Sturmerprobte Gemeinschaft

Mit Krisen haben die Europäer Erfahrung. Wenn man in die Geschichte der europäischen Staaten­gemeinschaft blickt, wird deutlich: Mehr oder weniger heftige Kontroversen waren über die Jahrzehnte regelmäßig an der Tagesordnung. Aber es gelang auch immer wieder, Lösungsstrategien zu finden, wie das Team um Stefan Vogenauer am Max-Planck-Institut für europäische Rechtsgeschichte in Frankfurt am Main bei seinen Untersuchungen feststellt. Dabei gewinnen die Forscher auch Erkenntnisse über den gegenwärtigen Zustand der Europäischen Union.

Text: Mechthild Zimmermann

Brüssel im Sommer 1965: „Drei Minuten nach Mitternacht erloschen im Palais des Congrès die Lichter. Die in Brüssel versammelten Minister (…) saßen im Dunkeln. Wer darin ein schlechtes Omen sah, fand sich schnell bestätigt: Nachdem der Kurzschluss behoben war, dauerte es nur noch 107 Minuten, bis die Verhandlungen scheiterten. Am 1. Juli kurz vor zwei Uhr morgens begann die bisher schwerste Krise des Gemeinsamen Marktes.“

In dieser Nacht, deren bitteres Ende die Wochenzeitung Die Zeit vom 9. Juli 1965 beschreibt, begann die Politik des leeren Stuhls. Auch aus Sicht von Stefan Vogenauer, Direktor am Max-Planck-Institut für europäische Rechtsgeschichte, war diese Phase die schwerste Krise in der Geschichte der europäischen Integration. Aus Protest berief die französische Regierung damals ihren ständigen Vertreter in Brüssel ab, blieb den Sitzungen des Ministerrates fern und blockierte damit ein halbes Jahr lang die gesamte Gemeinschaft.

Erst sieben Jahre zuvor hatten sich Deutschland, Frankreich, Italien, Belgien, die Niederlande und Luxemburg in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) zusammengeschlossen. Seit Januar 1958 waren die Römischen Verträge in Kraft. Darin war festgeschrieben, dass die Errichtung eines europäischen Binnenmarktes und die schrittweise Annäherung der Wirtschaftspolitik die Entwicklung und den Wohlstand in den Ländern fördern und die Beziehungen zwischen den Staaten verbessern sollte. Doch die Vorstellungen, wie weit die Integration gehen muss, lagen weit auseinander.

Den damaligen französischen Staatspräsidenten Charles de Gaulle könnte man aus heutiger Sicht durchaus als Europaskeptiker bezeichnen. Er befürwortete zwar ein Europa mit Frankreich und Deutschland als Stützpfeiler. Wichtiger war ihm jedoch, seinem Land wieder zu seinem einstigen Rang in der Welt zu verhelfen.

Die nationale Eigenständigkeit hielt de Gaulle für wesentlich und sah dementsprechend überstaatliche europäische Institutionen kritisch. Die Kontroverse, die schließlich in der Krise von 1965 gipfelte, entzündete sich an zwei Punkten: Bei einer Reihe wichtiger Fragen sollte ein Mehrheitsvotum eingeführt werden. Zudem agierte die EWG-Kommission unter Walter Hallstein aus de Gaulles Sicht wie „eine europäische Regierung“, denn sie plante beispielsweise, einen eigenständigen Gemeinschaftshaushalt einzuführen.

Hinter der französischen Blockade steckten jedoch noch weitere Gründe: Der französische Präsident wollte seinem Land eine dominierende Rolle in der Europäischen Gemeinschaft sichern und insgesamt den Einfluss der nationalen Regierungen stärken. Erst im Januar 1966 kamen die Franzosen wieder mit den übrigen EWG-Mitgliedern an einen Tisch, wo sie schließlich den sogenannten Luxemburger Kompromiss aushandelten: eine Vetomöglichkeit für einzelne Staaten, die ihre nationalen Interessen gefährdet sehen.

