Wie Nervenzellen miteinander reden
Nervenzellen sind miteinander durch Synapsen verbunden, an denen Signale in Form von Botenstoffen übertragen werden. Wie dies genau funktioniert, hat Reinhard Jahn, Direktor am Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie in Göttingen, erforscht.
Von Reinhard Jahn
Unser Nervensystem besteht aus etwa 100 Milliarden Nervenzellen, die untereinander vernetzt sind und dadurch zu komplexen Rechenleistungen in der Lage sind. Die Nervenzellen besitzen eine Antennenregion, die durch den Zellkörper und deren Fortsätze (Dendriten) gebildet wird. Hier empfangen sie die Signale anderer Nervenzellen.
Eine Zelle redet, die andere hört zu
Die Signale werden dann verrechnet und durch ein „Kabel“, das Axon, in Form von elektrischen Impulsen weitergeleitet. In der Senderregion verzweigt sich das Axon und bildet Kontaktstellen aus, die Synapsen, an denen die Signale auf andere Nervenzellen übertragen werden (Abb. 1). Dort werden die aus dem Axon eintreffenden elektrischen Impulse in chemische Signale umgewandelt. Die Information fließt dabei nur in einer Richtung: Eine Zelle redet, die andere hört zu. Die Zahl der Synapsen, die eine einzelne Nervenzelle ausbilden kann, variiert sehr stark: Je nach Zelltyp kann sie zwischen genau einer und über 100.000 Synapsen betragen, im Mittel sind es ungefähr 1000 pro Nervenzelle.
Synapsen – elementare Einheiten der neuronalen Informationsübertragung
Synapsen bestehen aus
- dem Nervenende des Sender-Neurons (präsynaptisch),
- dem synaptischen Spalt, der die Sender- und Empfängerzelle trennt, und
- der Membran des Empfänger-Neurons (postsynaptisch).
Die präsynaptischen Nervenenden enthalten die als Neurotransmitter bezeichneten Signalmoleküle, die in kleinen membranumschlossenen Vesikeln gespeichert sind. Jedes Nervenende im zentralen Nervensystem enthält durchschnittlich mehrere 100 synaptische Vesikel. Dennoch gibt es hier große Unterschiede: So gibt es beispielsweise Spezialisten unter den Synapsen, die mehr als 100.000 Vesikel enthalten. Dazu zählen die Synapsen, die unsere Muskeln steuern. In jeder Synapse befinden sich stets einige Vesikel in Startposition und ‚lauern‘ direkt an der präsynaptischen Plasmamembran, an der sie angedockt haben.
Molekulare Maschinen bei der Arbeit
Wenn ein elektrisches Signal im Nervenende eintrifft, werden Calcium-Kanäle in der Plasmamembran aktiviert, durch die Calcium-Ionen vom Außenraum in das Innere der Synapse strömen. Sie treffen auf eine molekulare Maschine, die sich zwischen der Membran der Vesikel und der Plasmamembran befindet und die durch die hereinströmenden Calcium-Ionen aktiviert wird. Diese Maschine bewirkt, dass die Membran der Vesikel, die sich in der Startposition befinden, mit der Plasmamembran verschmilzt. Dadurch werden die Botenstoffe, die in den Vesikeln gespeichert sind, in den synaptischen Spalt ausgeschüttet.
Auf der anderen Seite des synaptischen Spaltes treffen die Botenstoffe auf Andockstellen in der Membran des Empfänger-Neurons, die die elektrischen Eigenschaften dieser Membran regulieren. Dadurch ändert sich der Membranwiderstand. Die Empfängerzelle kann die Spannungsänderung, die dadurch entsteht, in einem rasanten Tempo verarbeiten Zwischen dem Eintreffen des Impulses bis zur Spannungsänderung auf der anderen Seite des synaptischen Spalts vergeht nur etwa eine tausendstel Sekunde. Damit stellt die synaptische Übertragung einen der schnellsten biologischen Vorgänge dar. Dennoch: Im Vergleich mit einem Transistor ist sie immer noch geradezu schneckenartig langsam.
Synaptische Vesikel: Nicht nur Speicherorganellen
Die synaptischen Vesikel sind keineswegs nur eine Art membranumhüllte „Konservendose“ zur Speicherung der Botenstoffe. In ihrer Membran befindet sich eine ganze Reihe von Proteinen, die sich seit Millionen von Jahren durch die Evolution kaum verändert haben. Eine Gruppe dieser Proteine, die Neurotransmitter-Transporter, ist dafür verantwortlich, die Botenstoffe aus dem Zellplasma in die Vesikel hineinzupumpen und dort anzureichern. Dazu ist viel Energie erforderlich. Diese wird von einem weiteren Proteinmolekül bereitgestellt, einer Protonen-ATPase (V-ATPase), die unter Verbrauch von Adenosintriphosphat (ATP) Protonen in die Vesikel hineinpumpt. Das dadurch entstehende Konzentrationsgefälle nutzen die Pumpen ihrerseits für die Aufnahme von Botenstoffen aus.
