Veränderte Blutzellen könnten zu Long Covid führen

Eine Coronainfektion verändert die biomechanischen Eigenschaften von roten und weißen Blutkörperchen teils monatelang

28. Juni 2021

Für die Ursachen von Long Covid gibt es jetzt einen stichhaltigen Verdacht: Wie Forscherinnen und Forscher des Max-Planck-Zentrums für Physik und Medizin in Erlangen festgestellt haben, verändert eine Covid-19-Erkrankung die Größe und Steifigkeit roter und weißer Blutkörperchen deutlich – zum Teil über Monate hinweg. Diese Erkenntnisse können zu erklären helfen, warum manche Betroffene noch lange nach einer Infektion über Beschwerden klagen.

Atemnot, Müdigkeit und Kopfschmerzen: Manche Patientinnen und Patienten kämpfen nach einer schweren Infektion durch das Coronavirus Sars-CoV-2 noch nach einem halben Jahr und länger mit Langzeitfolgen der Erkrankung. Dieses Post-Covid-19-Syndrom, kurz Long Covid, ist noch immer nicht richtig verstanden. Klar ist, dass im Zuge einer Erkrankung oft die Blutzirkulation beeinträchtigt ist, es zu gefährlichen Gefäßverschlüssen kommen kann und der Sauerstofftransport im Blut nur eingeschränkt funktioniert. Alles Phänomene, bei denen die Blutzellen und ihre physikalischen Eigenschaften eine Schlüsselrolle spielen.

Daher hat ein Team um Markéta Kubánková, Jochen Guck und Martin Kräter vom Max-Planck-Zentrum für Physik und Medizin, dem Max-Planck-Institut für die Physik des Lichts, der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg sowie dem Deutschen Zentrum für Immuntherapie die mechanischen Zustände von roten und weißen Blutkörperchen untersucht. „Dabei haben wir deutliche und langanhaltende Veränderungen der Zellen messen können – während einer akuten Infektion und auch noch danach“, sagt Jochen Guck, Direktor am Max-Planck-Institut für die Physik des Lichts. Das habe Folgen für Diagnose und Behandlung von Covid-19.

Um die Blutzellen zu analysieren, nutzen sie ein selbst entwickeltes Verfahren namens Echtzeit-Verformungszytometrie (real-time deformability cytometry, RT-DC). Bei dieser Methode schicken die Forscherinnen und Forscher die Blutzellen durch einen engen Kanal. Dabei werden die Leukozyten und Erythrozyten gestreckt. Eine Hochgeschwindigkeitskamera fotografiert jede einzelne von ihnen durch ein Mikroskop. Eine Software ermittelt, um welche Zelltypen es sich handelt, wie groß und wie stark verformt sie sind. Bis zu 1000 Blutkörperchen lassen sich so pro Sekunde analysieren. Vorteil des Verfahrens: Es ist schnell und die Zellen müssen nicht aufwändig angefärbt werden.

Ein Frühwarnsystem für Pandemien durch unbekannte Viren

Auf diese Weise hat das Erlanger Team mehr als vier Millionen Blutzellen von 17 akut an Covid-19 erkrankten Patient*innen, von 14 Genesenen und 24 Gesunden als Vergleichsgruppe untersucht. Dabei zeigte sich, dass beispielsweise die Größe und Verformbarkeit der roten Blutkörperchen von Erkrankten stärker schwankte als die von Gesunden. Das deutet auf eine Schädigung dieser Zellen hin und könnte das erhöhte Risiko von Gefäßverschlüssen und Embolien der Lunge erklären. Zudem kann dadurch die Sauerstoffversorgung, die zu den Hauptaufgaben der Erythrozyten zählt, bei Infizierten beeinträchtigt sein. Lymphozyten (Abwehrzellen, die zu den weißen Blutkörperchen zählen) waren bei Corona-Patienten wiederum deutlich weicher, was auf eine starke Immunreaktion hinweisen kann. Ähnliche Beobachtungen machten die Forscher auch bei Neutrophilen Granulozyten, einer weiteren Gruppe weißer Blutkörperchen der angeborenen Immunabwehr. Diese Zellen blieben sieben Monate nach der akuten Infektion drastisch verändert. „Wir vermuten, dass sich das Zellskelett der Immunzellen, welches maßgeblich für die Zellfunktion verantwortlich ist, verändert hat“, erklärt Markéta Kubánková, Erstautorin des Forschungsartikels. Aus ihrer Sicht hat die Echtzeit-Verformungszytometrie das Potenzial dazu, routinemäßig bei der Diagnose von Covid-19 eingesetzt zu werden – und sogar als Frühwarnsystem vor künftigen Pandemien durch noch unbekannte Viren zu dienen.

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