Polizei unter Kontrolle

6. Oktober 2011

Immer wieder liefern sich Jugendliche in europäischen Städten Straßenschlachten mit der Polizei, so erst in diesem Sommer in Großbritannien. Meist haben die Ausschreitungen einen Anlass, aber viele Ursachen. Ein Faktor kann sein, wie Polizisten mit Jugendlichen umgehen. Das untersuchen Dietrich Oberwittler und Daniela Hunold am Freiburger Max-Planck-Institut für Ausländisches und Internationales Strafrecht im deutsch-französischen Vergleich und kommen zu überraschenden Ergebnissen.

Text: Hubert Beyerle

Die Aggression schien geradezu ein Ventil zu suchen. Sie fand es im Tod von Mark Duggan, der durch eine Polizeikugel starb. Obwohl der Hergang des Polizeieinsatzes noch unklar war, brach sich die Gewalt im Londoner Stadtteil Tottenham Bahn und steckte schnell andere britische Städte an.

Die Auseinandersetzungen vor allem zwischen Jugendlichen und der Polizei verselbständigten sich in Großbritannien ebenso wie die Krawalle, von denen im Herbst 2005 französische Vorstädte heimgesucht wurden. Anlass war auch in Frankreich eine Polizeiaktion mit tödlichem Ausgang: In dem Pariser Vorort Clichy-sous-Bois starben zwei Jugendliche an Stromschlägen, als sie sich vor Polizisten in eine Transformatorstation flüchteten. Gerüchte kamen auf, die Polizei sei schuld an dem Tod der Jugendlichen. Daraufhin erschütterten Jugendunruhen, die von Paris ausgingen, ganz Frankreich.

Französische Regierung erklärt den Notstand

Die Bilanz nach vier Wochen Straßenkampf in der Pariser Banlieue und in 200 weiteren Vorstädten im ganzen Land: Straßenzüge, die Schlachtfeldern glichen, über 9000 ausgebrannte Autos und 3000 Festnahmen. Die Regierung musste den Notstand erklären, das Land schien aus den Fugen zu geraten.

Manche fürchteten, das Feuer könne in andere Länder überschlagen. Doch das geschah nicht. Auch in Deutschland blieb es ruhig, trotz einer breiten Berichterstattung in Fernsehen und Zeitungen. Zu Krawallen dieser Art kam es in anderen Ländern auch vorher oder später nicht. Warum?

Die Frage ist bis heute nicht endgültig beantwortet, obwohl das Interesse daran groß ist. Denn Gewalt auf den Straßen ist ein Thema, über das fast täglich berichtet wird und das einer Mehrheit in der Gesellschaft Sorgen bereitet, wie sich in Umfragen immer wieder zeigt. Was die systematische Forschung zum Thema Gewalt von Jugendlichen, vor allem aus Migrantenfamilien so relevant macht: Es ist ein Thema, bei dem öffentliche Meinung und wissenschaftliche Erkenntnis hart aufeinander prallen. „Kriminalität bei Migranten – damit erforschen wir natürlich ein gesellschaftliches Reizthema“, sagt Dietrich Oberwittler, Forschungsgruppenleiter am Max-Planck-Institut für Ausländisches und Internationales Strafrecht in Freiburg.

Oberwittler forscht seit Jahren nach den Ursachen von Jugendgewalt. Einfache, mono-kausale Erklärungen reichen da nicht. Wer Handlungen und Motive von Menschen erklären will, kann so gut wie nie auf eine einzige Ursache verweisen. Was sich dabei aber vor allem immer wieder gezeigt hat: Subjektive Erklärungen und empirische Ergebnisse klaffen oft weit auseinander.

Der Vergleich zwischen Deutschland und Frankreich verspricht hier, Neues ans Licht zu bringen: Beide Länder sind Einwandererländer, unterscheiden sich aber stark in der Intensität, mit der Konflikte ausgetragen werden. Straßenschlachten dort, aber nichts davon hierzulande. Dabei haben beide Staaten einen beträchtlichen Migrantenanteil: Laut OECD liegt der Prozentsatz der im Ausland geborenen Einwohner in Frankreich bei rund acht, in Deutschland sogar bei rund 13.

Doch damit hören die Ähnlichkeiten auch schon auf. Vor allem die Lebenssituation in den jeweiligen Stadtvierteln ist sehr unterschiedlich. Während sich in den französischen Banlieue Armut und strukturelle Probleme konzentrieren, ist eine solche Segregation in deutschen Städten nicht in derselben Schärfe zu finden. Dass das die Bereitschaft zu Gewalt und Kriminalität beeinflusst, ist längst wissenschaftlicher Konsens.

