Echtzeit-Filme aus dem Körper

Jens Frahm ist für den Europäischen Erfinderpreis 2018 nominiert

Das Europäische Patentamt hat den Göttinger Physiker Jens Frahm vom Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie als einen der drei Finalisten im Bereich Forschung nominiert. Mit dem Erfinderpreis werden in fünf Kategorien einzelne Erfinder und Teams ausgezeichnet, die mit ihren Entwicklungen dazu beitragen, technische Antworten auf die wichtigsten Herausforderungen unserer Zeit zu finden. Die Gewinner werden am 7. Juni 2018 in Paris, Saint-Germain-en-Laye (Frankreich) gekürt.

Mit der Nominierung würdigt das Europäische Patentamt Jens Frahms bahnbrechende Weiterentwicklungen der Magnetresonanz-Tomografie (MRT). In zwei Schritten ist es dem Wissenschaftler und seinem Team gelungen, die MRT um das bis zu 10.000-fache zu beschleunigen: Die Mitte der 1980er-Jahre entwickelte FLASH-MRT ist heute eines der bedeutendsten bildgebenden Verfahren in der klinischen Diagnostik und weltweit im Einsatz. Mit dem seit 2010 etablierte FLASH2-Verfahren schafften die Göttinger Forscher den Durchbruch hin zur Echtzeit-MRT. Mit dieser Technik lassen sich erstmals Vorgänge im Inneren des Körpers in Echtzeit filmen. Sie wird gegenwärtig für den klinischen Einsatz an verschiedenen Krankenhäusern im In- und Ausland erprobt.

Gibt es bei einer Person Auffälligkeiten im Hirngewebe? Wurden bei einem Unfallopfer innere Organe verletzt? Liegt ein Bandscheibenvorfall vor? Hat das Herz Schaden genommen? Um derartige Fragen zu beantworten, untersuchen Radiologen heutzutage Patienten mithilfe eines Magnetresonanz-Tomografen – und der FLASH-Technologie. Damit lassen sich in kurzer Zeit präzise und sogar dreidimensionale Schnittbilder unseres Körpers erzeugen, mit denen sich besonders gut und genau krankhafte Veränderungen an praktisch allen Organen des Körpers abbilden lassen. Zudem ist das Verfahren – im Gegensatz zu Röntgentechniken wie der Computer-Tomografie – für den Menschen gesundheitlich völlig unbedenklich.

Die MRT macht sich eine besondere Eigenschaft der im Körper allgegenwärtigen Wasserstoff-Atomkerne zunutze: ihren Drehimpuls, auch Kernspin genannt. Dieser Kernspin verwandelt die Atomkerne in winzige Magneten. Befinden sich diese in einem Magnetfeld, richten sie sich entlang der Magnetfeldlinien aus. Ein Magnetresonanz-Tomograf erzeugt ein solches Magnetfeld und zusätzlich kurze Radiofrequenzpulse im UKW-Bereich, die die Kernmomente kurzzeitig aus ihrem Gleichgewicht auslenken. Wenn sie wieder in ihre ursprüngliche Ausrichtung zurückkehren, senden sie Radiowellen aus, die von hochempfindlichen Spulen aufgezeichnet werden. Vielfach wiederholt, lässt sich aus diesen ortsabhängigen Signalen am Computer ein Bild berechnen, das exzellente Darstellungen von Organen und Gefäßen ermöglicht.

100 Millionen Untersuchungen jährlich mit FLASH

Frahm revolutionierte mit seiner Technologie die MRT rund zwölf Jahre nach ihrer Erfindung durch Paul Lauterbur 1973, indem er diese fundamental beschleunigte. Denn die MRT hatte bis dahin einen massiven Nachteil: Für den Einsatz in der Medizin war sie schlicht zu langsam – eine einfache Schichtaufnahme dauerte mehrere Minuten. Diese langen Messzeiten entstanden durch die vielen Einzelmessungen mit unterschiedlicher Ortskodierung und der dazwischen nötigen Wartezeit. „Unsere Idee in den 1980er-Jahren war es, für jede Einzelmessung nur einen Teil des verfügbaren MRT-Signals zu nutzen. Mit diesem physikalischen Trick konnten wir die Pausen vollständig eliminieren und die Messzeiten radikal um mindestens den Faktor 100 verkürzen“, berichtet Frahm. Heute finden weltweit etwa 100 Millionen Untersuchungen im Jahr statt; jede einzelne basiert auf Frahms Technologie. FLASH ist damit das bisher erfolgreichste Patent der Max-Planck-Gesellschaft und verhalf der MRT in der medizinischen Diagnostik zum Durchbruch.

