Per Mausklick durch das Fischgehirn
Detaillierter Online-Atlas erfasst Genexpression im Zebrafischgehirn
Bei einer Reise durch unbekanntes Gebiet sind Karten sehr nützlich. Auch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler verlassen sich auf Karten, wenn sie den komplexen Aufbau des Gehirns verstehen wollen. Forscher am Max-Planck-Institut für biologische Intelligenz haben nun einen neuen Kartensatz für das Zebrafischgehirn erstellt. Sie bestimmten die Aktivität hunderter Gene und stellten sie in einem interaktiven Atlas zusammen. Das Online-Tool erlaubt es, sich im Gehirn dieses Wirbeltiers zurechtzufinden, und bietet neue Einblicke in die Funktion und zelluläre Struktur des Gehirns.
Ein komplexes Netzwerk aus Nervenzellen (Neuronen) ermöglicht es Zebrafischen, ihre Umgebung wahrzunehmen, Nahrung oder Artgenossen für die Paarung zu finden, oder Feinden zu entkommen. All diese Zellen besitzen dieselbe genetische Information, erfüllen aber unterschiedliche Funktionen im Gehirn. Die Spezialisierung auf bestimmte Aufgaben wird durch die Genexpression, also das Kopieren der genetischen Information in Boten-RNAs und die Übersetzung in Proteine ermöglicht. Die Genexpression entscheidet über die Gestalt und Verknüpfungen eines Neurons und bestimmt seine Rolle im Verhalten. Neuronen mit ähnlichen Eigenschaften werden zu Nervenzelltypen zusammengefasst, von denen es im Fischgehirn hunderte, wenn nicht sogar tausende, gibt. Im menschlichen Gehirn verhält es sich ähnlich.
Um die Funktionsweise des Gehirns besser verstehen zu können, müssen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler wissen, welche Gene wo exprimiert werden. Die einem bestimmten Verhalten zugrunde liegenden Nervenzelltypen sind jedoch schwer zu entschlüsseln. Karten, die die Genexpression im Gehirn abbilden, können dabei helfen. Die bislang vorhandenen Karten weisen allerdings noch viele weiße Bereiche auf.
„Bisher hatten wir nur bruchstückhafte Kenntnisse über die Genexpression im Zebrafischgehirn“, erklärt Inbal Shainer, Postdoktorandin in der Abteilung von Herwig Baier. „Die Daten hatten eine geringe Auflösung und konnten nicht mit den neuesten Zelltyp- und Hirnstrukturkarten der Fische kombiniert werden. Unsere Arbeit füllt nun diese Lücke.“
Aktive Gene werden sichtbar
Um die weißen Bereiche in den bestehenden Karten mit Informationen zu füllen, verwendete ein Team um Inbal Shainer und Enrico Kuehn ein Verfahren, das die Expression einzelner Gene unter dem Mikroskop sichtbar macht. Da diese Analysemethode hochempfindlich ist, macht sie sogar Unterschiede in der Genexpression einzelner Zellen im gesamten Zebrafischgehirn mit hoher Auflösung sichtbar.
Aus den gewonnenen Daten erstellte das Team für jedes der untersuchten Gene eine Expressionskarte und kombinierte hunderte dieser Karten dann zu einem Atlas. Dieser neue Genexpressionsatlas fügt sich nahtlos in den zuvor entwickelten 'Max-Planck-Zebrafisch-Gehirnatlas' (mapzebrain) ein, der Informationen zu Gehirnstrukturen, Zelltypen und den Verbindungen zwischen Zellen enthält. Aus der Kombination dieser Merkmale und der Genexpression können sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nun ein vollständigeres Bild davon machen, wie das Gehirn des Zebrafisches Informationen verarbeitet.
Indikator für aktive Nervenzellen
Mithilfe der neuen Karten untersuchte das Team beispielsweise, wie Umweltreize die Expression des cfos-Gens im Zebrafischgehirn verändern. Dieses Gen wird in aktiven Nervenzellen exprimiert und kann somit als Indikator für die Nervenzellaktivität genutzt werden. Wenn die Fische Nahrung aufnahmen, beobachteten die Wissenschaftler einen Anstieg der cfos-Genexpression in einem Gehirnbereich, der das Erkennen von Beute ermöglicht und Jagdbewegungen kontrolliert. Außerdem erhöhte sich die cfos-Genexpression in einer Gruppe von Zellen, die mit dem lateralen Hypothalamus verbunden sind. Diese Gehirnregion vermittelt vermutlich das Gefühl von Hunger oder Sättigung. „Durch das Einbinden der Genexpression in den mapzebrain-Atlas haben wir bereits erste spannende Erkenntnisse gewonnen. Weitere Experimente werden zeigen, ob die von uns beobachteten aktiven Zellen tatsächlich ein Sättigungssignal auslösen“, sagt Enrico Kuehn, Molekularbiologe in Herwig Baiers Abteilung.
Der Zebrafisch-Atlas ist ein kostenloses Online-Tool und wird von der Forschungscommunity laufend mit neuen Datensätzen erweitert. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler können die Karten online einsehen und analysieren, sie auf ihre Geräte herunterladen oder den Atlas mit Auswertungsprogrammen verbinden.
Die Forscher in der Abteilung von Herwig Baier sind optimistisch, dass der mapzebrain-Atlas weiter wachsen wird. Zusätzliche Gene und detailliertere Gehirnzell-Karten sollen bald hinzugefügt werden. Als nächstes will das Team Informationen über neuronale Schaltkreise einbeziehen, die kürzlich mithilfe der Elektronenmikroskopie gewonnen wurden. „Die Kombination verschiedener Datensätze ermöglicht es der Zebrafisch-Community, völlig neue Einblicke in die genetischen Grundlagen der Gehirnfunktion zu gewinnen. So können wir besser verstehen, wie sich Gehirne entwickeln und wie sie funktionieren“, sagt Inbal Shainer.