"Ich hoffe, dass mich alle als positiven Ansprechpartner sehen."

Klaus Blaum, der neue Vizepräsident der Max-Planck-Gesellschaft, im Interview

9. Juli 2020

​Klaus Blaum ist seit 2007 Direktor der Abteilung „Gespeicherte und gekühlte Ionen“ am Max-Planck-Institut für Kernphysik in Heidelberg. Schwerpunkte seiner wissenschaftlichen Arbeit sind Präzisionsexperimente an gespeicherten und gekühlten Ionen sowie die Erforschung elementarer Prozesse molekularer Ionen. Für seine Arbeiten erhielt er eine Reihe von Preisen, zuletzt (2016) den Göteborger Lise-Meitner-Preis. 2019 wurde er auswärtiges Mitglied der Physikklasse der Königlich Schwedischen Akademie der Wissenschaften; Blaum ist damit das einzige Mitglied aus Deutschland in dieser Klasse. Im gleichen Jahr erhielt er zum zweiten Mal einen "Advanced Grant" des Europäischen Forschungsrats. Als Vizepräsident ist Blaum ab dem 1. Juli 2020 für die Institute der Chemisch-Physikalisch-Technischen Sektion zuständig. Welchen Aufgaben er sich in seiner Amtszeit widmen möchte, erzählt er im Gespräch.

Sie sind schon mit 35 Jahren zum Direktor berufen worden. Jetzt sind Sie nicht mal 50 Jahre alt und werden schon Vizepräsident. Reichen Ihnen dann drei Jahre im Amt?

Klaus Blaum [lacht]: Oh, das ist eine schwierige Frage. Ich würde das Amt gerne für sechs Jahre ausüben, aber sollte der Präsident in drei Jahren sein Amt beenden, dann würde ich mein Amt ebenso zur Verfügung stellen. Damit hätte die Nachfolgerin oder der Nachfolger des Präsidenten die Möglichkeit, seinen Mitarbeiterstab neu zusammenzustellen. Zudem hätte auch ich gerne die Wahl, unter welchem Präsidenten oder welcher Präsidentin ich Vizepräsident bin.

Das heißt, obwohl Sie noch mitten in Ihrer aktiven Forschung stecken, würden Sie sich nicht scheuen, auch sechs Jahre als Vizepräsident zu amtieren?

Das ist richtig. Liegt aber auch daran, dass ich fest davon überzeugt bin, trotz der großen Aufgabe immer noch Forschung betreiben zu können und das auf einem Niveau, auf dem man mit der Weltspitze mithalten kann. Aber es ist in der Tat so, dass große Konferenzen in meinem Forschungsbereich alle drei oder vier Jahre stattfinden. Verpasse ich eine dieser Konferenzen, fällt das nicht so sehr ins Gewicht. Ein mehrmaliges Fernbleiben schon. Von daher ist – drei oder sechs Jahre – tatsächlich eine berechtigte Frage. Wir reden in drei Jahren noch einmal darüber [lacht].

Dann komme ich auf das Thema Asien, dem Sie sich als Vizepräsident widmen wollen. Momentan gibt es eine sehr ambivalente Berichterstattung in Sachen China – auch Europa ringt mit seinem Kurs im Umgang mit China. Wie gut kennen Sie China und wie schätzen Sie die Situation aus wissenschaftlicher Perspektive ein?

Ich kenne den asiatischen Raum insgesamt sehr gut. Ich habe eine sehr enge Kooperation mit Singapur, seit vielen, vielen Jahren eine sehr enge Zusammenarbeit mit China, aber auch mit Indien und Südkorea. Mit China gibt es seit 15 Jahren einen regen Austausch mit Studierenden bis hin zu Postdocs. Das funktionierte bis jetzt immer sehr gut. Dieser Austausch ist rein wissenschaftlich getrieben. Aber Sie haben natürlich recht, dass vor dem Hintergrund der letzten Meldungen zur Einschränkung der Forschungsfreiheit Vorsicht geboten ist. China ist mit 1,4 Milliarden Einwohnern das größte Land der Erde und hat wissenschaftlich, wenn Sie sich die Publikationen und Zitationszahlen anschauen, jedes andere Land inzwischen überholt. Das heißt, das Land dürfen wir im wissenschaftlichen Zusammenhang nicht ignorieren. Demzufolge möchte ich versuchen, zum Wohl für meine eigene Wissenschaft die Kooperation zu pflegen, aber auch insgesamt ein gutes Bindeglied zwischen der Max-Planck-Gesellschaft und der Chinese Academy of Sciences zu sein.