Es gibt aber einen anderen Schlüsselfaktor, über den man bislang sehr viel weniger weiß, und bei dem der Verdacht nahe liegt, dass er ebenfalls eine wichtige Rolle spielt: Der persönliche Kontakt zwischen Jugendlichen und Polizei. Genau dieser Kontakt ist Thema des Forschungsprojekts „Polizei und Jugendliche in multi-ethnischen Gesellschaften (POLIS) des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht. Oberwittlers Hypothese ist, dass dieser Kontakt in Frankreich nach anderem Muster verläuft als in Deutschland.

Die Polizei ist nicht die einzige Ursache der Spannungen

Schließlich war die Begegnung zwischen Polizei und Jugendlichen, die mit dem Tod zweier Jugendlicher endete, 2005 Anlass für die Straßenschlachten in Frankreich. Und auch in London gab in diesem August eine Polizeiaktion den Anstoß für die schweren Krawalle und Plünderungen. „Die Polizei ist nicht die alleinige Ursache der Spannungen, aber ein wichtiger Impuls“, sagt Daniela Hunold, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Freiburger Max-Planck-Institut. Würde sich herausstellen, dass die Intensität der Konflikte auch mit dem Verhalten der Polizei zu erklären ist, wäre viel gewonnen. Aber wie lässt sich ein solcher Nachweis führen?

Zusammen mit französischen Kollegen der Universität Grenoble haben die Freiburger Forscher dazu ein groß angelegtes binationales Forschungsprojekt aufgezogen. Darin gehen sie unter anderem der Frage nach, wie Konflikte entstehen und wie in der persönlichen Begegnung zwischen Jugendlichen und Polizisten Vorurteile gebildet und gefestigt werden.

Das Projekt verläuft in Frankreich und Deutschland nach dem gleichem Muster: Im qualitativen Teil werden Polizisten aller Hierarchie-Ebenen und Jugendliche systematisch beobachtet und interviewt. Ein quantitativer Teil, der im Sommer 2011 erst angelaufen ist, ergänzt diese Ergebnisse durch umfangreiche und repräsentative Befragung von über 5000 Schülern per Fragebögen. Untersucht werden jeweils drei Stadtteile unterschiedlicher sozialer Zusammensetzung in zwei deutschen Städten: einer Großstadt und einer mittelgroßen Stadt. Nach dem gleichen Untersuchungsdesign gehen die französischen Kollegen vor. Damit eröffnet sich den Forschern in beiden Ländern ein repräsentativer Einblick in die Kontakte zwischen Polizei und Jugendlichen im nationalen Vergleich.

Mehrere Monate lang begleitete Daniela Hunold 2009 und 2010 in zwei deutschen Städten Polizisten bei ihrer täglichen Arbeit, im Streifenwagen und zu Fuß bei den Routine-Gängen durch das Revier. Die Namen der Städte möchten die Forscher zumindest vor Abschluss der Studie nicht publik machen, um die Polizisten, die an der Studie teilnehmen, vor voreiligen Schlüssen zu schützen. Personen mit Verbindungen zur Polizei in den untersuchten Städten könnten nämlich die beteiligten Abteilungen identifizieren und aufgrund vorläufiger Ergebnisse falsche Urteile fällen.

Fairness bedeutet: ohne Diskriminierung

Daniela Hunold ist studierte Geografin und als Kriminologin vom Fach, aber diese Erfahrungen sind auch für sie neu gewesen. „Bemerkenswert ist die hohe Professionalität der Polizei“, sagt sie. „In aller Regel verläuft der Kontakt zu Jugendlichen sehr sachlich-neutral. Mein Eindruck ist, dass die Polizei in Deutschland sich um Transparenz ihrer Entscheidungen bemüht und Willkür möglichst vermeiden will. In aller Regel funktioniert das auch.“ Die Ansprache erfolgt nach den Regeln des Dienstes und ist nur sehr selten durch Emotionen oder charakterliche Eigenheiten des Beamten geprägt, hat sie beobachtet.

Möglicherweise verhalten sich Polizisten im Beisein eines Forschers zwar besonders korrekt. Die Forscher fürchten aber nicht, dass Ihre Ergebnisse dadurch an Aussagekraft verlieren könnten, weil sich kaum jemand für die gesamte Dauer der Untersuchung gut genug verstellen könne. Zudem glichen die Forscher ihre eigenen Beobachtungen der Polizeiarbeit mit den Erfahrungen ab, von denen ihnen die Jugendlichen ihnen in Interviews berichteten.

