„Ich zweifle daran, dass wir das Zwei-Grad-Ziel einhalten werden“
Am Sonntag hat die dritte und letzte Arbeitsgruppe des IPCC ihren 5. Sachstandsbericht vorgelegt. Arbeitsgruppe 1 hatte sich mit den naturwissenschaftlichen Grundlagen des Klimawandels befasst, Arbeitsgruppe 2 mit Folgen und Risiken des Klimawandels. Im Bericht der Arbeitsgruppe 3 geht es jetzt um die Frage, wie sich der Klimawandel noch begrenzen lässt – und zu welchen Kosten. Jochem Marotzke vom MPI für Meteorologie in Hamburg hat unter anderem als Leitautor in Arbeitsgruppe 1 wesentlich am Bericht mitgewirkt. Wir sprachen mit ihm über die Bedeutung des Berichts, die neuen Ergebnisse und seine persönliche Einschätzung zu unserer Klimazukunft.
Was sind die wichtigsten neuen Ergebnisse des 5. IPCC-Berichts gegenüber dem 4. Bericht von 2007?
Bei Arbeitsgruppe 1, in der ich als Leitautor mitgearbeitet habe, sind meiner Einschätzung nach zwei Hauptaussagen besonders wichtig: Erstens können wir nochmals bekräftigen, dass der menschengemachte Klimawandel real ist und bereits stattfindet. Die maximale Restunsicherheit bei dieser Aussage konnte von zehn Prozent im Jahr 2007 auf nunmehr fünf Prozent halbiert werden.
Diese Unsicherheit bezieht sich aber nur auf die bereits beobachtete Erderwärmung der letzten 60 Jahre, und nicht auf die Frage, ob das menschliche Handeln das Klima in der Zukunft verändern wird.
Ja, und das ist eine wichtige Unterscheidung! An der Tatsache, dass die erhöhte Menge an Treibhausgasen in der Atmosphäre zu einer Wärmeaufnahme im Klimasystem führt, daran besteht praktisch überhaupt kein Zweifel. Diese fünf Prozent Restunsicherheit bezieht sich nur auf die Frage: Wir beobachten bereits eine Erwärmung der Erdoberfläche - und wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass diese Erwärmung vielleicht auf natürliche Einflussfaktoren zurückzuführen sein könnte?
Die zweite wesentliche Aussage – und die ist neu: Wir können jetzt Aussagen dazu treffen, welcher zukünftige Kohlendioxid-Ausstoß gerade noch mit welchem Klimaziel vereinbar ist. Das politische Ziel, den Temperaturanstieg auf zwei Grad zu beschränken, ist etwa nur noch dann erreichbar, wenn wir maximal noch weitere 1000 Milliarden Tonnen Kohlenstoff ausstoßen - unabhängig davon, wann das passiert. Die genaue Zahl ist noch unsicher, aber die Aussage, dass man jedem Klimaziel eine maximale Gesamtmenge an Emissionen zurechnen kann, die ist sicher wichtig.
Und was gibt es Neues im Bericht der Arbeitsgruppe 2?
Arbeitsgruppe 2 konzentriert sich im aktuellen Bericht sehr auf die Frage, welche Klimaänderungen mit welchen Risiken für die Menschheit verbunden sind. Das finde ich sehr gut, denn das hatte man zwar auch früher stets im Hinterkopf - es wurde aber nie so expliziert behandelt. Zudem wird klar unterschieden, welche Folgen auf uns zukommen, wenn keine zusätzlichen Anpassungsmaßnahmen ergriffen werden – und womit wir auch dann zu rechnen haben, wenn wir zusätzliche Anpassungsmaßnahmen ergreifen. Das finde ich sehr wichtig, denn die Menschen sitzen ja nicht untätig rum, sondern unsere Regierungen werden ja auch auf die Klimaänderung reagieren. Und noch ein dritter Bereich ist meines Erachtens sehr viel besser gelöst als früher, da sich zwischenzeitlich ja auch die Methodik weiterentwickelt hat: Im neuen Bericht werden beobachtete Veränderungen, etwa das voranschreitende Artensterben oder die zunehmende Verknappung von Trinkwasser in vielen Weltregionen, sehr genau danach bewertet, ob sie wirklich dem Klimawandel zuzuschreiben sind - oder doch eher anderen Ursachen.
Und bei Arbeitsgruppe 3?