Das schlagende Herz „live“ beobachten

Echtzeit-MRT-Aufnahme der natürlichen Bewegungen des Brustkorbs: Atmung und Herzschlag sind deutlich sichtbar. Im Gegensatz zur klinischen Praxis mit herkömmlichen Magnetresonanz-Tomografen muss der Patient hier dank der schnellen Bildrate weder den Atem anhalten, noch muss die Aufnahme über das EKG-Signal gesteuert werden.

Thorax

Echtzeit-MRT-Aufnahme der natürlichen Bewegungen des Brustkorbs: Atmung und Herzschlag sind deutlich sichtbar. Im Gegensatz zur klinischen Praxis mit herkömmlichen Magnetresonanz-Tomografen muss der Patient hier dank der schnellen Bildrate weder den Atem anhalten, noch muss die Aufnahme über das EKG-Signal gesteuert werden.
https://www.youtube.com/watch?v=UP1wvguTg3A

Im Jahr 2010 lösten Frahm und sein Team mit FLASH2 schließlich auch das Problem der hohen Zahl an erforderlichen Einzelmessungen. Einfach ausgedrückt ist FLASH2 die FLASH-Technologie samt Videofunktion: Es verwendet ein neues mathematisches Verfahren für die Bildrekonstruktion und kommt dadurch mit nur noch ganz wenigen Einzelmessungen pro Bild aus. Die Technik beschleunigte die MRT-Aufnahmen noch einmal deutlich und erlaubt es, bis zu 100 Bilder pro Sekunde aufzunehmen.

FLASH2 macht Vorgänge im Inneren des Körpers live sichtbar – ein für die medizinische Diagnostik wesentlicher Fortschritt. Erstmals lassen sich Gelenkbewegungen, Sprechbewegungen, Schluckvorgänge oder das schlagende Herz direkt beobachten und Rückschlüsse darauf ziehen, warum das Knie beim Beugen schmerzt, jemand unter Sodbrennen leidet, stottert oder Schmerzen im Brustbereich hat. Die neue Technik könnte in Zukunft zudem eingesetzt werden, um minimal-invasive Eingriffe und Behandlungen zu begleiten, die bisher unter Röntgenkontrolle durchgeführt werden. Die Echtzeit-MRT wird derzeit an der Universitätsmedizin Göttingen und mehreren anderen Universitäten in Deutschland, Großbritannien und den USA für den routinemäßigen Einsatz am Patienten getestet.


Über den Europäischen Erfinderpreis

Der Europäische Erfinderpreis wird 2018 zum 13. Mal vergeben und ist einer der wichtigsten Preise für Innovation in Europa. Er wird seit 2006 jährlich vom Europäischen Patentamt verliehen. Um sich für die Auszeichnung zu qualifizieren, müssen die eingereichten Vorschläge spezifische Kriterien erfüllen, wie beispielsweise den Nachweis über mindestens eine erteilte europäische Patentierung der Erfindung durch das Europäische Patentamt.

Eine internationale hochkarätig besetzte, unabhängige Jury aus den Bereichen Wirtschaft, Politik, Wissenschaft und Forschung prüft dabei, inwieweit die nominierten Erfinder mit ihrer Arbeit zu technischem sowie gesellschaftlichem Fortschritt, zum Wohlstand und zur Schaffung von Arbeitsplätzen in Europa beigetragen haben.

Über Jens Frahm

Jens Frahm studierte an der Universität Göttingen Physik und forschte für seine Doktorarbeit in physikalischer Chemie am MPI für biophysikalische Chemie. Im Anschluss arbeitete er als wissenschaftlicher Assistent am Institut und leitete dort von 1982 bis 1992 die selbstständige Forschungsgruppe Biomedizinische NMR. Seit 1993 ist Frahm Leiter der am Institut angesiedelten gemeinnützigen Biomedizinischen NMR Forschungs GmbH. Er habilitierte 1994 an der Universität Göttingen und wurde im Jahr 1997 zum außerplanmäßigen Professor an die dortige Fakultät für Chemie berufen. Jens Frahm ist als Erfinder von vier europäischen Patenten gelistet.

Für seine Forschungsarbeiten wurde Jens Frahm mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, darunter dem European MRI Award der Deutschen Röntgengesellschaft (1989), dem Gold Medal Award der International Society for Magnetic Resonance in Medicine (1991), dem Karl Heinz Beckurts-Preis (1993), dem Forschungspreis der Sobek-Stiftung (2005), dem Stifterverbandspreis (2013) und der Jacob Henle-Medaille (2016). 2016 wurde Jens Frahm in die Hall of Fame der deutschen Wissenschaft gewählt.

CR/BA

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