Es gibt ein reges Interesse von Journalisten an dem Thema Wissenschaftsspionage und es gibt viele Probleme, auf die sozialwissenschaftliche Forscher in China stoßen. Wie wollen Sie damit umgehen?

Sobald ich im Amt bin, möchte ich mit allen Kolleginnen und Kollegen über die drei Sektionen hinweg eine Art „China-Kreis“ einberufen, um darüber zu reden, was deren Erfahrungen sind und wie sie die Lage dort einschätzen. Sowohl hinsichtlich der Geistes- und Sozialwissenschaften, als auch der Biologie, Medizin, Physik und Chemie möchte ich mir gerne einen Gesamtüberblick verschaffen. Die Gefahr von Wissenschaftsspionage oder Einschränkungen der Forschungsfreiheit wird in den verschiedenen Bereichen unterschiedlich sein.

Auch das Thema Technologietransfer und Cyber Valley wird bei Ihnen liegen. Das Cyber Valley ist ein Beispiel, wo Erkenntnisse sehr schnell in die Anwendung gelangen und das Thema Wissenschaftsspionage nicht so fern liegt.

Absolut. Künstliche Intelligenz ist ein Thema, bei dem die Zeitspanne zwischen Grundlagenforschung und Anwendung enorm kurz ist. Hier muss darüber gesprochen werden, in welcher Form Kooperationen möglich sind. Welche Regeln müssen vorher klar definiert werden? Möchte man überhaupt diese Art der Kooperation oder gibt es schon Kooperationen? Und wenn ja, stellt sich die Frage: Wie intensiv sind diese? Das muss genau geklärt werden. Ich bin mir ziemlich sicher, dass es dazu schon zahlreiche Überlegungen gibt. Präsident Stratmann hatte China ja ursprünglich schon für die Frühjahrssitzung des Senats auf die Agenda gesetzt, was jedoch leider verschoben wurde. Wahrscheinlich wird es jetzt im Herbst einen größeren Austausch dazu geben, auch in Zusammenarbeit mit der Industrie.

Mit dem Thema Digitalisierung möchten Sie sich als Vizepräsident aber noch mit Blick auf die eigene Organisation befassen.

Das ist richtig. Eine Aufgabe, die über die üblichen Vizepräsidentenaufgaben hinausgeht und der ich persönlich gerne Zeit widmen würde, ist die „Professionalisierung in der Administration“. Das soll keine Kritik an der jetzigen Administration sein, also den Institutsverwaltungen und der GV, sondern dahinter steckt der Wunsch oder besser der gemeinsame Wille, diese weiterzuentwickeln. Unter Digitalisierung verstehe ich, dass zum Beispiel keine Urlaubsanträge, Dienstreiseanträge, Abrechnungen von Reisekosten etc. mehr auf dem Papier ausgefüllt werden. Das wird im Moment in der MPG mit einem zu hohen Ressourcenaufwand gemacht. Ich habe das für mein Institut einmal ausgerechnet: Wir sprechen hier von 8400 Kopien von Urlaubsanträgen pro Jahr, die gar nicht gemacht werden müssten, wenn man entsprechende Systeme hat, die das digital erledigen. Wollen wir konkurrenzfähig bleiben, müssen wir dieses Thema angehen. Andere Institutionen sind da schon viel weiter – den digitalen Urlaubsantrag gibt es beispielsweise am CERN schon seit 15 Jahren.

Da kommt Ihnen Corona ja vielleicht gerade zu Hilfe – denn die aktuelle Situation treibt auf vielen Ebenen die Digitalisierung.