Integration durch Krise - je schlimmer, desto besser

Die Geschehnisse zeigen: Auch früher ging es in Europa keineswegs ruhiger und harmonischer zu. „Krisen hat es immer gegeben“, sagt Rechtshistoriker Stefan Vogenauer, „das vergisst man gern. Seit ich die Entwicklung verfolge, war die Europäische Gemeinschaft eigentlich in einem permanenten Krisenmodus.“ Eine der wenigen Ausnahmen war die Zeit der ausgehenden 1980er- Jahre und der beginnenden 1990er- Jahre, als Jacques Delors Kommissionspräsident war und man sich auf die Einheitliche Europäische Akte und den Vertrag von Maastricht einigte. „Solche Sprünge in der europäischen Integration gab es auch immer mal“, sagt Vogenauer. „Aber dann folgten wieder lange Phasen des taktischen Rückzugs oder des Stillstands.“

Krisen haben jedoch immer zwei Seiten. Walter Hallstein, von 1958 bis 1967 erster Präsident der EWG-Kommission, war der festen Ansicht, die Europäische Gemeinschaft könne „gerade in der krisenhaften Zuspitzung an Statur und Festigkeit gewinnen“, erklärt Philip Bajon, Historiker in Vogenauers Team: „Das ist Teil seiner Theorie und seines Selbstverständnisses als Kommissionspräsident gewesen: Integration durch Krise – je schlimmer, desto besser.“

Hallstein war habilitierter Jurist und überzeugter Europäer. Als Gründervater der Europäischen Gemeinschaft sah er Europa als eine Rechtsgemeinschaft – ein Begriff, der seit damals in der Diskussion um die europäische Integration eine wichtige Rolle spielt. Trotzdem ist es nicht so einfach, die „europäische Rechtsgemeinschaft“ eindeutig zu definieren, sagt Thorben Klünder, der sich für seine Doktorarbeit mit dem Begriff auseinandersetzt. „Einerseits wird davon ausgegangen, dass es die Rechtsgemeinschaft schon gab, bevor sich die europäischen Staaten per Vertrag zusammengeschlossen haben.“ Es geht also um so etwas wie eine Wertegemeinschaft, die mit dem Römischen Recht schon über Jahrhunderte eine gemeinsame rechtliche Grundlage hatte.

Doch der Begriff wird andererseits auch verwendet im Sinne einer Idealvorstellung, wonach sich die europäischen Staaten rechtlich immer weiter angleichen sollen, erklärt Klünder: „Bei Walter Hallstein ist es zum Beispiel so: Wir waren eine Rechtsgemeinschaft und sollten noch stärker eine werden.“ Das Wort in seinen verschiedenen Bedeutungen hatte sicher Einfluss auf unser Verständnis von der Europäischen Gemeinschaft, meint Klünder: „Die Rechtsgemeinschaft lässt sich durchaus als Erzählung verstehen, wie die europäische Integration vor sich geht, nämlich durch das Recht.“

Was in der Theorie gut klingt, erweist sich in der Umsetzung als schwierig. Auch wenn es in Europa einen gewissen Konsens über Rechtsstaatlichkeit oder Grundrechte gibt, wird es kompliziert, sobald es um Detailfragen geht. Da die Europäische Union auch heute noch vor allem auf den Binnenmarkt ausgerichtet ist, geht es dabei zwar „nur“ um das Ziel, für die Wirtschaft in sämtlichen Mitgliedstaaten gleichwertige Bedingungen zu schaffen. Aber diese Bedingungen wirken sich letztlich auf Themen aus, die alle betreffen: Verbraucherschutz, Umweltschutz, Arbeitnehmerrechte ebenso wie nationale Gepflogenheiten von der Lebensmittelherstellung bis zur Gestaltung von Autokennzeichen.

