Schlanker Stahl - fest und sicher
Ein Werkstoff aus wenigen gut verfügbaren Komponenten ist sehr zugfest und trotzdem stark verformbar
Die Entwickler von Stählen müssen sich bislang entscheiden: Entweder sie erhöhen die Zugfestigkeit des Werkstoffs und nehmen dafür gewöhnlich in Kauf, dass ihr Material relativ spröde wird. Oder sie setzen darauf, dass sich der Stahl stark dehnen lässt und so etwa bei einem Unfall viel Energie aufnimmt, dann leidet die Festigkeit. Wollen sie beide Eigenschaften optimieren, müssen sie bislang viele, oft teure und schlecht verfügbare Elemente, in den Stahl mischen und diesen aufwendig verarbeiten. Nun hat ein internationales Team, an dem auch Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Eisenforschung beteiligt waren, einen Ausweg aus dem Dilemma gefunden. Sie haben einen Stahl entwickelt, der wenige relativ gut verfügbare Elemente enthält und sowohl sehr zugfest als auch verformbar ist. Der Werkstoff kann doppelt so viel Energie aufnehmen wie heute gängige Stähle und könnte daher etwa in Automobilen Anwendung finden.
Fahrzeuge, Gebäude, Infrastrukturen - alles unvorstellbar ohne Stähle. Allerdings muss der eingesetzte Stahl je nach Anwendung ganz unterschiedliche Eigenschaften aufweisen. Deshalb gibt es etwa 2500 Stahlsorten auf dem Markt, und es werden ständig neue entwickelt oder vorhandene Stahlsorten optimiert. Materialwissenschaftlerinnen und -wissenschaftler versuchen gegenwärtig vor allem drei Eigenschaften zu optimieren: Nachhaltigkeit, Festigkeit und Verformbarkeit. Gleichzeitig müssen sie die Herstellungskosten und die industrielle Anwendbarkeit der entwickelten Stähle berücksichtigen und von kritischen Legierungselementen Abstand nehmen, also chemisch schlanke Legierungen entwickeln, die mit preiswerten und nachhaltigeren Elementen auskommen. Ein Forschungsteam, hauptsächlich von der chinesischen Northeastern University und vom Düsseldorfer Max-Planck-Institut für Eisenforschung, hat nun mithilfe eines neuen Ansatzes die Eigenschaften von Mittelmanganstählen verbessert, die relativ wenig teures Mangan enthalten, dafür aber gewöhnlich in puncto Zugfestigkeit und Duktilität keine Optimum erreichen. Das Team veröffentlichtedie aktuellen Ergebnisse in der Fachzeitschrift Science.
„Ultrahochfeste Stähle werden zum Beispiel bei sicherheitsrelevanten Bauteilen in Kraftwerken, Flugzeugen, Industrieanlagen oder auch in der Autokarosserie verwendet. Dort müssen die Stähle fest sein, aber gleichzeitig auch eine hohe Energie im Falle einer Verformung aufnehmen können“, erklärt Dierk Raabe, Direktor am Max-Planck-Institut für Eisenforschung. „Je mehr Energie aufgenommen wird, desto mehr wird der Aufprall abgeschwächt und die Insassen bleiben geschützt.“ Festigkeit und Duktilität, also die Verformbarkeit, die die Energieaufnahmekapazität beeinflusst, lassen sich allerdings nur bedingt vereinen. So erreichen sogenannte martensitaushärtende Stähle eine sehr hohe Festigkeit von zwei Gigapascal, sie lassen sich gut verarbeiten und werden etwa für hitzestabile Werkzeuge verwendet. Sie sind jedoch relativ spröde, also nicht gut dehnbar, und enthalten teure und nur begrenzt verfügbare, wenig nachhaltige Legierungselemente wie Kobalt, Nickel, Molybdän oder Titan. Dualphasen-Stähle dagegen bestehen im Wesentlichen aus einer gut verformbaren Komponente, enthalten aber Inseln aus einem Material namens Martensit, das die Festigkeit erhöht. Daher weisen solche Stähle eine ähnliche Festigkeit auf, können aber um mehr als 15 Prozent gedehnt werden. Allerdings ist ihre Verarbeitung kompliziert und damit kostspielig, und sie verformen sich unregelmäßig. Alle verwendeten ultrahochfesten Stähle haben eine Gemeinsamkeit: Ihr Martensitgefüge wird auf der Mikroebene nicht gezielt strukturiert. Das Gefüge erhöht zwar die Festigkeit, verringert aber aufgrund der fehlenden Struktur die Duktilität des Materials.
Die Verarbeitung optimiert die Mikrostruktur
„Unsere Designstrategie beschäftigt sich mit genau dieser Schwachstelle: der Struktur des Martensits. Durch mehrmaliges Schmieden, einer Behandlung unter kryogenen Bedingungen und Vergütung konnten wir zahlreiche Mikromechanismen aktivieren, die das Material stärken und duktiler machen“, erklärt Raabe. So erreicht der neue Mittelmanganstahl eine Zugfestigkeit von 2,2 Gigapascal und lässt sich dennoch um 20 Prozent dehnen.
Wie sich die einzelnen Schritte der Verarbeitung auf die Struktur des Materials auswirken und welche Ordnung sich dabei auf atomarer Ebene ergibt, analysierten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mithilfe der Transmissions- und Rasterelektronenmikroskopie sowie Atomsondentomographie. Demnach verändert die Verarbeitung zum einen die Mikrostruktur des Materials und bewirkt zum anderen, dass es lamellenartig gefaltet wird. „Das lamellenartige Gefüge erinnert an einen typischen Damaszenerstahl, der durch Faltung und Kombination verschiedener Eisenlegierungen an Festigkeit gewinnt“, sagt Raabe. Der neuen Stahl enthalte dagegen nur eine Legierung, weise in seiner Struktur aber eine ähnliche hierarchische Ordnung auf. Die besondere Mikrostruktur lässt sich dem Material dabei mit gängigen industriellen Verfahren geben. Daher wird das Team nun versuchen, auch andere Legierungen durch eine solche Verarbeitung fester und duktiler zu machen.
Yasmin Ahmed Salem