In der Tat. Wir haben durch Corona gesehen, wie auf einmal Dinge digital umgesetzt werden können, die vorher nicht praktiziert wurden, einfach aus der Not heraus. Trotzdem braucht man natürlich die entsprechenden Programme dahinter, um die Prozesse dann wirklich sauber abzubilden. Ich würde sogar noch weiter gehen: Digitalisierung ist ebenfalls hilfreich, wenn man zum Beispiel einen Antrag einreicht. Stellen Sie sich vor, jeder, der einen Antrag an den Präsidenten stellt, kann zu jedem Zeitpunkt online nachschauen, was der aktuelle Stand ist. Liegt der Antrag beim Vizepräsidenten? Ist er schon in der Begutachtung? Ist die Begutachtung schon abgeschlossen? In welcher Sitzung des Präsidentenkreises wird der Antrag diskutiert? Im Moment bekommt man alle diese Informationen nur auf mehrfache Nachfrage. Da können wir uns besser aufstellen. Es gibt diese Möglichkeiten, aber die MPG schöpft sie noch viel zu wenig aus. MAX mag ein gutes Beispiel dafür sein. Die Institute und die GV nutzen jetzt MAX, aber benutzen sie es auch in der Form, wie sie es benutzen sollten und könnten?

Im Moment sagen die MPI selber, dass der Katalog der Möglichkeiten in MAX größer ist als das, was sie in einem ersten Anlauf schaffen. Es gehört eben auch eine Transformation der Verhaltensweisen dazu und das geht nicht so schnell. Aber das geht nicht nur uns so, sondern auch großen Konzernen.

Eine solche Transformation wird nur von unten heraus funktionieren – das fängt wirklich bei jeder einzelnen Mitarbeiterin und jedem einzelnen Mitarbeiter an, die den Willen dazu haben müssen. Je mehr Entlastung das auf Dauer bringt, desto größer wird die Bereitschaft sein, die Transformation zu stemmen und daran mitzuwirken. Wir können einen solchen Prozess nicht von oben diktieren.

In einem anderen Projekt haben Sie schon einen Mitstreiter gefunden – Herr Lindenberger, der neue Vizepräsident für die GSHS möchte Sie unbedingt beim Thema Nachhaltigkeit unterstützen.

Ich weiß, es gibt inzwischen auch eine Präsidentenkommission zum Thema „Klimaschutz in der Max-Planck-Gesellschaft – geeignete Maßnahmen und deren Priorisierung“, die Frau Rauschek und Herr Bonhoeffer leiten. Daher werde ich zunächst mit beiden in Kontakt treten, denn ich möchte die Präsidentenkommission unterstützen und keine Parallelaktion starten. Legt man die Zahlen auf den Tisch, dann ist die Frage berechtigt, warum wir diese Form der Nachhaltigkeit und Energieeffizienz nicht schon viel früher angegangen sind. Wir haben an meinem Institut vor etwa 10 Jahren eine Energiekommission gegründet. Damals hatten wir jährlich 10 Prozent und mehr Kostensteigerung und mussten einen hohen Anteil unseres Kernhaushalts für Wasser, Strom und Fernwärme aufwenden. Deshalb haben wir geprüft, wo potenzielle Einsparungen möglich sind. Das sind teilweise triviale Dinge gewesen, wie die Reduktion der Fernwärmetemperatur im Sommer, die Installation von Bewegungsmeldern für die Steuerung der Beleuchtung, das Umschalten von Transformatoren, damit die Verlustleistungen geringer werden usw.. Am Ende haben wir Kosten in der Größenordnung von 10 bis 15 Prozent reduziert, das entspricht heute etwa 200.000 Euro im Jahr. Wenn Sie jetzt die Zahlen in der MPG nehmen, dann ist eine Kostenreduktion von ein paar Millionen Euro pro Jahr möglich. Und die kommt den Instituten zugute – das ist die finanzielle Seite. Aber gleichzeitig würden wir damit auch unseren ökologischen Fußabdruck verbessern. Deswegen liegt mir das so am Herzen.