Was mich an Arbeitsgruppe 3 beeindruckt, ist der klare Verweis darauf, dass man die wissenschaftliche Analyse nicht immer losgelöst von den eigenen Wertvorstellungen betreiben kann. Etwa, wenn man die Kosten des Klimawandels analysiert. Was bezeichnet man alles als Kosten? Gehören etwa Umweltschäden mit in diese Kategorie? Die Arbeitsgruppe ist diesmal, auch unter Einbeziehung von Philosophen, systematisch die Frage angegangen, wo die wissenschaftliche Analyse nicht mehr sauber von unseren Werten zu trennen ist. So wird das klar ausgesprochen, und fließt nicht etwa unterschwellig mit in die Analyse ein. Das finde ich einen sehr wichtigen und sehr vorausschauenden Schritt.
Welche Empfehlungen an die Politik enthält der Bericht?
Das IPCC gibt selber keine Empfehlung an die Politik ab, das ist nicht sein Mandat. Das heißt, auch im Bericht der Arbeitsgruppe 3, wo es ja um Lösungsmöglichkeiten geht, steht nicht, was die Regierungen konkret unternehmen sollen.
Was der Bericht leistet, ist Optionen aufzuzeigen, mit denen sich bestimmte Ziele erreichen lassen. Etwa, wenn man den Klimawandel auf ein bestimmtes Maß beschränken will, dann zeigt die Forschung, dass die Maßnahmen A, B und C erfolgreich sein könnten. Aber welche dieser Maßnahmen nun ergriffen werden sollten, da hält sich das IPCC raus. Die Entscheidung über diese Optionen müssen dann die Regierungen und die Bevölkerung der Welt treffen.
Das IPCC betreibt ja keine eigene Forschung. Warum ist der alle sechs bis sieben Jahre erscheinende IPCC-Bericht dennoch so bedeutend?
Das IPCC bewertet den Stand des Wissens. Es sichtet die vorhandene Literatur und fasst sie zusammen, und bewertet sie aber auch im Gesamtzusammenhang. Es sind sehr hochkarätige Teams, die die einzelnen Kapitel schreiben, und sich dafür sehr viele Veröffentlichungen im Zusammenhang anschauen. Und durch das sehr breit gefächerte Expertenwissen, das man auf diese Weise zusammenträgt, kann man auch benachbarte Gebiete miteinander in Beziehung setzen. Und dann entsteht tatsächlich – obwohl keine neue Forschung betrieben wird – ein neues Wissen. Bei der Synthese kommen neue Einsichten in das große Ganze heraus, die durch eine isolierte Betrachtung einer bestimmten Fachrichtung nicht möglich wären. Zudem werden die Texte mehrfach von Experten und auch von Regierungsvertretern gegengelesen. Da kommen sehr viele Fragen auf, die dann oft dazu führen, dass man sich nochmal gründlicher Gedanken über bestimmte Aussagen macht. Ich habe noch nie an einem wissenschaftlichen Text gearbeitet, der so gründlich begutachtet wurde wie der IPCC-Sachstandsbericht.
Letztlich werden außerhalb der Wissenschaft aber fast nur die vergleichsweise dünnen Zusammenfassungen für Entscheidungsträger beachtet. Ist das bisherige Vorgehen bei der Berichtserstellung wirklich sinnvoll?
Da habe ich meine großen Zweifel. Der Bericht ist zweifelsohne effektiv, er leistet ohne jede Einschränkung das, was er tun soll – er liefert umfassende verlässliche Informationen, auch in den Zusammenfassungen. Aber ob der Prozess in dieser Form auch effizient ist, daran habe ich meine sehr starken Zweifel. Ich glaube nicht, dass das in Zukunft so weitergeführt werden kann, denn der Arbeitsaufwand ist ungeheuer. Und wie Sie sagen, wird vom Gesamtbericht außerhalb der Forschung letztlich nur rund ein Prozent gelesen, alleine in meiner Arbeitsgruppe kommen etwa 20 Seiten Zusammenfassung auf 1500 Seiten Bericht. Insofern finde ich, dass das IPCC seine Arbeitsweise in Zukunft fundamental überdenken muss, und dass wir uns viel mehr auf die Themen fokussieren sollten, die für die Entscheidungsträger auch tatsächlich relevant sind. Diese Themen sollten am Anfang in einem iterativen Prozess mit Regierungsvertretern sehr genau überlegt – und dann erst von den Wissenschaftlern im Detail ausgearbeitet werden.
Wie steht es eigentlich um die wissenschaftliche Unabhängigkeit des Berichts, wenn Vertreter aller Regierungen mitreden dürfen? Laut Spiegel wurde etwa der Hinweis auf die scheinbar seit 15 Jahren pausierende Erwärmung der Erdoberfläche nicht ausführlich in die Zusammenfassung übernommen – angeblich auf Bestreben der deutschen Bundesregierung.
