnen brauchen die Elektronen einen kleinen Schubs, damit sie als Leitungselektronen fließen können. Um dieses Verhalten zu verstehen, muss man die Eigenschaften eines Elektrons als Quantenteilchen betrachten.

Lichtblitze machen Isolatoren leitfähig

Da ein Elektron auch eine elektromagnetische Welle darstellt, besitzt es eine Wellenlänge. Diese mit seiner Bewegungsenergie verknüpft – ein bisschen wie das Geräusch eines Rennwagens mit seiner Motordrehzahl. Wenn ein Elektron sich frei durch ein Kristallgitter bewegen will, dann muss seine Wellenlänge zum räumlichen Raster der Atome passen. Das trifft nur für einen bestimmten Bereich von Wellenlängen – und damit Energie – zu. Dieser Bereich bildet eine Art Autobahn, auf der die Elektronen durch den Kristall rasen können. In diesem Leitungsband fließt bei Metallen immer reger Elektronenverkehr. Bei Halbleitern dagegen hängen auch die beweglichsten Elektronen an ihren Atomen fest. Erst mit einem Energiekick schaffen sie den Quantensprung ins Leitungsband. Das wird zum Beispiel bei Schaltvorgängen in Transistoren genutzt.

Bei Isolatoren allerdings müsste dieser Energiekick so heftig sein, dass er das Material zerreißen würde. Könnte man trotzdem einen Isolator dazu bringen, leitfähig zu sein – und sei es nur für kurze Zeit? Und: Wäre das auch technisch interessant?

Das fragte sich ein Garchinger Attosekundenteam, in dem Elisabeth Bothschafter und Martin Schultze ihre Doktorarbeiten machten. Um eine Antwort zu finden, brauchten die Laserphysiker versierte Experten für Kristalle an ihrer Seite. Diese Festkörperphysiker fanden sie in der Gruppe des Theoretikers Mark Stockman von der Georgia State University in Atlanta, USA. Für den engen Kontakt sorgte der Amerikaner Augustin Schiffrin, der gerade nach Garching gewechselt war, um dort ebenfalls Attosekunden-Experimente zu machen.

Das Forscherteam untersuchte in den Garchinger Labors an Quarz, ob dieser Isolator unter dem Beschuss mit extrem starken Femtosekunden-Lichtblitzen kurzzeitig leitfähig werden kann – ohne zerstört zu werden. Auch der Einfluss der Lichtblitze auf dessen optische Eigenschaften interessierte die Forscher. Diese momentane Veränderung verfolgten sie mit noch kürzeren Attosekundenblitzen.

Attoblitze beleuchten das Geschehen im Kristall

Bothschafter und Schultze entwickelten dafür ein Experiment, für das die Garchinger ihren hausinternen Rekord auf nur 72 Attosekunden Pulsdauer herunterschraubten. Diese Attosekundenblitze schickten die Forscher synchron zu den Femtosekunden-Lichtpulsen auf ihre Probe. Damit verfügten sie über das passende Präzisionswerkzeug, um die genaue Form der verwendeten Femtosekunden-Laserpulse genau abzutasten. Das war entscheidend, um die durch diese Pulse im Quarz verursachte Veränderung richtig zu deuten.

Zudem analysierten die Physiker mit den Attoblitzen in Echtzeit, was in der nur knapp 200 Nanometer dünnen Quarzprobe unter dem Lichtbeschuss im Detail passierte. Dort erzeugte der intensive Femtosekunden-Laserpuls, bei dem es sich um eine elektromagnetische Welle handelt, für ein extrem starkes elektrisches Feld. Martin Schultze vergleicht es mit dem Feld einer Überland-Hochspannungsleitung, das zwischen zwei Elektroden anliegt, die nur wenige Tausendstel Millimeter voneinander entfernt sind. Jedes bekannte Material würde dabei sofort verdampfen.

Der Quarz überlebte dieses elektrische Inferno allein deshalb, weil es in ihm nur für wenige Femtosekunden tobte. Er war schlicht zu träge, um es zu bemerken. Bevor seine Atome auseinanderdriften konnten, war es längst vorbei. Allerdings sah es bei den Elektronen anders aus. Einige von ihnen folgten dem Feld des Femtosekunden-Pulses wie Hunde an der Leine. Sie erzeugten somit vorübergehend einen elektrischen Strom im Quarz, der am Ende des Femtosekunden-Blitzes sofort wieder abklang. Danach war der Quarz wieder ein normaler Isolator.

„Die Leitfähigkeit lässt sich also mit dem Lichtpuls in der unvorstellbar kurzen Zeitspanne von wenigen Femtosekunden nicht nur an-, sondern auch wieder ausschalten“, sagt Krausz. Letzteres war entscheidend, denn das passiert in Halbleitern nicht.

Mögliche Anwendung in ultraschnellen Mikroprozessoren

Stockmans Gruppe zeigte, dass die Elektronen sich dabei nach einem völlig anderen Mechanismus bewegen als in Halbleitern. Dort lassen sie sich zwar auch innerhalb von Femtosekunden ins Leitungsband kicken. Aber dann verharren sie darin aus Sicht der Attosekundenphysik eine Ewigkeit, nämlich ungefähr tausend bis zehntausend Mal länger als eine Femtosekunde. Im Quarz jedoch folgen die Elektronen unmittelbar dem elektrischen Lichtfeld von ihren Atomen weg und springen ebenso rasch wieder zurück, sobald das Feld abklingt. Die Forscher erhielten auf diese Weise also einen elektrischen Schalter, der extrem schnell, nämlich innerhalb von Femtosekunden wirkt.

Die Garchinger Physiker und ihre Kooperationspartner widmen sich diesen Vorgängen zunächst als Grundlagenforscher, und sie haben dabei etwas völlig neues aufgespürt: So einen exotischen Zustand hat zuvor noch niemand in einem Isolator erzeugt. Langfristig könnte diese Entdeckung aber auch die Elektronik revolutionieren. Das relativ träge Verharren der Elektronen im Leitungsband von Halbleitern begrenzt nämlich die Geschwindigkeit, mit der herkömmliche Transistoren schalten können. Im Labor kommen konventionelle Transistoren mit extrem kleinen Nanostrukturen zwar schon auf hundert Milliarden Schaltungen pro Sekunde. Das ist grob eine Größenordnung schneller als die heute etablierten Computer-Mikroprozessoren.

„Mit unserer Entdeckung wären aber nochmals um den Faktor Zehntausend schnellere Schaltzeiten möglich“, bilanziert Krausz. Damit könnten Computer ungeheure Datenmengen in Echtzeit verarbeiten. Allerdings müsste es dazu auch gelingen, die metergroßen Kurzpulslaser, die den Schaltvorgang antreiben, zu miniaturisieren. „Deshalb – und auch aus einigen anderen Gründen – ist das derzeit erst einmal eine spannende Zukunftsperspektive“, betont Krausz.

Für ihn als Max-Planck-Wissenschaftler steht der Erkenntnisgewinn im Fokus. Mit der neuen Attosekunden-Messtechnik hat das Team von Reinhard Kienberger gerade in Echtzeit erfasst, wie Elektronen durch einzelne Atomlagen eines Kristallgitters flitzen. Diese „Reise“ ist für Physik und Technik von zentraler Bedeutung. Die direkte Beobachtung kann entscheidend helfen, eines Tages wesentlich schnellere elektronische Schaltelemente und Mikroprozessoren zu entwickeln.

Dieser Text ist erstmal in der MaxPlanckForschung 01/2015 erschienen.

 

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