Ein anderes Thema: Es kam jüngst die Hiobsbotschaft, dass es uns wirklich an Lehrernachwuchs in den MINT-Fächern mangelt. Das muss eine Forschungsorganisation wie die MPG doch auch umtreiben?

Absolut. Ich selber gehe im Moment vier- bis fünfmal im Jahr für Vorträge in die Schulen, die Schulen erfahren das über Mundpropaganda und fragen dann selber bei mir an, ob ich Interesse hätte, über meine eigene Arbeit zu berichten. Ich glaube, das müssen wir alle viel mehr tun, um bereits in der Schule Werbung für die MINT-Fächer zu machen. Der Mangel an Frauen in Fächern wie Physik beginnt ja schon in der Schule. Es ist nicht so, dass der erst ganz oben auftaucht. Im Studium sind wir bei einem Frauenanteil von 20 Prozent– bereits da muss man fragen, warum sind wir nicht bei 50 Prozent? Und diese Quote erreichen wir nur, wenn wir noch früher ansetzen. Ich versuche es über die Schulen, in denen ich immer wieder Werbung für unser Fach mache. Ich hoffe, dass jeder Tropfen irgendwann den Stein höhlt, aber in der Gesamtheit funktioniert es nur, wenn alle ihren Beitrag dazu leisten.

Der Nachwuchs ist das eine, die Berufung von Ausnahmewissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern das andere. Ist die MPG in diesem weltweiten Wettbewerb um Top-Leute gut aufgestellt?

Zunächst einmal sind Berufungen natürlich Sektionsgeschäft. Ich glaube aber, dass es uns wieder gelingen muss, zwei, drei neue hochspannende Themen mit großer Sichtbarkeit aufzugreifen und zwar viel schneller, als das in der Vergangenheit der Fall war. Wenn man Themen, wie beispielsweise Quanten-Computing, aufgreifen möchte – und ich bin der Meinung, das ist ein passendes Thema für die Max-Planck-Gesellschaft –, dann braucht man die besten Köpfe, nur dann werden wir ganz vorne mit dabei sein. Es muss uns also gelingen, exzellente Leute mit diesen Themen in die Max-Planck-Gesellschaft zu berufen und zwar auf kurzen Zeitskalen von ein bis zwei Jahren.

Gibt es weitere Punkte, die wir noch nicht angesprochen haben?

Mir ist wichtig zu betonen, dass ich ein Bindeglied zwischen der Sektion, den Direktorinnen und Direktoren und dem Präsidenten und der Generalverwaltung sein möchte. Ich hoffe, dass mich alle als positiven Ansprechpartner sehen. Es gibt viele Aufgaben, die dem Amt zugeordnet sind, aber es gibt auch eine Reihe von Aufgaben – und die sind wir ja durchgegangen –, die ich persönlich gerne weiterverfolgen möchte, weil ich glaube, dass sie die Max-Planck-Gesellschaft insgesamt weiterbringen. Ich hoffe dabei natürlich auf die Unterstützung der Wissenschaftlichen Mitglieder, denn nur dann können die Projekte ein Erfolg werden. Ebenso liegt mir die Zusammenarbeit mit der Generalverwaltung am Herzen. Ich habe zu den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ein so gutes Verhältnis, dass wir auch kritische Themen – und die wird man immer haben – besprechen können. Ich habe es schon gesagt, die Effizienz und Exzellenz in der Administration weiterzuentwickeln, ist mir wichtig. Wir werden auch im Verwaltungsbereich nur sehr gute Leute bekommen, wenn wir damit werben, dass wir die beste Wissenschaft machen. Es ist für die Verwaltung ebenso ein Anreiz, wenn jeder sagen kann, ich arbeite für die Max-Planck-Gesellschaft und das auf höchstem Niveau. Aber dann müssen auch die Arbeitsmittel in der Administration, die wir zur Verfügung stellen, Topniveau haben. Und zum Schluss kann ich sagen: Ich freue mich sehr auf die bevorstehenden Herausforderungen und die Zusammenarbeit mit allen.

Das Interview führte Christina Beck.

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