Ein Johannisbeerlikör veränderte die Politik

Bald zeigte sich, dass völlig übereinstimmende rechtliche Regelungen für alle Staaten nicht durchzusetzen waren, erzählt Philipp Schmitt, ebenfalls Doktorand in der Abteilung Vogenauer. „Die Europäische Kommission wollte die Rechtsgemeinschaft und versuchte die rechtliche Vereinheitlichung voranzutreiben. Aber die Länder stellten sich immer wieder quer. Besonders in Bereichen, in denen sich die Mitglieder einstimmig einigen sollten, wurde das zum Problem.“

Schmitt erforscht, wie sich die sogenannte Mindestharmonisierung entwickelt hat. Sie stellt einen Ausweg aus dem Dilemma dar, der von den 1960er-Jahren bis in die jüngere Vergangenheit häufig genutzt wurde: Bei EU-Richtlinien, also bei Regelungen, die von den einzelnen Nationalstaaten noch in eigene Gesetze umgewandelt werden müssen, schaffte sie einen Spielraum für nationale Anliegen. Die Staaten mussten sich nur auf einen Mindeststandard einigen, strengere Regeln waren möglich.

Schmitt nennt ein frühes Beispiel aus den 1970er-Jahren: die Reduzierung von Blei im Benzin. „Deutschland hatte als einziges Land den Bleigehalt gesetzlich bereits stark verringert, als die Regelung auf europäischer Ebene einstimmig angeglichen werden sollte. Die anderen Mitglieder wollten schrittweise den Bleigehalt senken; Deutschland setzte aber eine Ausnahme durch, die strengere Grenzwerte erlaubte.“

Bei seinen Analysen und Vergleichen stößt Philipp Schmitt auch auf länderspezifische Muster: „Vor allem Staaten, die in bestimmten Bereichen hohe Standards haben, drängen häufig auf Ausnahmen. Für die Deutschen war der Umweltschutz oftmals ein wichtiges Anliegen, die Dänen pochten im sozialen Bereich auf ihre Prinzipien. Und die Briten legten großen Wert auf Tierschutz.“

Die Mindestharmonisierung entspricht zwar nicht dem Ideal der Rechtsvereinheitlichung. Doch die europäische Einigung hat von der Möglichkeit, strengere Maßstäbe zuzulassen, durchaus profitiert, meint Philipp Schmitt: „Ich denke, in einem Europa mit Gegensätzen war das ein guter Weg, im gemeinsamen Markt voranzuschreiten,ohne auf soziale Anliegen oder den Umwelt- und Verbraucherschutz zu verzichten.“ Denn genau diese Gefahr besteht, wenn sich eine Gruppe auf den kleinsten gemeinsamen Nenner einigen muss: „Es besteht dabei grundsätzlich die Gefahr eines race to the bottom, das heißt: Am Ende setzt der niedrigste Standard den Maßstab.“

Heute sieht die Europäische Kommission Ausnahmeregelungen für strengere nationale Standards alles andere als gern. Schmitt kann die Argumente dafür durchaus verstehen: „Das ist eine Frage der Perspektive: So wichtig die Abweichungen nach oben etwa für den Verbraucherschutz sind – für die Wirtschaft bedeuten unterschiedliche Widerspruchsfristen oder Schadensersatzansprüche ein Hemmnis.“

Eine wichtige Frage in dem Kontext ist, inwieweit es für den gemeinsamen Markt überhaupt nötig ist, Details zentral zu regulieren. Dazu fällte der Europäische Gerichtshof (EuGH) Ende der 1970er-Jahre ein wegweisendes Urteil. Der Streitfall klingt zunächst eher banal, es ging um Johannisbeerlikör: Eine deutsche Supermarktkette wollte französischen Crème de Cassis in ihr Sortiment aufnehmen. Weil der Alkoholgehalt nicht dem deutschen Branntweingesetz entsprach, durfte der Likör jedoch nicht verkauft werden. Dagegen klagte das Unternehmen und bekam vor dem EuGH recht. Die Richter begründeten das Urteil damit, dass nationale Regelungen den europäischen Binnenmarkt nur dann einschränken dürfen, wenn es zwingend relevant ist, etwa zur steuerlichen Kontrolle oder wenn die öffentliche Gesundheit gefährdet wird. Im Fall des Likörs sah das Gericht solche Gründe nicht.