Zu einer professionellen modernen Polizei gehört, dass sie den Bürgern gegenüber fair auftritt. Fair in diesem Zusammenhang bedeutet: ohne Diskriminierung. Aber ist das wirklich möglich? Es gehört ja gerade zu ihrer Arbeit, kriminelle Personen anders zu behandeln als unbescholtene. Aber wie unterscheidet ein Polizist – und zudem oft aus einiger Entfernung?

Gewisse Formen der Diskriminierung sind kaum zu vermeiden. „Manchmal gibt es kein wirklich diskriminierungsfreies Vorgehen“, sagt Hunold. „Auch ein Polizist muss die Komplexität der Situation reduzieren, um handeln zu können. Das ist ganz natürlich.“ Insgesamt zeige sich in der Tendenz, dass sich Mitarbeiter der Polizei stärker von Vorurteilen leiten lassen als Durchschnittsbürger, wie Hunold beobachtet das. Das liegt aber nicht etwa am Charakter oder der Persönlichkeit eines Polizeibeamten, sondern an den Aufgaben, die der Polizeiberuf mit sich bringt: nämlich die „Guten“ von den „Bösen“ unterscheiden zu können, und das manchmal in Sekunden.

Dennoch verhalten sich Polizisten in den untersuchten deutschen Städten Jugendlichen gegenüber im Großen und Ganzen professionell und fair. Aber sieht das der Jugendliche selbst auch so? Hier liegt der Knackpunkt. Es bleibt nicht aus, dass ein Jugendlicher eine Personenkontrolle als unfair wahrnehmen kann – etwa, weil er glaubt, er werde kontrolliert, weil er ausländisch aussieht. Das kann stimmen, kann aber auch andere Gründe haben.

Der subjektiven Wahrnehmung eine objektive gegenüber zu stellen, ist eine der wichtigsten Aufgaben empirischer soziologischer Forschung. „Die Qualität der Begegnung zwischen Jugendlichem und Polizisten ist sehr stark subjektiv geprägt und die gleiche Begegnung kann von Polizisten und Jugendlichem völlig konträr eingeschätzt werden“, sagt Oberwittler. Umso wichtiger ist es, mit wissenschaftlicher Distanz und entsprechenden empirischen Methoden heranzugehen.

Die ethnische Herkunft spielt kaum eine Rolle

Und die Forschung zum alltäglichen Polizei-Bürger-Kontakt lohnt sich, weil Jugendliche aus dem Gefühl einer unfairen Behandlung destruktive Einstellungen entwickeln können. Daher ist beispielsweise wichtig, nach welchen Kriterien eine eigentlich „anlassunabhängige“ Personenkontrolle stattfindet. „Ganz ohne Anlass lässt sich das nicht machen“, sagt Hunold. Sonst müssten Kontrollen nach reinem Zufallsprinzip erfolgen, was wenig praktikabel und ineffizient wäre. „In der Regel entscheiden die Kleidung oder die Örtlichkeit“, so Hunold.

Es ist aber nicht immer nur der Betroffene selbst, der sich in der Eigenwahrnehmung täuscht. Auch dritte Personen, wie etwa die Öffentlichkeit, können sich täuschen. „Oft wird kriminelles Verhalten einfach mit dem Faktor Migration erklärt. Das ist aber eine Illusion“, so Soziologe Oberwittler. Empirische Untersuchungen belegen, dass Jugendlichen mit höherer Wahrscheinlichkeit kriminell werden als der Durchschnitt, wenn sie individuelle soziale Benachteiligungen erfahren und diese sich in problematischen Wohngebieten konzentrieren. Die ethnische Herkunft spielt dabei keine oder kaum eine Rolle. Studien aus den USA und anderen Ländern kommen zu ähnlichen Ergebnissen, was für eine breite Gültigkeit der These spricht.

Was sich ebenfalls bereits jetzt zeigt: Das Verhalten der Polizeibeamten unterscheidet sich je nach Stadtviertel, in dem sie arbeiten. Das kann mit unterschiedlicher Arbeitsbelastung oder -organisation zu tun haben, aber auch mit bestimmten Vorurteilen gegen das Viertel und seine Bewohner. „Der Einfluss des sozialräumlichen Kontextes ist eines der entscheidenden Themen, um Polizeiarbeit, Konflikte und die Entstehung von Vorurteilen verstehen zu können“, sagt Oberwittler.