Das stimmt nicht, es wird darauf eingegangen - nur „hiatus“, das englische Wort für „Pause“, kommt nicht vor, aber diskutiert wird der Effekt sehr wohl. Die Behauptung im Spiegel, dass die deutsche Regierung versucht hätte, die Erwähnung dieser Pause zu unterdrücken, die ist einfach nicht wahr! Man kann das auch nachprüfen, wenn man in die Kommentare der deutschen Regierung zum letzten Entwurf schaut. Dort steht, man solle den Begriff „hiatus“ nicht verwenden, aber dieser Begriff taucht im Entwurf ohnehin nicht auf. Es ging also letztlich nur um einen folgenlosen Kommentar zur Wortwahl. Davon abgesehen hat die deutsche Regierung im Gegenteil sogar vorgeschlagen, die Erwärmungspause deutlicher in der Zusammenfassung zu diskutieren. Ich finde, dass die Erwärmungspause in der Zusammenfassung genau den Raum zugemessen bekommen hat, den sie verdient. Ohnehin haben die Wissenschaftler stets das letzte Wort, es kann also in der Zusammenfassung nichts stehen, was von den Wissenschaftlern nicht vertreten werden kann.
Wie ist diese Erwärmungspause zu erklären?
Wir sind uns sehr sicher, dass diese Pause oder Abschwächung der oberflächennahen Erwärmung im Wesentlichen auf die spontane Klimavariabilität zurückzuführen ist, und keine bestimmte Ursache hat. Das ist vergleichbar mit Wetterschwankungen, die ja auch keine bestimmte Ursache haben müssen, sondern oft einfach spontan auftreten, weil das Geschehen in Atmosphäre und Ozeanen eben eine starke chaotische Komponente hat und deswegen von sich aus stark fluktuiert. Das ändert aber nichts am langfristigen Erwärmungstrend.
Abgesehen von der Erhöhung der Erdoberflächentemperatur: Welche Anzeichen weisen am deutlichsten auf den bereits stattfindenden Klimawandel hin?
Über 90 Prozent der zusätzlichen Wärme im Klimasystem geht in den Ozean. Die beobachtete Erwärmung der Ozeane stimmt sehr gut mit den erwarteten Effekten überein – und sie ist auch in den letzten 15 Jahren unvermindert weitergegangen. Das ist meiner Meinung nach der wirklich fundamentale Beleg dafür, dass der menschengemachte Klimawandel bereits Tatsache ist. Darüber hinaus sehen wir eine sehr deutliche Abnahme des Meereises in der Arktis und eine deutliche Abnahme der großen Eisschilde in Grönland und in der Antarktis. Sehr auffällig ist auch der beobachtete Anstieg der Meeresspiegel, der sich in den letzten 20 Jahren sogar nochmals beschleunigt hat, und der ganz grob etwa zu gleichen Teilen durch das Abschmelzen der Eismassen an Land und durch die Ausdehnung des Wassers aufgrund der steigenden Wassertemperaturen zurückzuführen ist. Das alles passt ins Bild, und alle Klimaindikatoren, bei denen wir einen klaren Trend sehen, weisen auf eine sich erwärmende Erde hin.
Was ist Ihre persönliche Einschätzung: Werden wir den Klimawandel in diesem Jahrhundert noch auf ein beherrschbares Maß eindämmen können? Und sind Sie da eher optimistischer oder pessimistischer als zum Zeitpunkt des letzten Berichts?
Ich bin heute deutlich pessimistischer, oder sagen wir vielleicht realistischer, als 2007, was meine Erwartungen an den Klimaschutz angeht. Der Bericht von 2007 hat das Klimathema in den politischen Mainstream gehievt, und es gab damals enorm viel Entschlossenheit in den Regierungen, den Klimawandel einzudämmen. Aber dann kam der Realitätscheck, und die Regierungen, auch unsere Bundesregierung, haben gemerkt, dass Klimaschutz ab einem bestimmten Punkt nur noch mit erheblichen Anstrengungen zu erreichen ist. Und diese Anstrengungen mit politischer und wirtschaftlicher Akzeptanz zu verbinden, das ist noch nicht wirklich gelungen. 2007 war sich wohl kaum einer wirklich bewusst, dass dieser Enthusiasmus, mit dem sich viele Regierungen damals dem Klimaschutz verschrieben haben, so nicht durchzuhalten sein würde.
Ich denke aber dennoch, dass wir es schaffen werden, den Klimawandel noch einzudämmen. Nur zweifle ich persönlich daran, dass wir das angestrebte Zwei-Grad-Ziel einhalten werden. Auf einige Gesellschaften, vor allem ärmere Länder, kommen daher wohl erhebliche Probleme zu, und es werden auch erhebliche Anstrengungen in der Anpassung an den Klimawandel nötig sein. Ich glaube aber nicht daran, dass es zu einer ungebremsten Klimakatastrophe kommen wird.
Herzlichen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Aaron Lindner.