Das sogenannte Cassis-de-Dijon-Urteil von 1979 setzte neue Maßstäbe für die Rechtsangleichung, sagt Philipp Schmitt: „Vorher hätte man in einer Richtlinie für ‚Euroschnaps‘ einen bestimmten Alkoholgehalt festgesetzt, weil einheitliche Vorgaben nötig schienen, um den freien Warenverkehr zu ermöglichen. Das EuGH-Urteil hat den Weg geebnet weg von der Produktangleichung und hin zu mehr gegenseitiger Anerkennung.“

Der Europäische Gerichtshof hat nicht nur mit diesem Urteil den gemeinsamen Markt in Europa vorangetrieben. Er gilt über die Jahrzehnte als „Motor der Integration“ – eine Rolle, die umstritten ist. Kritik kommt nicht nur von Politikern, die nationale Interessen gefährdet sehen, sondern auch von wissenschaftlicher Seite, vor allem von Politikwissenschaftlern und Soziologen (siehe auch „Die Union der Verschiedenen“). Sie kritisieren, der Gerichtshof habe über die Jahre bewusst politisch agiert und damit seine Kompetenzen überschritten.

Stefan Vogenauer hat einen Schwerpunkt seiner Forschung auf die Geschichte des Europäischen Gerichtshofs gelegt. Er und sein Team untersuchen die Vergangenheit der Institution nicht nur anhand von Akten, Protokollen und anderen schriftlichen Unterlagen, sondern erfassen in einem Pilotprojekt auch die oral history: In Interviews befragen sie Richter, Generalanwälte und hohe Verwaltungsbeamte, die in der Vergangenheit dort tätig waren, und vergleichen die Erinnerungen mit den offiziellen Schriftstücken.

Eine Frage in den Gesprächen betrifft die möglicherweise politische Rolle des Gerichts. Die Antwort darauf fällt unterschiedlich aus, erzählt Philip Bajon, der solche Interviews gemeinsam mit einer Kollegin geführt hat: „Viele Gesprächspartner beharren darauf, dass der EuGH nur das Recht angewandt habe – also keine politische Rolle, kein Aktivismus, kein Spielraum. Nur vereinzelt hört man, dass ihre Rolle mitunter auch eine politische war.“

Unabhängig vom eigenen Rollenverständnis riefen Urteile des obersten europäischen Gerichts in den Mitgliedstaaten oft heftige emotionale Reaktionen hervor, besonders wenn traditionelle nationale Regelungen betroffen waren. Stefan Vogenauer erinnert an das Urteil zum Reinheitsgebot 1987: „Das war das erste Mal, dass die deutsche Öffentlichkeit gesagt hat: ‚Da kommen diese Leute aus Brüssel und machen uns unser Reinheitsgebot kaputt.‘ Das war geradezu traumatisch. Heute redet kein Mensch mehr davon. Das deutsche Bier verkauft sich gut im Ausland. Und hier in Deutschland kann man vermutlich Bier kaufen, das ohne Reinheitsgebot gebraut ist – das kauft bloß keiner.“

Es gab nie den Versuch, die Entwicklung abzuwürgen

Für Vogenauer ist das Reinheitsgebot ein Beispiel dafür, dass es in jeder Nation starke, letztlich oft kompromisslose Positionen gibt, von denen die Bürger erwarten, dass die Politik sie verteidigt. So ist es nicht verwunderlich, dass die Staats- und Regierungschefs im Ministerrat oft sehr stark ihre nationalen Interessen vertreten – in der Vergangenheit genauso wie heute.

Besonders in den 1970er-Jahren kam zu diesem Zweck oft der Luxemburger Kompromiss zur Anwendung – das Agreement, das einst Charles de Gaulles „Politik des leeren Stuhls“ beendete. Die Mitglieder hatten damals ausgehandelt, dass jeder Staat gegen einen Mehrheitsbeschluss ein Veto einlegen kann, wenn „nationale Interessen“ auf dem Spiel stehen. Die „nationalen Interessen“ wurden nicht näher definiert, und der Luxemburger Kompromiss wurde nie zu europäischem Recht. Den Regierungen kam ein vages, mehr politisches Agreement ganz gelegen, weil es ihnen einen größeren Handlungsspielraum verschaffte, wenn sie sich darauf beriefen, um Abstimmungen im Ministerrat zu blockieren. In den 1970er-Jahren führte die große Zahl an Vetos zur sogenannten Eurosklerose, einer weitgehenden Blockade der europäischen Politik. Erst mit den großen Vertragsrevisionen ab Mitte der 1980er-Jahre wandelte sich die Entscheidungskultur.