Noch ist es zu früh, endgültige Ergebnisse aus dem Polis-Projekt zu ziehen. Dennoch äußern Oberwittler und Hunold erste Vermutungen, auf die sie in der Diskussion mit ihren französischen Kollegen gekommen sind. Während Konflikte zwischen Jugendlichen aus schwierigen Stadtvierteln und der Polizei in Deutschland eher selten sind und allenfalls unter die Kategorie „ungerecht empfundene Gängelei“ fallen, kommt es in Frankreich immer wieder zu heftigen Auseinandersetzungen.

Polizisten und Jugendliche gehen in Frankreich mitunter emotionaler und aggressiver miteinander um. Auch wenn dafür wohl vorrangig die wesentlich schwierigere Lebensumfeld und die damit verbundenen schlechteren Perspektiven der französischen Einwanderer verantwortlich sind: Auch das Verhalten der Polizei unterscheidet sich von dem der deutschen deutlich.

Soweit die französischen Forscherkollegen berichten, begegnen Polizisten Jugendlichen in Frankreich mit mehr Willkür und stärker konfrontativ. Das lässt sich einerseits mit der höheren Gefährdung der Polizei erklären. Die französische Polizei verspürt daher einen höheren Druck, Autorität und Macht auszuüben, um sich zu behaupten.

Garant von Sicherheit - und Kümmerer

Über die Ursachen dieser Unterschiede zu spekulieren, gehört nicht zu Oberwittlers Forschungsansatz. Dass aber die französische Polizei wesentlich zentralistischer und zum Teil militärischer organisiert ist, als die deutsche, erklärt sicher etwas. Auch die kürzere Ausbildung der französischen Kollegen, spielt wohl eine Rolle. „Während in Deutschland Polizisten mehrere Jahre Theorie in der Polizeifachschule hinter sich haben, lernen die jungen Kollegen in Frankreich ihre Arbeit oft erst in der praktischen Erfahrung, als 'training-on-the- job'.“ Eine sachliche und regelorientierte Arbeitsweise unterstützt das nicht. „In den Gesprächen mit unseren französischen Kollegen hat sich gezeigt, dass es dieses starke Bemühen um Bürgernähe im Sinne des alten deutschen Polizeimottos vom 'Freund und Helfer' in Frankreich so kaum gibt“, ergänzt Hunold.

Das mag mit dem gesellschaftlichen Schock der Nazi-Erfahrung zusammen hängen. Es gab aber auch schon vor 1933 in Deutschland Ansätze zur Reform der Polizei. Schon damals reifte die Einsicht, dass die Polizei nicht nur auf Konflikte reagieren müsse, sondern ihnen auch vorbeugen könne und sollte. Preußische Politiker und Spitzenbeamte wie Carl Severing und Bill Drews begannen schon in den 1920er-Jahren, die Polizei zu entmilitarisieren, und setzten sich für ein modernes, republikanisches Polizeiethos ein, was dann für ganz Deutschland wegweisend wurde. Noch 1931 trat im Freistaat Preußen ein modernes Polizeiverwaltungsgesetz in Kraft, das die Beamten dazu anhielt, vorbeugend und im Sinne des Bürgers zu agieren. Nach 1945 knüpfte die Polizei der Bundesrepublik an diese Traditionen an.

Jüngere Reformen setzten diesen Weg fort. Dazu zählen der höhere Frauenanteil bei der öffentlich sichtbaren Polizei, eine immer stärkeren Rekrutierung unter Migranten und ganz jüngst etwa in Berlin die Pflicht zum Tragen von Namens- oder Nummernschildern.

Um die Doppelstrategie der Polizei als Garant von Sicherheit einerseits und fürsorgender Kümmerer andererseits umzusetzen, hat sich eine Arbeitsteilung entwickelt. Die Polizei ist zunehmend spezialisiert, von der Bereitschaftspolizei über die Wachdienst- bis hin zu den bürgernahen Bezirksdienstbeamten. Dieser teilt sich seinen Dienst und seine Routen relativ selbstständig ein und sucht den Kontakt zu Bürgern, vor allem Jugendlichen. „Dabei entwickelt sich oft ein geradezu kumpelhaftes Verhalten“, hat Hunold beobachtet. Das hat durchaus Vorteile, weil damit eine Art von Vertrauen geschaffen wird. Allerdings besteht hier auch die Gefahr des Autoritätsverlustes, was in kritischen Situationen eine Eskalation beschleunigen kann.

Denn Konflikte zwischen Polizei und Jugendlichen gibt es auch in Deutschland, wenn auch viel seltener als in Frankreich. Und wenn es zur Konfrontation kommt, kann das an beiden Seiten liegen. Denn Provokationen und respektloses Verhalten gibt es auf beiden Seiten. Dabei kommt es auch in Deutschland immer wieder zu Fehlern und übertriebener Härte, die medial starke Aufmerksamkeit erhalten, etwa bei Großeinsätzen wie in Berlin zu den regelmäßigen Erster-Mai-Demonstrationen oder im Herbst 2010 in Stuttgart bei Demonstrationen gegen den geplanten Bahnhofsneubau.

