Erbgut aus Höhlensedimenten aus dem Pleistozän
Forschende rekonstruieren 300,000 Jahre Besiedlungsgeschichte der Denisova-Höhle anhand von DNA aus Sedimenten
In der bisher umfangreichsten Studie von Sediment-DNA ist es Max-Planck-Forschenden gelungen neue Details über die Besiedlung der Denisova-Höhle durch archaische und moderne Menschen zu rekonstruieren. Die Forschenden entdeckten im Höhlenstaub Erbgutreste von Neandertalern und Denisovanern und erstmals auch DNA von modernen Menschen, die sie zuerst in archäologischen Schichten fanden, die dem frühen Jungpaläolithikum zugerechnet werden, das vor etwa 45.000 Jahren begann. Zusätzlich dokumentiert die Studie die Anwesenheit verschiedener anderer Säugetierarten, darunter Bären und Hyänen, die in der Gegend Kalt- und Warmzeiten durchlebten.
Die Denisova-Höhle befindet sich im Altai-Gebirge in Südsibirien und ist für die Entdeckung der Denisovaner bekannt, einer ausgestorbenen archaischen Menschenform, die in der Vergangenheit wahrscheinlich weite Teile Zentral- und Ostasiens besiedelt hat. In der Höhle wurden außerdem Überreste von Neandertalern sowie ein Knochen gefunden, der dem Kind einer Neandertalerin und eines Denisovaners gehört hatte. Beide Menschengruppen scheinen also in dieser Region aufeinandergetroffen zu sein. Bisher konnten aber nur acht Knochenfragmente und Zähne von Neandertalern und Denisovanern geborgen werden. Sie reichen zahlenmäßig nicht aus, um die 300.000-jährige Besiedlungsgeschichte der Denisova-Höhle im Detail zu rekonstruieren oder die verschiedenen Arten von Steinwerkzeugen und anderen in der Höhle ausgegrabenen Gegenständen bestimmten Homininengruppen zuzuordnen. So hatte etwa die Entdeckung von Werkzeugen und Schmuck, die dem frühen Jungpaläolithikum und einem Alter von ca. 45.000 Jahren zugeordnet wurden, zu Debatten darüber geführt, ob Denisovaner, Neandertaler oder moderne Menschen die Schöpfer dieser Artefakte waren.
Die örtlichen Archäologen unter Leitung von Michael Shunkov (Russische Akademie der Wissenschaften) stellten daher ein interdisziplinäres Team aus Archäologen, Genetikern, Geochronologen und weiteren Wissenschaftlern zusammen, um diese einzigartige Fundstätte zu untersuchen. Das Team hat nun die bisher umfangreichste Untersuchung von in Höhlenstaub enthaltener DNA durchgeführt. „Die Analyse von Erbgut aus Sedimenten bietet uns die einzigartige Möglichkeit, Erkenntnisse über das Alter von Sedimentschichten mit molekularen Belegen zur Anwesenheit von Menschen und Tieren zu kombinieren“, sagt Richard Roberts von der University of Wollongong in Australien. Das von ihm und Zenobia Jacobs geleitete Team von Geochronologen sammelte mehr als 700 Sedimentproben aus den freigelegten Sedimentprofilen in der Höhle. „Allein das Sammeln der Proben aus allen drei Kammern der Höhle und die Dokumentation des genauen Fundorts einer jeden Probe hat uns mehr als eine Woche gekostet“, sagt Jacobs.
Erbgut-Spuren im Höhlenboden
Nachdem diese umfangreiche Probensammlung im Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig eingetroffen war, extrahierte und sequenzierte Elena Zavala, die Hauptautorin der Studie, zwei Jahre lang im Labor aus den Proben kleinste Spuren mitochondrialer DNA von Frühmenschen und Tieren. „Diese Anstrengung hat sich gelohnt, denn es ist uns gelungen, in 175 Proben Erbgut von Denisovanern, Neandertalern oder frühen modernen Menschen nachzuweisen“, sagt Zavala.
Beim Abgleich der DNA-Profile mit dem Alter der Sedimentschichten stellten die Forschenden fest, dass die älteste Homininen-DNA von Denisovanern stammte. Sie waren es also vermutlich, die vor 250.000 bis 170.000 Jahren die ältesten Steinwerkzeuge dieser Fundstätte hergestellt haben. Gegen Ende dieses Zeitraums tauchten die ersten Neandertaler auf, danach besuchten sowohl Denisovaner als auch Neandertaler die Höhle. Für den Zeitraum zwischen vor 130.000 bis vor 100.000 Jahren konnten die Forschenden allerdings lediglich Neandertaler-DNA finden und keine Spuren von Denisovaner-DNA. Die Denisovaner, die nach dieser Phase in der Höhle auftauchten, hatten eine andere mitochondriale DNA und gehörten wahrscheinlich zu einer anderen Denisovaner-Population, die in der Region ansässig wurde.
Neue Werkzeuge
Mitochondriales Erbgut von modernen Menschen taucht erstmals in den Sedimentschichten auf, die Werkzeuge und andere Objekte aus dem frühen Jungpaläolithikum enthalten. Diese Gegenstände sind viel diverser als die aus älteren Schichten. „Das belegt nicht nur, dass moderne Menschen sich an diesem Ort aufgehalten haben, sondern zeigt auch, dass sie neue Technologien mit in die Region brachten“, sagt Zavala.
Weiterhin untersuchten die Wissenschaftler von Tieren stammendes Erbgut und konnten zwei Zeitabschnitte identifizieren, in denen sowohl bei den Tier- als auch den Homininen-Populationen Veränderungen auftraten. Der erste Zeitabschnitt vor etwa 190.000 Jahren fiel mit einem Wechsel von relativ warmen (interglazialen) hin zu relativ kalten (glazialen) klimatischen Bedingungen zusammen. Während dieser Zeit veränderten sich die Hyänen- und Bärenpopulationen und die Neandertaler tauchten erstmals in der Höhle auf. Die zweite große Veränderung fand vor 130.000 bis 100.000 Jahren statt, als sich die klimatischen Bedingungen wieder änderten – diesmal von relativ kalt zu relativ warm. Während dieser Periode waren keine Denisovaner vor Ort und die Tierpopulationen veränderten sich erneut.
„Ich glaube, dass unsere russischen Kollegen, die die Ausgrabungsarbeiten an dieser erstaunlichen Fundstätte durchführen, mit ihrer sorgfältigen Probennahme den Maßstab für viele zukünftige archäologische Ausgrabungen gesetzt haben“, sagt Svante Pääbo, der die Studie zusammen mit dem russischen Team initiiert hat. „Die Möglichkeit über Sedimente genetische Daten von einer archäologischen Stätte in einer solchen Dichte zu generieren, lässt einen Traum wahr werden“, sagt Matthias Meyer, der die DNA-Analysen leitete. “In den Sedimenten sind so viele Information versteckt, dass sie uns und viele andere Genetiker ein Leben lang beschäftigen werden.“
SJ/MM