Neben diesen für das „Auftanken“ erforderlichen Proteinen enthalten die Membranen synaptischer Vesikel weitere Komponenten, die dafür sorgen, dass die Vesikel mit der Plasmamembran verschmelzen können (darunter das SNARE-Protein Synaptobrevin und den Calcium-Sensor Synaptotagmin) und nach der Membranfusion wieder in das Nervenende zurücktransportiert werden. Die synaptische Vesikel werden anschließend im Nervenende über einige Zwischenschritte wieder recycelt und neu mit Botenstoffen befüllt. Und das immer und immer wieder, viele tausend Male im Lebenszyklus eines Vesikels.
Die Funktionsweise der synaptischen Vesikel auf molekularer Ebene zu verstehen, ist eine aufwendige Arbeit. Wir haben dazu vor einigen Jahren ein umfassendes Inventar aller Vesikelbestandteile erstellt. Da die Vesikel winzig klein und komplex in ihrer Zusammensetzung sind, war dieses Unterfangen keineswegs einfach: Mehrere Teams aus Deutschland, Japan, der Schweiz und den USA mussten jahrelang zusammenarbeiten, um die Eiweiß- und Fettkomponenten der Vesikel zu identifizieren und ein quantitatives molekulares Modell eines Standard-Vesikels zu erstellen.
Dabei mussten Probleme gelöst werden, die keineswegs so einfach waren, wie man annehmen möchte, z. B. das Auszählen der Vesikel in einer Lösung oder die quantitative Bestimmung des Gehaltes von Proteinen und Membranlipiden. Die Ergebnisse waren auch für Experten überraschend. So stellte sich heraus, dass ein biologisches Transportvesikel in seiner Struktur viel stärker durch Proteine bestimmt wird als zuvor angenommen: Wenn man von außen auf das Vesikelmodell schaut, kann man die Lipidmembran (gelb) vor lauter Proteinen kaum erkennen, und dabei sind im Modell nur ca. 70 Prozent der Gesamtmenge an Protein enthalten.
Diese Arbeiten bildeten die Grundlage zu weiterführenden Untersuchungen. So ist es gelungen, Vesikel, die unterschiedliche Botenstoffe transportieren, voneinander zu trennen und miteinander zu vergleichen. Anders als vorher vermutet, unterscheiden sie sich nur geringfügig in ihrer Zusammensetzung. Außerdem konnten verschiedene Vesikel isoliert werden, die bereits an der Plasmamembran angedockt sind, was ebenfalls eine Analyse ihrer Proteinzusammensetzung erlaubte.
Wir fusionieren die Membranen?
Ein zweiter Schwerpunkt der Forschung besteht darin, die Proteinmaschine, die die Membranfusion bewerkstelligt, in ihren funktionellen Details zu verstehen. Die dafür verantwortlichen Proteine sind bereits seit über zehn Jahren bekannt, doch ist immer noch nicht klar, wie sie es schaffen, innerhalb von weniger als einer Millisekunde nach Einstrom der Calcium-Ionen die Membranen zu verschmelzen.
Für die Fusion selber sind SNARE-Proteine verantwortlich – kleine Proteinmoleküle, die in der Plasmamembran wie in der Vesikelmembran sitzen. Kommen die Membranen nahe aneinander, lagern sich die dieser Proteine aneinander, wobei sie sich in Richtung der Membran wie Taue miteinander verdrillen (Abb. 3).
Bei dieser Zusammenlagerung wird Energie freigesetzt, die für das Verschmelzen der Membranen benutzt wird. Neuere Untersuchungen haben ergeben, dass das verdrillte Bündel bis in die Membran hineinreicht.
Um zu verstehen, wie diese Zusammenlagerung die Verschmelzung der Membranen bewirkt, wurden die SNARE-Proteine in künstliche Membranen eingebaut, an denen man die Fusion mit hochauflösenden Methoden, darunter der Kryo-Elektronenmikroskopie, untersuchen konnte. Dabei wurden erstmalig Zwischenstufen der Fusionsreaktion identifiziert. Dadurch konnte ein Modell der einzelnen Schritte auf molekularer Ebene erstellt werden.
Fortschritte sind ebenfalls bei der Frage erzielt worden, wie die einströmenden Calcium-Ionen die Fusionsmaschine aktivieren. Dies wird durch ein weiteres Protein in der Membran synaptischer Vesikel vermittelt, das Synaptotagmin, das die Calcium-Ionen bindet und dann die Membranen etwas näher aneinander bringt.
Trotz großer Fortschritte sind die komplexen molekularen Prozesse immer noch nicht vollständig verstanden: Umso erstaunlicher ist es, wie reibungslos Nervenzellen miteinander kommunizieren, wie effektiv die Fusionsmaschinerie in der Synapse funktioniert, bei jeder unserer Bewegungen, in unserem Fühlen und Denken. Deshalb forschen Wissenschaftler auf der ganzen Welt weiterhin daran, diese Prozesse noch besser zu verstehen. Es besteht die berechtigte Hoffnung, das dadurch auch ein besseres Verständnis von neurodegenerativen Erkrankungen, wie Parkinson, Alzheimer und Chorea Huntington erzielt werden kann.