Mehr interkulturelle Kompetenz wünschenswert

Allerdings hat Hunold auch beobachtet, dass Streifenpolizisten und Bezirksdienstbeamten im Alltag eine Eskalation vermeiden wollen. Einen Jugendlichen in Gewahrsam zu nehmen, ist anstrengend, es kostet Energie, Zeit und Nerven. „Wenn es nicht wirklich nötig ist, vermeidet der Beamte es.“ Darüber hinaus hat sie aber auch ein allgemein-menschliches Interesse an gerechter Behandlung festgestellt.

Dennoch ließe sich hier immer noch etwas verbessern. Es wäre beispielsweise geholfen, wenn die Polizei noch mehr interkulturelle Kompetenz aufbaute, also Jugendkulturen oder Spezifika von Migrantengruppen besser kennen würden. Auch das ein Rezept nach dem Muster: besser verstehen, hilft Konflikte vermeiden.

Wie sich die Arbeit der Polizei verändern müsste, um Konfrontationen künftig zu verhindern, dürfte derzeit auch in Großbritannien eine aktuelle Frage sein. Um sie zu beantworten, müssen jedoch zunächst die Ursachen der Ausschreitungen in diesem Sommer aufgedeckt werden. Dort überraschen die Konflikte auch deshalb, weil die britische Polizei nicht als übertrieben hart verrufen ist. „Über die Hintergründe der Auseinandersetzungen kann man derzeit nur spekulieren, und ihre systematische Untersuchung wird wahrscheinlich noch Jahre dauern“, sagt Dietrich Oberwittler. Eine Rolle spielt sicherlich die große soziale Ungleichheit und Perspektivlosigkeit der sozial Schwachen. Aber auch das Verhalten der Polizei könnte einen Anteil haben: „Aus früheren Studien ist bekannt, dass die britische Polizei Personenkontrollen extrem viel häufiger an Migranten vornimmt.“ Das könnte zumindest ethnisch gefärbte Konflikte in Teilen erklären.

Was die Polizeiforschung in Großbritannien, Deutschland oder Frankreich dann in der Praxis bewirken kann, wird sich zeigen. „Es existiert eine recht große Lücke zwischen Wissenschaft und Praxis“, so Oberwittler. In Deutschland etwa gibt es zwar Interesse von Seiten der Polizei, aber nur begrenztes. In den USA ist die Forschung viel weiter entwickelt. Dort entstand sie in Folge heftiger Konflikte und systematisichen Fehlverhaltens der Sherrifs in den 1960er-Jahren. Der Handlungsbedarf war offensichtlich. In Deutschland war dieser Handlungsdruck nie so groß – was wohl auch damit zu tun hat, dass es immer schon polizeiinterne Reformbemühungen gab – auch begleitet von interner Polizeiforschung. „Allerdings ist es leider so, dass Polizeiorganisationen tendenziell schwerfälliger sind gegenüber Veränderungen als andere Verwaltungen“, sagt Hunold.

Noch viel größer ist das Problem in Frankreich. Hier ist der Handlungsdruck groß, aber die Bereitschaft, die Erkenntnisse der Forschung anzuwenden sehr gering. Tatsächlich scheint die französische Öffentlichkeit tendenziell diejenigen Politiker zu unterstützen, für die eine Politik der harten Hand Ausdruck von politischer Stärke und Handlungsfähigkeit ist. Dafür spricht die jüngste Aufrüstung der Polizei und die Abschaffung der bürgernahen Nachbarschaftspolizei unter dem damaligen Innenminister Nicolas Sarkozy. Warum das wiederum so ist, ist eine ganz andere Frage.

Glossar:

Polis

kurz für: Polizei und Jugendliche in multiethnischen Gesellschaften. Das deutsch-französische Forschungsprojekt untersucht die Interaktion und wechselseitige Wahrnehmung von Polizei und Jugendlichen (mit Migrationshintergrund) in Frankreich und Deutschland.

Empirische Sozialforschung

grenzt sich von der theoretischen Sozialforschung ab und beschreibt gesellschaftliche Strukturen und Entwicklungen anhand von qualitativen und quantitativen Datenerhebungen.

Sozialräumlicher Kontext

bezeichnet die soziale Struktur des Umfeldes, in dem Menschen leben, und bezieht sich etwa auf einzelne Stadtteile.

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