Cholesterin-Recycling unterstützt die Reparatur von Myelin

Gestörter Umgang mit Cholesterin im Gehirn legt körpereigene Reparaturmechanismen lahm

21. Dezember 2020

Dass die Ablagerung von Cholesterin entlang von Blutgefäßen schädlich sein kann, ist von Erkrankungen wie Arteriosklerose seit langem bekannt. Ähnliche Probleme treten bei Erkrankungen des Gehirns wie der Multiplen Sklerose auf. Hier kommt es zu Defekten bei der Erneuerung von Cholesterin-reichen Myelinscheiden. Das normale Recycling von Cholesterin aus defekten Myelinscheiden durch Fresszellen ist gestört. Dies führt zur Bildung von sogenannten Schaumzellen, die an Überfüllung mit aufgenommenem Cholesterin quasi „ersticken“. Bisher war nicht bekannt, was die Fresszellen daran hindert, das aufgenommene Cholesterin wieder zur Verfügung zu stellen. Wissenschaftler am Max-Planck-Institut für experimentelle Medizin in Göttingen unter Leitung von Gesine Saher haben herausgefunden, dass paradoxerweise die Bildung von Cholesterin in den Fresszellen diesen Recyclingprozess maßgeblich bestimmt. Die pharmakologische Unterstützung der Cholesterinsynthese verbessert die Regeneration von Läsionen im Gehirn von Mäusen, was zur Therapie von Myelinerkrankungen wie der Multiplen Sklerose genutzt werden könnte.

Wie bei einer Perlenkette ummanteln und isolieren die Cholesterin- und lipidreichen Myelinscheiden Nervenfasern, um so eine schnelle und effiziente Impulsweiterleitung zu ermöglichen. Perlenketten können kaputtgehen, das kann jedem einmal passieren. Schlimm wird es erst, wenn die wertvollen Perlen, die gut wiederverwertet werden könnten, den Staubsauger kaputt gemacht haben und auf dem Boden verteilt zum Dauerzustand werden. Eine solche Situation herrscht in chronischen Hirnläsionen, in denen die Myelinscheiden dauerhaft verloren gegangen sind. Beim Staubsauger handelt es sich um die Polizisten- und Fresszellen des Gehirns, den sogenannten Mikrogliazellen und engen Verwandten der Makrophagen.

Im Lauf des Lebens müssen immer wieder einzelne Myelinscheiden ersetzt werden. Im normalen Regenerationsprozess nehmen Fresszellen Cholesterin und andere Lipide aus dem defekten Myelin mit dem Ziel auf, diese Stoffe aufbereitet für die Reparatur des Gewebes wieder zur Verfügung zu stellen. „Dieser effiziente Reparaturmechanismus findet im gesunden Körper vermutlich ständig statt“, erklärt Gesine Saher.

Förderung der Cholesterinsynthese unterstützt Cholesterinrecycling

Gesine Saher und ihre Arbeitsgruppe am Max-Planck-Institut für experimentelle Medizin in Göttingen erforschen die Rolle von Cholesterin und anderen Lipiden im Nervensystems unter physiologischen und pathologischen Bedingungen. Zusammen mit einem internationalen Forscherteam aus Göttingen, München, Freiburg, Hamburg, Amsterdam und Glasgow haben sie nun untersucht, wie unterschiedlich die verschiedenen Zelltypen des Gehirns mit Cholesterin während der Regeneration der Myelinscheiden umgehen.

In ihrer Studie schalteten die Forscher die Synthese von Cholesterin in jeweils einem Zelltyp im Gehirn von Mäusen genetisch aus und untersuchten die Auswirkungen auf die Regeneration von Myelinscheiden. Besonders unerwartet verhielten sich die mutanten Tiere mit defekter Cholesterinsynthese in den Fresszellen des Gehirns. Sie konnten zwar noch Cholesterin aus degeneriertem Myelin normal aufnehmen, aber nicht recyceln. Viele Mikrogliazellen wandelten sich in Schaumzellen um und verstarben schließlich am Überfluss an aufgenommenem Cholesterin. Die Regeneration von Myelinscheiden war stark vermindert. „Wir wollten herausfinden, warum Fresszellen aufhören, das aufgenommene Cholesterin wieder zur Verfügung zu stellen“, erklärt Stefan Berghoff, Mitarbeiter von Gesine Saher und Erstautor der Studie.

Wichtig für den Wechsel von degenerativen zu regenerativen Prozessen im Zuge des Abbaus und Wiederaufbaus der Myelinmembranen war besonders ein Zwischenprodukt der Cholesterinsynthese, Desmosterol. „Dieses Vorläufermolekül bewirkte als Signalmolekül nicht nur die Aufbereitung des Cholesterins aus Myelin, sondern sorgte auch für ein pro-regeneratives Milieu“, erklärt Stefan Berghoff. Besonders interessant: Der körpereigene Recyclingprozess der Myelinscheiden konnte durch pharmakologische Unterstützung der Cholesterinsynthese mittels eines frühen Zwischenprodukts der Cholesterinsynthese, Squalen, gefördert werden. „Unsere Ergebnisse in Mäusen enthüllten das Terpen Squalen als einen neuen potenziellen Faktor in der Therapie von Myelinerkrankungen wie Multipler Sklerose", sagt Stefan Berghoff. „Unsere Resultate deuten darauf hin, dass diese Behandlung beim Menschen eine ähnlich positive Wirkung hat wie bei Mäusen“, sagt die Leiterin des Forschungsteams, Gesine Saher.

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