Bewegungsmuster statt Pixel
Nervenzellen im Auge filtern die Sehinformation – das Gehirn erhält nur verhaltensrelevante Informationen
Unsere Augen registrieren jeden Moment eine Fülle von Sehreizen. Doch nur ein Teil davon wird an das Gehirn weitergeleitet. Forscher vom Max-Planck-Institut für Neurobiologie haben nun herausgefunden, dass das Gehirn von Zebrafischen vor allem auf verhaltensrelevante Reize reagiert. Andere Informationen werden ignoriert. Die Ergebnisse zeigen, dass bereits die Netzhaut des Auges die Sehinformationen filtert: An höhere Hirnareale werden dann vor allem die Informationen weitergeleitet, die für ein entsprechendes Verhalten wichtig sind. So muss das Gehirn nicht jedes einzelne Pixel der visuellen Umgebung verarbeiten. Interessanterweise ähneln die Algorithmen für das Verarbeiten natürlicher Bilder beim Zebrafisch denen von Fliegen oder Primaten. Offenbar nutzen die sehr unterschiedlichen Gehirne dieser Tiere ähnliche Merkmale natürlicher Reize, um Verhaltensweisen zu erzeugen.
Ein einfacher Blick aus dem Fenster zeigt, wie beeindruckend unser Gehirn ist. Draußen bewegt der Wind die Blätter, ein Auto fährt vorbei und eine Person, halb im Schatten, winkt uns zu. Schnell erkennen wir den Bekannten und winken zurück. Doch bei all dem haben unsere Augen eigentlich nur Punkte erkannt, die mal hell und im nächsten Moment vielleicht wieder dunkel sind.
Aus den eingehenden Pixel-Intensitäten und ihren Veränderungen muss das Gehirn Objekte und Bewegungen berechnen, Informationen bewerten und ein entsprechendes Verhalten erzeugen. Wie dies genau geschieht, ist noch immer nicht vollständig verstanden. Doch winzige, durchsichtige Zebrafischlarven könnten nun Licht in das Pixelflackern bringen.
„Wir alle haben eine Vorstellung davon, was Bewegung ist,“ erklärt Tugce Yildizoglu, Doktorandin in der Forschungsgruppe von Ruben Portugues. „Aber so einfach ist es nicht: Das Gehirn muss Bewegung berechnen – und Zebrafische können uns helfen, zu verstehen, wie.”
Die Neurobiologen wollen herausfinden, anhand welcher Merkmale visueller Szenen ein Gehirn Bewegungen erkennt. Um das zu untersuchen zeigten sie den Fischen im Labor unruhige weiße und schwarze Muster. In der realen Welt gibt es keine Symmetrie zwischen hell und dunkel. Diese Tatsache erlaubte es den Forschern, die visuelle System herauszufordern und so die Verarbeitung von Bewegung genauer zu untersuchen.
„Wir können einzelne Komponenten dieser komplexen Muster variieren und so aufdecken, wann die Fische Bewegung erkennen,“ erklärt Yildizoglu. Die Tiere zeigen durch eine eigene Bewegung, dass sie eine Bewegung in ihrer Umwelt erkennen können. Im Versuch nahmen die Fische einige der gezeigten Muster als Bewegung nach links wahr. Als die Wissenschaftler alles Dunkle auf Hell und alles Helle auf Dunkel wechselten, nahmen die Fische die Reize plötzlich als Bewegung nach rechts wahr.
Bewegungsverarbeitung im Fischhirn
Im durchsichtigen Fischhirn können die Forscher beobachten, welche Hirnareale wann reagieren, wenn der Fisch ein Muster sieht oder wenn sich das Tier bewegen will. Die Untersuchungen zeigen, dass bereits die Nervenzellen der Netzhaut die Zusammenhänge und Statistiken des gezeigten Bildes berechnen. Die Zellen extrahieren Bewegungsmuster-Signale, die sie dann an höhere Hirnregionen weiterleiten. Das Prätektum, eine zentrale Hirnregion, verarbeitet nur die Bildinformationen, die für eine Verhaltensreaktion wichtig sind.
„Die Ganglienzellen der Netzhaut scheinen optimal an das Verarbeiten der Informationen eines natürlichen Umweltbildes angepasst zu sein,“ erklärt Ruben Portugues. „Die Zellen haben ihre Bewegungserkennung anhand der statistischen Eigenschaften der realen visuellen Welt entwickelt und optimiert.”
Verschiedene Tiere, gleiche visuelle Welt
„Ein spannender Aspekt unserer Studie ist, dass die Gehirne sehr unterschiedlicher Tierarten offenbar unterschiedliche Wege gefunden haben, um die gleiche Statistik zur Berechnung derselben Sache zu verwenden – in unserem Fall von Bewegungen,“ erklärt Tugce Yildizoglu. „Nicht nur Zebrafische, sondern auch Fruchtfliegen und Primaten reagieren auf ähnliche Weise auf die komplexen Bewegungsmuster, die wir im Labor verwendet haben.“
Diese und andere Ergebnisse zeigen, dass die generellen Prinzipien und Algorithmen der visuellen Bewegungsverarbeitung bei verschiedenen Tierarten oft bemerkenswert ähnlich sind. Mit den durchsichtigen Zebrafischlarven hoffen die Neurobiologen nun einen Ansatz gefunden zu haben, um die Grundlagen des Bewegungssehens bei Wirbeltierarten besser zu sehen und zu verstehen.