Philip Bajon hat sich intensiv mit dem Luxemburger Kompromiss und seiner Anwendung befasst. Auffällig ist, dass in den 1970er-Jahren gleichzeitig mit der Phase der Eurosklerose der Europäische Gerichtshof die europäische Integration mit grundlegenden Urteilen wesentlich vorantrieb. Die rechtliche und die politische Seite agierten also in entgegengesetzte Richtungen, sagt Bajon: „Trotzdem gab es nirgends den großen Versuch, die Kompetenzen des EuGH zu begrenzen, die Entwicklung abzuwürgen oder gar das Rad der Geschichte zurückzudrehen.“ Er schließt daraus, dass das Veto ein Instrument war, um auch die Kritiker ins Boot zu holen und das Mitmachen zu erleichtern. „Es hat den Regierungen den Eindruck vermittelt, dass sie die Kontrolle behalten über den Gang der europäischen Integration.“

Nur ein einziges Mal scheiterte der Versuch eines Mitglieds, sein Veto einzulegen, spektakulär: 1982 wurde Großbritannien bei dem Versuch, eine Abstimmung zu blockieren, überstimmt. Damals hatten die Briten ihre Zustimmung zu den gemeinsamen Agrarpreisen an Zugeständnisse im Haushalt geknüpft. Das ging den anderen Staaten zu weit, die Preise wurden ohne Zustimmung Großbritanniens beschlossen. „Die Briten werteten das als massiven Schlag gegen ihre Souveränität“, erzählt Bajon, „mit allen Konsequenzen: Schon damals gingen diverse Brexit-Szenarien durch die Presse.“ Die Argumente in der Debatte waren damals die gleichen wie heute: Es ging um die Angst vor Fremdbestimmung und den Wunsch, volle Souveränität über die Regeln im eigenen Land zu haben.

Für Stefan Vogenauer spiegelt der Brexit letztlich das Spannungsfeld wider, in dem sich die Europäische Union seit ihrer Gründung als Wirtschaftsgemeinschaft bewegt: Wie kann ich alle Vorteile haben, die eine Vereinheitlichung bringt mit Marktzugang, mit günstigen Produktionskosten, weniger Bürokratieaufwand für Patentanmeldungen – ohne meine Identität oder auch meine hinter dem Recht liegenden Werte wie Verbraucher- und Umweltschutz aufzugeben? „Da immer den richtigen Ausgleich zu finden, ist nicht leicht“, betont Vogenauer. „Das Beispiel Brexit zeigt: Die Briten wollen die Quadratur des Kreises, einerseits vollen Marktzugang, andererseits volle Souveränität über die eigenen Regeln und Standards. Aber beides gleichzeitig geht nicht.“

Vogenauer kann dem Brexit auch etwas Positives abgewinnen. So zeigten etwa aktuelle Umfragen in Europa, dass derzeit in keinem Mitgliedstaat mehr eine Mehrheit gegen die EU stimmen würde. Das war vor dem Votum der Briten für den Austritt Großbritanniens noch anders. Nach Ansicht des Rechtshistorikers ist es durchaus möglich, dass der Brexit die übrigen Mitglieder zusammenschweißt und einen Sprung nach vorne ermöglicht – ganz im Sinne des ersten europäischen Kommissionspräsidenten Walter Hallstein, der in jeder Krise eine Chance sah, das Zusammenwachsen Europas zu stärken.

AUF DEN PUNKT GEBRACHT

  • Die europäische Einigung steht schon von Beginn an in einem Spannungsfeld: Der gemeinsame Binnenmarkt erfordert Vereinheitlichung. Die Staaten möchten jedoch ihre nationale Selbstbestimmung nicht aufgeben.
  • Kompromisse, etwa in Form von Mindeststandards mit Ausnahmeregelungen, haben in der Vergangenheit das Zusammenwachsen in Europa erleichtert.
  • Eine informelle Vetomöglichkeit, die von Mitte der 1960er­ bis Mitte der 1980er­Jahre häufig zum Einsatz kam, gab den nationalen Regierungen ein Gefühl der Kontrolle über die voranschreitende Integration.

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